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Vogelzug: Jugendliche Nachtschwärmereien

Sobald der Nachwuchs auf eigene Faust loszieht, werden die Eltern nervös - noch dazu, wenn es nachts auf die Piste geht. Doch zumindest bei jungen Vögeln hat dies auch einen gewissen Lerneffekt.
Ein Kennzeichen der Jugend ist es, dass sie die Nacht zum Tag macht und ihre nächtlichen Aktivitäten zunehmend konträr zu den Wünschen ihrer Erzeuger ausrichtet – bis hin zu diesem von den Altvorderen gefürchteten Moment, an dem die Sprösslinge das erste Mal überhaupt nicht vor dem Frühstück nach Hause kommen. Dieser Prozess lässt sich durchaus als Abnabelung verstehen.

Ob sich davor Vogeleltern ebenso ängstigen, ist bislang unbekannt, aber wohl auch eher unwahrscheinlich. Zumindest bei Zugvögeln sind erste Erfahrungen in sternenklaren wie diesigen Nächten durchaus erwünscht, denn vor allem dem Winter entfliehende Singvögel begeben sich bevorzugt im schützenden Dunkel auf den langen Weg in den Süden: Das minimiert die Gefahr, in den Fängen eines hungrigen Greifs oder in Thermik bedingten Turbulenzen zu enden.

Trotzdem bleibt die Reise in das Winterquartier natürlich ein schwieriger und gefahrvoller Trip – vor allem für Novizen: Wie schaffen es diese völlig unvorbereiteten und normalerweise tagaktiven Sänger, sich plötzlich nächtens gen Afrika zu orientieren und dann – wenn sie Glück haben – im nächsten Jahr wieder zielgenau in der alten Heimat einzutrudeln? Das ist eines der immer noch ungeklärten Details des Vogelzugs, dessen Entschlüsselung sich nun Forscher um Andrey Mukhin von der Biologischen Station Rybachy bei Kaliningrad zum Ziel gesetzt haben.

Als Studienobjekt wählten sie 31 junge Teichrohrsänger (Acrocephalus scirpaceus) in einem knapp sieben Hektar großen Röhricht nahe des russischen Dorfs Rybachy an der Ostseeküste, die sie mit kleinen Funksendern ausstatteten, um ihre lokalen Flugbewegungen überwachen zu können. Die Tiere waren zwischen 25 und 50 Tage alt, als sie in den Dienst der Wissenschaft gestellt wurden, sodass die Ornithologen den Zeitraum von den ersten Flugbewegungen bis zum Abschied in den Süden – der etwas mehr als fünfzig Tage nach dem Schlüpfen ansteht – vollständig überwachen konnten.

Bereits etwa 32 Tage nachdem die Küken das Licht der Welt erblickt hatten, zeigten sie sich anhand der empfangenen Signale durchaus nachtaktiv, ohne aber dabei das schützende Nest zu weit oder überhaupt hinter sich zu lassen. Doch deutete dies bereits mutigere Schritte an, denn noch vor dem vierzigsten Tag ihres Lebens setzte die Mehrzahl der jungen Vögel zu ersten kurzen nächtlichen Touren an – immer lange nach Einbruch der Dunkelheit –, die sie allerdings stets noch vor dem Morgengrauen an das heimische Schilfgeflecht zurückführten.

Mit weiter zunehmendem Alter nahmen dann die Ausflüge an Länge und Dauer zu: Einige Vögel kamen erst nach fünf Tagen wieder zu ihrer Schlüpfstätte zurück, andere verschlug es bis zu 2,5 Kilometer weit, wo sie von Mukhin und seinen Kollegen wieder lokalisiert wurden. Um die 52. Lebensnacht kehrten die Rohrsänger ihrer Heimat schließlich vorläufig bis zum nächsten Frühling endgültig den Rücken.

Innerhalb von nur drei Wochen hatten die Tiere also alle Befähigungen zum Zug erworben, und ihr ruheloses Nachtleben half ihnen dabei, wie die Wissenschaftler vermuten. Denn bislang war nur bekannt, dass sich nachts wandernde Vögel zu Beginn ihres zeitweiligen Exodus anhand eines inneren Himmelskompass orientieren, bevor sie in späteren Flugphasen auf ihr Magnetismusgespür umsteigen. Um aber diese Sternenuhr überhaupt erstmalig zu eichen, müssen die Vögel die Rotation der Gestirne beobachten, was wiederum eine Nachtschicht zwingend erforderlich macht und nun von Mukhin erstmalig an den Küken der Teichrohrsänger nachgewiesen wurde.

Ob dazu ein rein sitzendes astronomisches Beobachten im Nest ausreicht oder ob dafür schon erste Nachtflüge erforderlich sind, können die Ornithologen zwar noch nicht sagen. Doch die Streifzüge sind wohl noch aus einem zweiten Grund hilfreich: Der Rohrsängernachwuchs macht sich dadurch wohl mit der mittelbaren Umgebung seines Geburtsortes vertraut und konstruiert daraus eine gedankliche Karte, die ihn bei erfolgreicher Rückkehr wieder zielsicher in die vertraute Heimat lenkt. Denn der beste Beweis für die Eignung dieses Gebiets als Brutrevier ist ja seine eigene Aufzucht.

Darin mag nun ein gewisser Trost für Erziehungsberechtigte liegen: Denn wie bei den Rohrsängern wird auch die eigene Nachkommenschaft im Laufe ihres Lebens wieder häuslicher, und sie verlegt ihr Abendprogramm zunehmend nach vorne, was anscheinend ebenso für die Zugvogelwelt gilt: Wie die Forscher herausfanden, beginnen sie ebenfalls ihre nächtlichen Exkursionen stetig früher, bis sie bereits im Dämmerlicht auf ihre große Reise gehen – und das schon etwa 52 Tage nach dem Schlüpfen.

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