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Fragwürdige Sensationsmeldung: Zweifel an DNA-Studie zur Herkunft von Christoph Kolumbus

War der berühmte Entdecker gar nicht Italiener, sondern ein Jude aus Spanien? Das sollen die Gene des Entdeckers zweifelsfrei verraten. Doch Fachleute sind skeptisch.
Christoph Kolumbus
Der berühmte Seefahrer und Entdecker auf einem Gemälde von Sebastiano del Piombo. Es entstand 1512, also 13 Jahre nach dem Tod von Christoph Kolumbus.

War Christoph Kolumbus, der einmal angab, aus dem italienischen Genua zu stammen und stets als Christ in Erscheinung trat, in Wahrheit ein Jude aus dem spanischen Valencia? Mit dieser sensationellen Behauptung macht der Forensiker José Antonio Lorente aktuell von sich Reden. In einer am spanischen Nationalfeiertag, dem 12. Oktober, ausgestrahlten Fernsehsendung will der Forscher von der Universität Granada seine neue Theorie zur Abstammung des berühmten Entdeckers mit »beinahe absoluter Gewissheit« belegt haben – und zwar anhand von dessen Erbgut.

Zahlreiche internationale Medien haben die Ergebnisse Lorentes in eigenen Berichten als Tatsache übernommen. Allerdings sind gar keine Erbgutmarker bekannt, die zweifelsfrei nachweisen könnten, dass eine Person einer jüdischen Familie entstammt. Erst recht können sie nicht darüber entscheiden, ob die Familie sich selbst als jüdisch begreift oder vielleicht schon vor Generationen die Religion wechselte. Auch taugt eine einzelne DNA-Probe für sich genommen nicht, um nachzuweisen, dass jemand an der spanischen Mittelmeerküste und nicht im 500 Kilometer entfernten Genua in Italien geboren wurde.

Entsprechend haben Fachleute inzwischen erhebliche Kritik an der Doku von Spaniens größten öffentlich-rechtlichen Sender RTVE angemeldet, so etwa in einem Beitrag der in Madrid erscheinenden Tageszeitung »El País«. Insbesondere bemängeln sie, dass die Gruppe um Lorente ihre Ergebnisse nicht zuvor in einem anerkannten Fachjournal publizierte und der dabei üblichen Begutachtung durch andere Experten unterzog. Lorente habe seine Schlussfolgerungen verkündet, ohne sie mit wissenschaftlichen Belegen zu untermauern. Auch wurden in der Fernsehsendung keine unabhängigen Fachleute um eine kritische Einschätzung gebeten. Stattdessen konfrontierte José Antonio Lorente die Vertreter alternativer Erklärungen von Kolumbus‘ Herkunft im Stil einer Castingshow einer nach dem anderen vor laufenden Kameras mit seiner angeblichen Widerlegung ihrer Hypothesen.

In dem TV-Beitrag schildert Lorente, wie er aus den mutmaßlichen Gebeinen des Entdeckers einige DNA-Reste isoliert haben will. Dabei ist selbst schon die Zuordnung der Knochen zu dem 1506 gestorbenen Seefahrer nicht unumstritten. Dessen sterbliche Überreste wurden mehrfach umgebettet und über den Atlantik verschifft, zwischenzeitlich hatte sich ihre Spur sogar ganz verloren. Lorente stützt sich auf die unter anderem von ihm selbst maßgeblich untermauerte These, dass Knochenfragmente, die seit 1899 in der Kathedrale in Sevilla lagern, von jenem weltweit bekannten Seefahrer stammen, der 1492 in Amerika angelandet war.

Offenbar war lediglich ein Teil des Y-Chromosoms lesbar

Laut »El País« ist das darin erhaltene Genmaterial allerdings in einem sehr schlechten Zustand. Das bekräftigen Fachleute gegenüber der Zeitung, die Anfang der 2000er Jahre gemeinsam mit Lorente an den Knochen gearbeitet haben. Lorente lässt offen, mit welchem Verfahren er dennoch zu aussagekräftigen Ergebnissen gekommen sein will, räumt im Verlauf der Sendung allerdings ein, lediglich Abschnitte des Y-Chromosoms isoliert zu haben, jenes Erbgutbestandteils also, das Söhne von ihren Vätern erben.

Bestimmte Varianten dieses Chromosoms (so genannte Haplogruppen) lassen in der Tat Rückschlüsse auf die Abstammung eines Mannes zu. Beispielsweise tragen überdurchschnittlich viele Angehörige des sephardischen Judentums in Spanien die Haplogruppen J1 oder J2 – allerdings bei Weitem nicht alle. Umgekehrt gibt es auch unter Nichtjuden einen gewissen Anteil von J1- oder J2-Trägern. Welche Haplogruppe Lorente bei seiner Analyse von Kolumbus identifiziert haben will, verrät er überdies nicht, sondern lediglich, dass sie »kompatibel« mit der Idee einer jüdischen Abstammung ist. Für voraussichtlich Ende November kündigte er eine Pressekonferenz mit mehr wissenschaftlichen Details an. Dann wird sich zeigen, ob er die Fachwelt mit seiner Hypothese überzeugen kann.

Legte Kolumbus absichtlich falsche Fährten?

Lorente ist nicht der Erste, der eine jüdische Abstammung bei Christoph Kolumbus vermutet. Laut dem Architekten und Kolumbus-Kenner Francesc Albardaner, der ebenfalls in der TV-Sendung zu Wort kommt, soll der Seefahrer seine nicht christliche Herkunft verschleiert haben, was das Verwirrspiel um seinen Geburtsort erklären würde: Nur in einer einzigen Urkunde, die er für seinen erwachsenen Sohn anfertigte, beschreibt er sich als Mann aus der italienischen Stadt Genua. Diese Angabe könnte nach Meinung Lorientes ein weiterer Versuch des Seefahrers gewesen sein, eine falsche Fährte zu legen. In Wahrheit sei er im spanischen Valencia geboren worden, wo seine Eltern als Seidenweber gearbeitet hätten. Der junge Christoph wurde dort laut den Recherchen Albardaners im jüdischen Glauben und unter Einhaltung jüdischer Gebräuche erzogen. Aus Karrieregründen und eventuell, um der einsetzenden Verfolgung zu entgehen, sei er in der Öffentlichkeit als Christ aufgetreten oder tatsächlich zum christlichen Glauben konvertiert.

Neben der DNA des Entdeckers extrahierte die Gruppe um Lorente auch Erbgut aus Knochen, die Kolumbus’ Sohn Hernando und seinem Bruder Diego gehören sollen. Zumindest die Gebeine des Letzteren scheinen in Wahrheit jedoch von jemand anderem zu stammen, das Ergebnis der Untersuchung deutet auf eine Verwandtschaft lediglich zweiten Grades hin. Aus den Knochen von Sohn Hernando extrahierten Lorente und Team mitochondriale DNA, die ebenfalls mit einer jüdischen Abstammung »kompatibel« sein soll. Die mitochondriale DNA – und damit auch deren genetische Merkmale – erbte der Sohn allerdings ausschließlich von seiner Mutter Beatriz Enriquez de Arana, der Tochter eines Landbesitzers aus dem südspanischen Córdoba.

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