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Darwin-Jahr 2009: "Jugendliche werden indoktriniert"

Rund 30 Prozent der Deutschen halten die Evolutionstheorie zumindest teilweise für falsch und glauben an die biblische Schöpfungsgeschichte. Ein Grund zur Sorge? spektrumdirekt sprach mit dem Tübinger Wissenschaftsgeschichtler Thomas Junker über heimliche Indoktrinierung und den Mangel an evolutionsbiologischem Grundwissen.
Die Bibel
spektrumdirekt: Herr Junker, kürzlich haben Sie auf einer Fachtagung in Dortmund vorgetragen, unter anderem ging es um das Thema Schöpfungsglaube in Deutschland. Die Konferenz stieß auf reges Interesse, aber mal ehrlich: Ist der Kreationismus hier zu Lande wirklich ein Problem?

Thomas Junker: Ich habe in der Tat kein Problem damit, dass religiöse Gruppen sich in der Öffentlichkeit zu Wort melden. Das fällt unter freie Meinungsäußerung. Was mich eigentlich stört, sind Fälle, in denen Evolutionsleugner in Schulen und Universitäten aktiv werden.

spektrumdirekt: Und so etwas kommt tatsächlich vor?

Thomas Junker | Prof. Dr. Thomas Junker lehrt Geschichte der Biowissenschaften an den Universitäten Tübingen und Göttingen.
Junker hat zahlreiche Bücher und Artikel zur Geschichte und Theorie der Evolutionsbiologie und Anthropologie veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm "Der Darwin-Code" (Verlag C.H.Beck, München 2009).


Junker: Ja, die Öffentlichkeit bekommt nur nichts davon mit. Mein Kollege Ulrich Kutschera und ich haben vor acht Jahren die "AG Evolutionsbiologie" gegründet, als Anlaufstelle für genau solche Fälle. Wir hätten nie gedacht, wie oft uns Studenten und Schüler von entsprechenden Aktionen berichten.

spektrumdirekt: Schaut man sich Umfragen an, sieht es in der Tat recht düster aus in Deutschland: Etwa 30 Prozent der Menschen lehnen die Evolutionstheorie ab. Aber werden für ein solches Ergebnis nicht ganz unterschiedliche und möglicherweise auch eher moderate Ansichten unter dem Begriff "Kreationist" zusammengeworfen?

Junker: Nein. Bei einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2005 hieß es beispielsweise "Die Welt und der Mensch wurden innerhalb von sechs Tagen von Gott geschaffen". Dem haben 13 Prozent zugestimmt. Und 25,2 Prozent haben sich für eine Art "Intelligent Design" ausgesprochen, glauben also an das Wirken eines göttlichen Plans. Die Fragen sind recht konkret gestellt.

spektrumdirekt: Praktisch jeder Vierte müsste demzufolge antievolutionären Auffassungen anhängen. Sehen Sie das durch Ihre Erfahrung im persönlichen Bereich bestätigt?

Junker: Wegen meines Berufs werde ich im Privatleben immer wieder auf die Evolutionstheorie angesprochen. Ich bin überrascht, bei wie vielen Gesprächspartnern sich herausstellt, dass sie ein kreationistisches Weltbild haben.

"Aussitzen schafft erst die Probleme"

spektrumdirekt: Verglichen mit den USA sind diese Zahlen allerdings eher niedrig. Bekommt das Thema in Deutschland nicht möglicherweise zu viel Aufmerksamkeit? Kreationisten dürften sich freuen ...

Junker: Die freuen sich in der Tat über jede Form von Öffentlichkeit. Ich sehe das ebenfalls als zweischneidiges Schwert. Das Beispiel USA zeigt aber auch, dass stilles Aussitzen die Probleme überhaupt erst schafft. Amerikanische Wissenschaftlervereinigungen treten heutzutage deutlich bestimmter auf als früher.

spektrumdirekt: Gibt es denn in Wissenschaftlerkreisen ein Problembewusstsein?

Junker: Zum einen gibt es diejenigen, die einfach keine Lust haben, sich mit den abwegigen Ideen der Evolutionsleugner auseinanderzusetzen. Gerade Biologen empfinden es oft als Zumutung. Es ist, als würde man einen Astronomen dazu zwingen, sich dauernd mit Astrologie zu beschäftigen. Und zum anderen gibt es diejenigen, die sich dafür aussprechen, das Thema bewusst zu ignorieren. Aber Kollegen erzählen mir auch, wie erstaunt sie waren, in ihren Biologievorlesungen Studenten mit kreationistischen Ansichten anzutreffen. Wer sich nie damit befasst hat, steht in solchen Situationen ohne Argumente da. Deswegen haben wir gesagt: Wir machen etwas dagegen.

"Es wurde so getan, als sei das nichts Außergewöhnliches"

spektrumdirekt: Oft heißt es, zu einer umfassenden Bildung gehört es, beide Seiten zu kennen, weshalb auch die Schöpfungsgeschichte ihren Platz in der Schule haben sollte. Sie sehen das Informationsdefizit allerdings eher im Bereich Biologie.

Junker: Richtig. Viele Jugendliche haben keine Ahnung von Evolutionstheorie und werden regelrecht indoktriniert. Würden die Kinder dagegen schon im Grundschulalter und nicht erst irgendwann in der Oberstufe die Grundzüge kennen lernen, wären sie nicht so unvorbereitet. Dann könnten sie sich auch ihre eigene Meinung bilden. Nicht der Kreationismus an sich ist das Schlimme, sondern die Einflussnahme auf Menschen, die nicht abwägen können.

spektrumdirekt: Im Rahmen Ihrer Tätigkeit für die Anlaufstelle "AG Evolutionsbiologie" beobachten Sie immer wieder solche Fälle. Was geschieht da konkret?

Junker: Entsprechende Themen werden einfach auf den Lehrplan gesetzt. Mitte 2007 gab es beispielsweise an der FH Gießen den Fall, dass Informatikstudenten als Klausurstoff die Ansichten eines regelrechten Hardcore-Kreationisten lernen mussten. Zuerst wurde so getan, als sei das nichts Außergewöhnliches. Auf unseren Protest hin hat man es, wie es scheint, still und heimlich wieder sein lassen. Mit solchen Fällen werden wir relativ häufig konfrontiert.

spektrumdirekt: Große Wellen haben ja auch die Vorschläge der ehemaligen hessischen Kultusministerin Karin Wolff geschlagen, die biblische Schöpfungslehre im Biologieunterricht zu behandeln.

Junker: Ich denke, das hat ihr und der CDU geschadet. Kürzlich wurde ich eingeladen, einen Vortrag in der hessischen Landesregierung zu halten. Mein Eindruck war, dass man mittlerweile erkannt hat, dass man nicht so ohne Weiteres die Kreationisten bedienen kann, ohne gleichzeitig die Wissenschaftler zu verprellen.

"An das heliozentrische Weltbild haben wir uns auch gewöhnt"

spektrumdirekt: Auch wenn es an schulischem Wissen um die Details mangelt, den Kernpunkt der Evolutionstheorie – alle Entwicklung beruht letzten Endes auf Zufall – dürften die meisten verstanden haben.
Der Gelehrte als Affe | Darwins Ansichten blieben umstritten. Das Magazin "The Hornet" karikierte 1871 den Schöpfer der Evolutionstheorie als Orang-Utan.
Ist es nicht genau diese Tatsache, gegen die sich die überwiegende Mehrheit der Kreationisten bewusst entscheidet?

Junker: Mein Eindruck ist eher, dass die Evolutionstheorie auf den ersten Blick einfach kontraintuitiv wirkt. Aber an das heliozentrische Weltbild haben wir uns letztendlich auch gewöhnt. Ich bin da nicht pessimistisch. Wer sich besser auskennt, wird feststellen, dass Kreationisten nichts Sinnvolles dagegenzusetzen haben. Alles, was sie können, ist immer wieder Zweifel zu säen.

spektrumdirekt: Der Satz "Die Evolutionstheorie ist eben auch nur eine Theorie" hat sich selbst bei Leuten festgesetzt, die eigentlich eher wissenschaftsfreundlich eingestellt sind.

Junker: Das kann man sicher so sagen. Es ist die große Strategie der Kreationisten, wieder und wieder auf vermeintliche Lücken und Widersprüche hinzuweisen, die gar nicht existieren. Wenn ein Biologe aus rhetorischen Gründen eine noch offene Frage zum großen Problem stilisiert, wird das sofort aufgegriffen. Die Auflösung desselben Autors am Ende des Buchs lassen sie stillschweigend unter den Tisch fallen. Und wenn seriöse Medien immer wieder mit Thesen wie "Darwinismus am Ende!" titeln, mag das vielleicht spannend klingen, aber es bleibt eben nicht ohne Folgen.

spektrumdirekt: Seriöse Medien sprechen im Allgemeinen eher Intellektuelle an. Findet der Kreationismus in diesen Kreisen überhaupt Zuspruch?

Junker: Aus statistischer Sicht scheint die Zustimmung zum Kreationismus in der Tat mit sinkendem Bildungsgrad zusammenzuhängen. Es ist auch weniger die grundsätzliche Ablehnung der Entwicklungsgeschichte als vielmehr Skepsis gegenüber bestimmten Ideen. Der "Spiegel" distanzierte sich beispielsweise kürzlich von Ansätzen der Evolutionspsychologie. Dass das Verhalten des Menschen durch seine Natur bestimmt ist, wurde als völlig haltlos dargestellt. Mit welcher Vehemenz das geschah, hat mich erstaunt. Er hätte das nicht getan, würden solche Positionen nicht auf Gegenliebe stoßen.

spektrumdirekt: Zum Schluss hätten wir gerne noch einen Tipp von Ihnen: Wie sollte man in einer Diskussion konkret auf die Argumente der Kreationisten reagieren?

Junker: Mir scheint die Strategie, die Darwin selbst angewandt hat, am erfolgversprechendsten: Zunächst zuhören und dann beharrlich nach den Alternativerklärungen fragen. Dann kommen meist diese berühmten skurrilen Geschichten, etwa dass die Dinosaurier wegen des Sündenfalls ausgestorben sind. Die meisten Leute merken dann von selbst, wie absurd das ist.

spektrumdirekt: Herr Junker, vielen Dank für das Gespräch!

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