Reise zu Jupiter: JUICE und die Frage, ob es Leben gibt auf Jupiters Eismonden
Minus 200 Grad Außentemperatur, ein 25stel des irdischen Sonnenlichts und Strahlung, die einen Menschen nach wenigen Tagen umbrächte: Jupiters Eismonde sind keine Orte, an denen sich Leben, wie wir es kennen, wohlfühlt. Doch unter den von Eis überzogenen Oberflächen der Himmelskörper vermuten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler riesige Ozeane aus salzigem Wasser, voluminöser als alle Meere der Erde zusammen. Und: Wo Wasser ist, da ist biologische Aktivität denkbar – zumindest in einfachster Form.
Um das herauszufinden, startet am 14. April eine der letzten Ariane-5-Raketen vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana. An Bord: die größte Raumsonde, die die Europäische Weltraumbehörde ESA bislang ins äußere Sonnensystem geschickt hat. Ihr Ziel: Jupiter und seine direkte Umgebung. 95 Monde umkreisen den größten Planeten unseres Sonnensystems, dazu ist er von Ringen aus Staub und Eis umgeben, hat ein extrem starkes Magnetfeld sowie einen Strahlungsgürtel aus geladenen Teilchen. Viel zu tun für die sechs Tonnen schwere JUICE-Sonde und ihre zehn wissenschaftlichen Instrumente.
Der Name JUICE steht für »Jupiter Icy Moons Explorer«: Im Fokus der Mission stehen vor allem Europa, Ganymed und Kallisto, die eisigen Monde des Jupiter. Zusammen mit dem Vulkanmond Io sind die Jupitertrabanten komplexe Welten. Sie sind – von unserem Erdmond einmal abgesehen – die ältesten bekannten Monde. Entdeckt hat sie kein geringerer als Galileo Galilei, als er Anfang des 17. Jahrhunderts sein Fernrohr gen Himmel richtete.
Insgesamt 35-mal soll JUICE den Eismonden im Vorbeiflug nahekommen, bis die Sonde schließlich in einen Orbit um Ganymed einschwenkt, um diesen detaillierter zu untersuchen. Auch das ist ein Novum: Nie zuvor hat ein menschengemachter Raumflugkörper einen anderen Mond als den der Erde umkreist.
Polarlichter auf Ganymed
»Ganymed ist ein besonderer Mond«, erklärt Katrin Stephan vom Institut für Planetenforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). »Er ist nicht nur der größte Mond im Sonnensystem und sogar größer als der Planet Merkur, er weist auch besondere Merkmale auf: Sein Inneres ist in Schichten aufgebaut wie das der Erde. Das bedeutet, er besitzt eine Eiskruste, einen silikatreichen Mantel sowie einen flüssigen eisenreichen Kern – und dadurch auch ein eigenes Dipol-Magnetfeld.«
Wie das Magnetfeld der Erde schützt es Teile der Ganymed-Oberfläche vor Jupiters Strahlung. In mittleren geografischen Breiten, etwa am Übergang zwischen geschützten und ungeschützten Bereichen, hat das Weltraumteleskop Hubble bereits Polarlichter auf Ganymed gesichtet.
»In den Polbereichen trifft die Strahlung Ganymeds Oberfläche nahezu ungehindert, am Äquator wird sie dagegen vom Magnetfeld abgehalten«, sagt Katrin Stephan. »Dadurch können wir ihren Einfluss auf die Mondoberfläche mit anderen Prozessen, etwa der Schwankung der Oberflächentemperatur, vergleichen.«
Dafür eignen sich zwei Instrumente an Bord von JUICE besonders: Das Spektrometer MAJIS (Moons and Jupiter Imaging Spectrometer) für Infrarot- und sichtbare Strahlung sowie das optische Kamerasystem JANUS (Jovis, Amorum ac Natorum Undique Scrutato), das hoch aufgelöste Bilder nicht nur von Ganymed, sondern auch von den anderen Monden und Jupiter selbst liefern soll. Beide Instrumente wurden mit Beteiligung des DLR gefertigt – wie bei allen ESA-Missionen stammen die Bordinstrumente von Instituten aus ganz Europa. Auch die US-amerikanische Weltraumagentur NASA, die japanische Weltraumbehörde JAXA und die israelische Agentur ISA haben Beiträge geliefert: Die NASA hat das Ultraviolettspektrometer UVS entwickelt und, ebenso wie JAXA und ISA, an weiteren Instrumenten mitgearbeitet.
Spannung von Anfang an
Doch zunächst liegt ein weiter Weg vor JUICE. Ein kritisches Manöver folgt gleich auf den Start: Die Antennen und Solarpaneele müssen sich entfalten. Diese stellen die Kommunikation mit der Erde sicher und versorgen die Sonde mit Strom. Anders als frühere Raumfahrzeuge im äußeren Sonnensystem soll JUICE seine Energie nicht aus Radionuklidbatterien, sondern direkt von der Sonne beziehen. Doch Jupiter, fünfmal weiter von der Sonne entfernt als die Erde, erreicht nur ein Bruchteil des Sonnenlichts. Die Paneele sind entsprechend gigantisch: Um die erforderlichen 700 bis 900 Watt Leistung zu liefern, messen sie in der Fläche 85 Quadratmeter, bei einer Spannweite von rund 25 Metern.
Etwa eine Stunde nach dem Start wird sich zeigen, ob alles so funktioniert hat wie geplant und sich die Paneele wie Blütenblätter zu beiden Seiten der Sonde entfaltet haben. Der Sondenkörper besteht aus einem quaderförmigen Kasten, der in etwa so groß ist wie ein Auto und neben den meisten wissenschaftlichen Instrumenten auch die Hochleistungsantenne sowie eine kleinere, ausklappbare Antenne enthält. Ein knapp elf Meter langer Mast hält ein Magnetometer, das ungestört von der Sondenelektronik Jupiters Magnetfeld untersuchen wird.
Strahlungsschilde und Isolationsschichten sorgen dafür, dass die Elektronik der Instrumente vor der aggressiven Strahlungsumgebung im Jupitersystem und den enormen Temperaturschwankungen von fast 500 Grad geschützt bleiben. Wenn sich schließlich auch die Antennen und der Magnetometermast problemlos in Betrieb nehmen lassen, ist alles bereit für die Reise zum Jupiter.
Dreimal Erde, einmal Venus und schließlich: Jupiter
Diese Reise ist lang: Achteinhalb Jahre braucht JUICE voraussichtlich für die 6,6 Milliarden Kilometer. Wie bei interplanetaren Missionen üblich, schwenkt die Sonde zunächst in eine Sonnenumlaufbahn. Diese führt sie in den kommenden Jahren einmal zur Venus und dreimal zur Erde – bei jedem dieser Vorbeiflüge gewinnt JUICE Schwung. Beim ersten Erdvorbeiflug, geplant für August 2024, wird JUICE erstmals in der interplanetaren Raumfahrt das gemeinsame Schwerefeld von Erde und Mond ausnutzen – bislang war es stets das Schwerefeld der Erde allein, das zum Schwungholen genutzt wurde. Im Januar 2029 wird die Sonde dann, erneut vom Schwerefeld der Erde angeschubst, endlich Kurs auf Jupiter nehmen.
»JUICE ist eine der wenigen ESA-Missionen der zurückliegenden Dekaden, die einigermaßen im Zeitplan blieben«Paul Hartogh, Astrophysiker
Langweilig wird es während des Flugs nicht, meint Paul Hartogh vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung: »JUICE ist eine der wenigen ESA-Missionen der zurückliegenden Dekaden, die einigermaßen im Zeitplan blieben. Dadurch jedoch war der Zeitdruck, die Instrumente rechtzeitig aufzubauen und zu testen, so groß, dass viele Kalibrationen und Instrumentcharakterisierungen nun unterwegs im Weltall durchgeführt werden müssen.« Hartogh ist für das Submillimeter-Radioteleskop (SWI) an Bord verantwortlich, das unter der Leitung seines Instituts gebaut wurde. Der erste Schritt nach dem Start wird sein, das SWI und die übrigen Instrumente auf ihre Funktion zu testen. »Anschließend gibt es jedes Jahr die so genannten Payload-Checkouts; hier können wir beispielsweise die Ausrichtung unseres Teleskops während der Erdvorbeiflüge testen.«
Lebensspuren auf Venus, Kometenwasser auf Jupiter?
Beim Venusvorbeiflug im August 2025 wollen Hartogh und seine Kollegen eine kontroverse Frage klären: Enthält die Venusatmosphäre tatsächlich das Spurengas Phosphin, ein mögliches Stoffwechselprodukt einfacher Lebensformen? Diese Vermutung wurde erst vor wenigen Jahren aufgestellt. »Das SWI kann die chemische Verbindung beim Vorbeiflug mit 1000-fach höherer Empfindlichkeit messen, als das von der Erde aus möglich ist«, sagt Hartogh.
Im Juli 2031 ist es dann endlich so weit. JUICE schwenkt in das Jupitersystem ein, zunächst in einen Orbit um den Planeten. Denn auch Jupiter selbst steht im Fokus der Forscher. So wollen sie mit dem Submillimeter-Radioteleskop das Wasser in der Atmosphäre des Gasplaneten studieren. Vor zehn Jahren hatten Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop Herschel gezeigt, dass es sehr wahrscheinlich von Kometen stammt, die immer wieder auf Jupiter stürzen. Nachweisbar sein müssten vor allem noch jene Wassermoleküle, die vom Kometen Shoemaker-Levy 9 stammen. Dessen Bruchstücke tauchten erst im Juli 1994 in den Planeten Jupiter ein. JUICE soll Klarheit schaffen, berichtet Hartogh: Die Daten, so hofft er, werden Informationen über die Strömungsverhältnisse in der Jupiteratmosphäre, aber auch zur Rolle von Kometen als Wasserlieferanten bringen.
Die spektakulärsten Resultate aber werden wohl die Vorbeiflüge an Europa, Ganymed und Kallisto liefern – die namensgebenden Ziele der JUICE-Mission. Obwohl sie Nachbarn sind, könnten die drei unterschiedlicher kaum sein. Europa ist von Eis umhüllt, sein Inneres dagegen besteht zu 90 Prozent aus Fels und Eisen. Ganymed und Kallisto haben ebenfalls Eispanzer, aber zudem auch Eis in ihrem Inneren.
Die Oberflächen der Jupitermonde sind jünger, je kürzer die Distanz zu Jupiter ist. Der nämlich walkt die Monde mit seinen Gezeitenkräften durch wie einen Backteig, und zwar umso stärker, je näher sie ihn umkreisen. So ist Europas Oberfläche die geologisch jüngste der Jupitermonde. Kallisto hat die älteste Kruste im Jupitersystem und möglicherweise sogar im Sonnensystem insgesamt: Sie hat sich praktisch seit der Entstehung des Mondes nicht mehr verändert – außer, dass sie von zahlreichen Asteroiden getroffen wurde. Die von ihnen hinterlassenen Krater verraten damit das Alter der Kruste. Ganymed liege in vielerlei Hinsicht irgendwo in der Mitte, erklärt Katrin Stephan: »Der Mond ist so ein Zwischending zwischen Europa und Kallisto: Er hat eine ähnliche Eistektonik wie Europa, aber gleichzeitig dunkle, geologisch sehr alte Regionen wie Kallisto, die stark durch Einschlagskrater geprägt sind.«
Beide Monde zeigen die größte Vielfalt an Einschlagkratern des Sonnensystems: »Vor allem die größeren Krater können einen Zentralberg, eine zentrale Mulde oder eine doppelte Spitze aufweisen. Das Auswurfmaterial kann aber auch als erhöhter Ring den Krater umgeben. Manche Krater zeigen wenig Morphologie und sind nur als helle, also eisreiche Flecken zu sehen.« Die größten Krater sind von mehreren erhöhten Ringen umgebene Becken. »Die Morphologie ändert sich je nach Mobilität des Eises und ist ein Marker, wie die Eiskruste zur Zeit des Einschlags beschaffen war – ein Hinweis darauf, wie sich der Wärmefluss in der Eiskruste im Lauf der Zeit verändert hat.«
Unterstützung während der Mission kommt von der NASA: Deren Sonde »Europa Clipper« ist zur gleichen Zeit im Jupitersystem unterwegs – eine enge Zusammenarbeit ist geplant. Europa Clipper wird sich dabei vor allem auf den Mond Europa konzentrieren. JUICE wird Europa dagegen nur zweimal besuchen – zum einen wegen der Arbeitsteilung mit Europa Clipper, zum anderen, weil Europa von allen Eismonden die aggressivste Strahlungsumgebung hat: »Während der knapp vier Jahre im Jupitersystem sammelt JUICE bei den beiden nur jeweils eine Woche dauernden Europa-Vorbeiflügen die Hälfte der gesamten Strahlungsdosis ein«, sagt Hartogh. Ganymed wird 12-mal, Kallisto sogar 21-mal angeflogen.
Unter dem Eis verbergen sich Ozeane
Während des Flugs um Ganymed soll JUICE eine hoch aufgelöste Oberflächenkarte des Mondes erstellen, Grundvoraussetzung für die topografische Vermessung. Hierzu kommt das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt entwickelte Ganymed Laser Altimeter (GALA) zum Einsatz. GALA wird aus einer Entfernung von 200 Kilometern Höhenunterschiede von nur zehn Zentimetern ausmachen können – eine Fähigkeit, die entscheidend dabei helfen dürfte, die wohl wichtigste Frage der JUICE-Mission zu beantworten: Gibt es Leben auf den Jupitermonden?
»Sowohl theoretische Modelle als auch Messungen deuten darauf hin, dass es unter dem Eis der Monde riesige Ozeane gibt«, sagt Hauke Hussmann vom DLR. Der Physiker ist der wissenschaftliche Leiter von GALA. »Diese Ozeane sollen die gesamten Monde, also auch Ganymed, vollständig umschließen.« Bei Ganymed läge der hypothetische Ozean zwar 150 Kilometer unter Eis begraben, würde sich jedoch durch die Gezeitendeformation des Monds verraten: Jupiter erzeugt bei Ganymed durch seine Anziehungskraft Gezeitenberge, die den Eispanzer in regelmäßigem Rhythmus heben und senken. Eine Bewegung, die GALA nachweisen wird – wenn es sie gibt. »Bei Ganymed erwarten wir, dass die Höhe der Eisschicht bis zu sieben Meter variiert – aber nur, wenn tatsächlich ein Ozean vorhanden ist. Andernfalls wäre die Deformation sehr viel kleiner, etwa im Bereich von zehn Zentimetern«, sagt Hussmann.
»Für JUICE sehe ich keine Chance, Leben nachzuweisen«Hauke Hussmann, Physiker
Ob eine solche Wasserwelt Leben in welcher Form auch immer enthält, ist allerdings eine ganz andere Frage. Eine, die wohl erst spätere Missionen beantworten werden. »Für JUICE sehe ich keine Chance, Leben nachzuweisen«, meint Hussmann. »Aber natürlich ist die Mission wichtig, um Landestellen für spätere Raumfahrzeuge auszukundschaften.«
Vielleicht ist die Suche nach Hinweisen auf Leben jedoch nicht ganz so aussichtslos, wie Hussmann glaubt. Das Radioteleskop SWI werde auch die dünnen Atmosphären der Monde und die darin enthaltenen Gase und Moleküle untersuchen, erklärt Paul Hartogh. »Angenommen, es gibt Leben in den Ozeanen, etwa in Form von Bakterien, und Ozeanwasser träte in Form von Geysiren aus, wie man sie beispielsweise auf Europa beobachtet hat, dann besteht womöglich eine kleine Chance, biologische Stoffwechselprodukte nachzuweisen.«
Dass dafür freilich eine Verkettung vieler glücklicher Umstände nötig wäre, gibt der Forscher zu: Bislang wisse man noch nicht einmal mit Sicherheit, ob es auf Ganymed überhaupt Geysire gibt, geschweige denn, ob diese mit dem hypothetischen Ozean in Verbindung stehen. »Bei Europa wäre ein solches Szenario wahrscheinlicher, denn dessen Ozean liegt wohl nur zehn Kilometer unter Eis«, sagt Hartogh. »Von vornherein ausschließen möchte ich auch bei Ganymed nichts, aber besonders wahrscheinlich ist es nicht.«
Geduld ist gefragt. Bis zu den ersten brauchbaren Beobachtungen wird noch fast ein Jahrzehnt vergehen. Doch dann könnte unser Wissen über Jupiter, seine Monde und deren Umgebung geradezu explodieren: Noch nie waren zwei so ausgefeilte Raumsonden wie JUICE und Europa Clipper gleichzeitig und über Jahre im Jupitersystem aktiv. Dazu kommt mit dem bereits vor Ort aktiven NASA-Flugkörper Juno eine dritte. Ob lunare Ozeane oder nicht, ob Leben oder nicht – unser Bild des größten Planeten des Sonnensystems und seiner Monde wird sich ändern. Anderthalb Jahre, bis November 2034, haben die Forscherinnen und Forscher Zeit, die faszinierenden Welten zu studieren. Dann soll JUICE, so ist die derzeitige Planung, kontrolliert auf Ganymed abstürzen.
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