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John Banvard und sein Mississippi-Panorama: Die Rolle seines Lebens

Vor 130 Jahren starb ein verarmter Superstar, dessen gemalte Reise auf dem Mississippi Millionen in die Säle trieb. Es war das Meisterwerk einer vergessenen Kunstform.
Die Wasserfälle von St. Anthony am Mississippi

Es ist der 22. Februar 1849, als John Banvards Karriere endgültig Schwindel erregende Höhen erreicht. Der Maler sitzt gerade Modell, um sich porträtieren zu lassen, da platzt mitten in die Sitzung die Nachricht herein, dass man ihn im Buckingham Palace erwarte. Ob es ihm möglich sei, eine Privatvorführung seiner Show durchzuführen, im Windsor Castle? Ihre Majestät Königin Viktoria und Prinz Albert wünschen es so.

Den Monarchen geht es wie dem gemeinen Volk: Jeder will Banvards Show sehen. Der 1815 in New York geborene Sohn eines Bauunternehmers und Amateurmalers ist zu diesem Zeitpunkt der vielleicht bekannteste lebende Künstler der Welt. Und der reichste allemal.

Binnen weniger Jahre hatte der Mann, der am 16. Mai vor 130 Jahren starb, Weltruhm erlangt. Dabei verdankte er seinen Aufstieg allein Können und Ehrgeiz. Denn kaum 20 Jahre zuvor war die Welt seiner behüteten Jugend zusammengebrochen: 1831 hatte sein Vater einen Schlaganfall erlitten, war kurz darauf von seinem Geschäftspartner bestohlen worden und schließlich gestorben. Die Familie war bankrott gegangen. Der fünfzehnjährige John musste sich eine Arbeit suchen.

Bühnenmaler auf dem Theaterboot

Er wählte Louisville in Kentucky als ersten Anlaufpunkt. Dort machte es sich bezahlt, dass ihn sein Vater in die Grundlagen des Malens eingeführt hatte, denn Banvard begann bald nach seiner Ankunft, gegen Bezahlung Porträts anzufertigen. Bis ihm eines Tages William Chapman über den Weg lief, der Besitzer des allerersten Theaterboots auf dem Mississippi. Für schmalen Lohn heuerte er auf der schwimmenden Bühne an, lernte aber immerhin unterwegs, wie man Bühnenbilder malt – eine Fertigkeit, die sich später als besonders wertvoll erweisen sollte.

John Banvard (1815–1891) | Anna Mary Howitt malte dieses Porträt von John Banvard im Jahr 1849 – jenem Jahr, in dem er die Privatvorführung für Königin Victoria gab. Mit Mitte 30 war er auf dem Höhepunkt seiner Bekanntheit.

Schon nach einer Saison verließ er Chapmans Truppe wieder und baute seine eigene auf. Nun war er auch Schauspieler, Regisseur und hin und wieder sogar Magier, alles finanziert von den Ersparnissen eines Gönners. Als dessen Taschen leer waren, zeigte sich, dass die Schau unrentabel war. Sie trug sich nicht von allein, und Banvard ging pleite, verlegte sich bald aufs Betteln und fand nur durch Glück wieder Arbeit als Bühnenmaler. Aber er hatte einen Plan.

Als New Yorker war er schon früh mit einem Phänomen in Berührung gekommen, das seine Anfänge in Europa hatte und als »moving panorama« (bewegtes Panorama) bezeichnet wurde. Dabei handelte es sich um ein langes, fortlaufendes Gemälde, das auf zwei Spulen aufgewickelt wurde. Wie später der Film wurde das Panorama von einer Spule ab- und auf die andere aufgerollt. Dem Publikum enthüllte sich also stets nur ein Ausschnitt des Ganzen. Licht diente nicht der Projektion, sondern wurde für Spezialeffekte eingesetzt. Mondlicht erhellte eine nächtliche Bucht, Mündungsfeuer flammte im Pulverdampf einer Seeschlacht auf, Blitze zuckten. Und was noch viel wichtiger war: Ein Schausteller führte mit einer packenden Erzählung durch die Geschichte, die an den Zuschauern vorüberzog.

Amerika begeisterte sich für einen Vorläufer des Films

Ein Jahr bevor Banvards Vater starb, kam das bewegte Panorama »Die Schlacht von Navarino« nach New York. Was man in Europa schon kannte, war in Amerika eine Novität. Monatelang blieb es in der Stadt. Im Jahr darauf konnten die New Yorker dann ein Panorama bestaunen, das Szenen aus Napoleons Leben zeigte.

Banvard wusste, dass auch er die Fähigkeiten besaß, ein solches Riesengemälde zu schaffen – und malte gleich derer zwei: eines, das durch Venedig führte, und ein weiteres, das von Jerusalem erzählte. Beide Städte hatte er freilich nie besucht, er stützte sich allein auf Vorlagen. Trotzdem konnte er sie für gutes Geld verkaufen, genau wie ein drittes, das er »Höllische Regionen« nannte.

Seit er New York den Rücken gekehrt hatte, fand sein Leben auf und am Mississippi statt. Nun inspirierte ihn der Fluss zu einem folgenreichen Entschluss: Nicht mehr nur das Exotische, nicht mehr nur die Vorlagen anderer wollte er auf die Leinwand bringen, sondern das eigene Land. Er beschloss, den Mississippi selbst zum Hauptdarsteller eines Werks zu machen, das alles Gekannte überstieg.

Skizzieren im Ruderboot

Im Frühling des Jahres 1842 kaufte er sich ein Ruderboot und machte sich daran, die Ufer des Flusses von St. Louis bis New Orleans zu skizzieren. Zwei Jahre befuhr er den Strom, finanzierte sich hie und da als fahrender Händler und zeichnete, zeichnete, zeichnete.

Schließlich hatte er alles beisammen, was er brauchte. In der Nähe von Louisville baute er sich eine Scheune und bestellte gewaltige Mengen an Leinwand. Dann ging er an die Arbeit. Monatelang malte er. Stück für Stück setzte er das Porträt des Flusses anhand seiner Skizzen zusammen. Mit der Routine des Bühnenmalers erschuf er das Mississippi-Panorama, das bald die ganze westliche Welt kennen lernen sollte: das »Drei-Meilen-Gemälde«, wie man es später nennen wird, obwohl es in Wahrheit wohl nur etwas über 400 Meter lang war.

Die Technik hinter den Panoramen | In Ausgabe 4, Nummer 13, vom 16. Dezember 1848 erläuterte das Wissenschaftsmagazin »Scientific American«, wie die Leinwand von einer Rolle zur anderen transportiert wurde: Eine eingenähte dicke Kordel am oberen Rand lief ähnlich wie das Kabel einer Seilbahn auf Rollen und verhinderte, dass das Bild absackte. Um das Material zu schonen, wurde das Panorama nur während der Schau abgewickelt. Die Zuschauer der einen Aufführung bekamen also die Flussreise von Nord nach Süd zu sehen, die der nächsten dann die Reise von Süd nach Nord.

Die mehr als mannshohen Leinwandrollen standen nicht zum Verkauf. Banvard wollte sein Werk selbst vorführen. Und das zahlte sich schnell aus. Jeden Abend kamen mehr Zuschauer, und bald war der Saal brechend voll. Es war ein Erfolg, wie man ihn sich schöner kaum ausdenken konnte.

Mit einem Mal hatte der Mann, der sich jahrelang in prekärsten Verhältnissen über Wasser gehalten hatte, Geld im Überfluss. Er ergänzte sein Panorama um zusätzliche Szenen und verlängerte die Zeit, die eine Vorführung dauerte, auf über zwei Stunden. Mit dieser erweiterten Schau im Gepäck verließ er schließlich Louisville für eine Tournee. Seine erste Station: Boston.

Dort eröffnete er seine Vorführung in der Weihnachtszeit, sie wird fast augenblicklich zum Stadtgespräch. Kein Wunder, der Mann ist ein Genie auf der Bühne! Mit einer Mischung aus Abenteuergeschichten, eigenen Erinnerungen, Witz und Improvisation erweckt er Abend für Abend das Gemälde zum Leben. Dazu Klaviermusik. Die Bostoner sind hingerissen. Innerhalb von einem halben Jahr verkauft Banvard über 250 000 Eintrittskarten.

Das Leben meint es gut mit ihm in diesen Tagen. Er verliebt sich in seine musikalische Begleitung Elisabeth Goodman, bald darauf sind die beiden verlobt. Nach seiner letzten Vorführung in Boston wird er von George Briggs, dem Gouverneur von Massachusetts, geehrt. Und schon geht es weiter in seine Geburtsstadt New York. Auch dort wird er gefeiert. In einer Kritik, die er ausschneidet und aufbewahrt, steht zu lesen, Raffael und Michelangelo hätten quadratmeterweise gemalt, John Banvard dagegen meilenweise. Sein Ruf eilt ihm voraus. Mehr und immer mehr Menschen wollen seine Show sehen. Schon machen sich andere Maler an eigene Mississippi-Panoramen. Doch Banvards Erfolg übertrifft sie alle.

Mit dem Panorama über den Atlantik

Im Jahr darauf, 1848, folgt der Aufbruch in die Alte Welt. In New York hatte fast jeder sein Panorama gesehen. Also geht es nach Liverpool, dann nach Manchester. Und dann endlich steht London auf dem Plan. Er bezieht mit seinem Panorama direkt die gewaltige Egyptian Hall. Klugerweise lädt er zuerst die Journalisten der Stadt ein. Wieder erntet er Beifallsstürme. Wieder strömen die Massen. Sein Reichtum wächst und wächst. Als er dann die Einladung von Königin Victoria erhält, muss ihm klar sein, dass nun der letzte Schritt ansteht – vom erfolgreichen Unterhaltungskünstler zum hoch angesehenen Maler. Er liefert die Vorstellung seines Lebens und schlägt die königliche Familie in seinen Bann.

Im Rückblick waren es wohl an die 600 000 Menschen, die sein Panorama in London sahen. Charles Dickens äußerte sich voller Bewunderung. Herman Melville wünschte sich, Banvard würde Konstantinopel malen. Das bewegte Panorama war zum Massenmedium geworden, und John Banvard sein Gesicht. Das Lied »The White Fawn«, das er während der Vorführung vortrug, wurde bald überall gesungen. Man sammelte Tickets wie Briefmarken.

© The Metropolitan Museum of Art
Mississippi-Panorama von John J. Egan
Banvard hatte viele Nachahmer, und es gehört zur Tragik seiner Lebensgeschichte, dass das einzige noch existierende Mississippi-Panorama nicht seines ist. John Egan fertigte dieses bewegte Panorama des großen Stroms im Jahr 1850 an. Sein 106 Meter langes Gemälde zeigt eher die Geschichte als die Gegenwart.

Da störte es auch nicht, dass in Banvards Kielwasser eine ganze Industrie entstanden war. Viele Maler witterten die Chance auf satte Einnahmen. Insbesondere in London, das zur Hauptstadt der bewegten Panoramen wurde, ein Hollywood des 19. Jahrhunderts. An sich war das Medium nicht neu, aber durch Banvards Erfolg machte es einen Sprung nach vorn. Ein ausverkaufter Saal nach dem anderen wollte unterhalten werden – mit Vulkanausbrüchen, Schlachten, Großbränden, spektakulären Schiffskatastrophen.

Banvard nutzte seine freie Zeit in London unter anderem dazu, sich von den Ägyptologen der Stadt in ihre Wissenschaft einweisen zu lassen. Dabei lernte er sogar, Hieroglyphen zu entziffern. Außerdem malte er ein zweites Mississippi-Panorama, auf dem nun nicht mehr das Ost-, sondern das Westufer zu sehen war. Als es fertig war, ließ er sein erstes Panorama in London und ging mit dem neuen auf Tournee.

Ein Schloss auf Long Island

Als Künstler hatte er den Rang eines Superstars erreicht. Kein Maler vor ihm hatte je so viel Geld angehäuft. Mit seiner Familie – inzwischen hatte er zwei Kinder – kehrte er schließlich nach Amerika zurück und gönnte sich dort ein Schloss als Behausung: »Banvards Folly«, Banvards Narretei, tauften die Nachbarn das kostspielige Bauwerk auf Long Island, das an eine kleinere Version des Windsor Castle erinnerte. Hier nutzte er Zeichnungen, die er auf Reisen durch Palästina und auf dem Nil angefertigt hatte, um zwei weitere Panoramen zu malen. Dass sie nicht an den bahnbrechenden Erfolg seines Meisterwerks anschließen konnten, musste ihn nicht stören. Der 37-Jährige hatte ausgesorgt. Zumindest glaubte er es.

Der Mississippi bei New Orleans, zirka 1845–1849 | Banvards Panorama erfüllte die junge USA mit nationalem Stolz. Noch nicht viele US-Amerikaner hatten sich durch ihr Kunstschaffen hervorgetan. Zudem stellte das Panorama die außergewöhnliche Schönheit ihres Landes unter Beweis. Die wenigen erhaltenen Exemplare von Banvards Malerei, darunter wohl auch Studien zu seinem Panorama, finden sich auf den Seiten der Minnesota Historical Society.

Es waren andere, die die Panoramashows weiterentwickelten. Spezialisierte Studios produzierten nun neue Werke mit rasender Geschwindigkeit. Die Vorstellungen wurden immer komplexer. Mit Schablonen und vorgelagerten Bildebenen konnten Szenen zusätzlich verändert werden. Hinzu kamen separate Gemälde, die einzelne Anekdoten illustrierten. Es wurde zur üblichen Praxis, mehrere Panoramen pro Vorführung einzusetzen. Eine Erzählung, die das Publikum von London bis in den Fernen Osten führte, konnte zum Beispiel in Paris unterbrochen werden, um dort ein erprobtes Paris-Panorama abzuspielen. Die Länge von Banvards Panorama wurde bald schon in den Schatten gestellt. Dazu gab es Merchandise: Brettspiele, Miniaturpanoramen, Notenblätter mit den Liedern der Vorführungen und vieles mehr.

Banvard ging diesen Weg nicht mehr mit. Stattdessen schrieb er ein Theaterstück: Amasis oder Die Letzten der Pharaonen. Natürlich malte er auch die monumentalen Bühnenbilder dazu. Wieder erntete er Beifall. Doch dunkle Wolken zogen auf, als er den Entschluss fasste, das Banvard-Museum zu bauen.

Sein Museum wird ein Flop

Ironischerweise unterschätzte er, der hochbegabte Showman, die Rolle, die das Spektakel dieser Tage im Museumsgeschäft spielte. Sein Konkurrent P. T. Barnum, der das American Museum leitete und es in ein Kuriositätenkabinett samt Monstrositätenschau verwandelt hatte, führte ihn regelrecht vor. Banvard hatte die besseren Exponate, aber Barnum war der Meister des Marketings. Dazu kam, dass Banvard seine Investoren verprellte. So steil sein Aufstieg, so schnell war nun sein Fall. In seiner Verzweiflung fertigte der so oft Kopierte nun selbst Plagiate an. Auf seinem riesigen Anwesen gab es bald nur noch einen einzigen Diener. Und auch der wurde schließlich entlassen, Schloss und Museum wurden verkauft. Banvard und seine Frau ließen ruiniert alles hinter sich und zogen nach Watertown im späteren South Dakota, ein gerade erst gegründetes Örtchen, Heimat von ein paar hundert Einwohnern, an der Grenze zum Niemandsland.

Der einstige Weltstar lebte nun völlig zurückgezogen und verfasste Gedichte. Nur Ende der 1880er Jahre wollte er es noch einmal wissen. Inzwischen über 70, malte er »Der Brand Columbias«, sein letztes Panorama. In der Provinz wurde es tatsächlich ein kleiner Erfolg. Die Idee, damit auf Tournee zu gehen, redete ihm seine Familie jedoch wieder aus. Seine Gesundheit wäre den Strapazen nicht mehr gewachsen gewesen. Zur Wahrheit gehörte auch: Die bewegten Panoramen waren in den Metropolen längst nicht mehr interessant. Dort hatte man inzwischen alles gesehen. Panoramavorführungen waren zum Zirkus geworden. Sie wurden von Blaskapellen, Bauchrednern, Jongleuren und Feuerschluckern bevölkert. Abfolgen von Fotografien fanden bald ihren Weg in die Vorführungen, die Ankunft des Films lag in der Luft. Die Welt erlebte die letzten Stunden eines großen Mediums.

Und so wurde »Der Brand Columbias« schließlich eingerollt, um nie wieder vorgeführt zu werden. Banvard starb am 16. Mai 1891, seine Frau wenig später. Das Mississippi-Panorama, das einst von Louisville bis London mit Lobeshymnen bedacht worden war, wurde nie wieder gesehen. Wie fast alle großen Panoramen jener Zeit verschwand es, wurde zerschnitten, um als Bühnenbild herzuhalten – oder als Dämmstoff für die Häuser Watertowns.

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