Paläo-Ornithologie: Jumbo im Federkleid
Ein Stoff für einen Horrorfilm: ein Greif, schwer wie ein ausgewachsener Mensch, mit der Spannweite eines Kleinflugzeug und einem hackmesserartigen Schnabel. Sie denken an Flucht? Aber bitte nicht zu Fuß, denn trotz seines Gewichts konnte der augestorbene Riesengeier Argentavis magnificens tatsächlich fliegen.
Als Mitte der 1990er Jahre die neue ICE-Strecke von Hannover nach Berlin gebaut werden sollte, kochten wie üblich bei derartigen Großinvestitionen die Emotionen hoch. Denn die Trasse sollte durch eines der letzten deutschen Brutgebiete der Großtrappen (Otis tarda) führen, von der damals nur noch wenige dutzend Tiere im brandenburgischen Havelland lebten. Naturfreunde forderten deshalb umfassende Schutzmaßnahmen entlang der Gleise, wenn schon keine Verlegung der Linie möglich sei, während die Kosten dafür von diversen Politikern und Medien als gigantische Steuerverschwendung gegeißelt wurden – schnell avancierten die Großtrappen zum "teuersten Vogel der Welt".
Gegenüber Argentavis magnificens erscheint die Großtrappe allerdings wie ein Hänfling gegenüber einem Adler: Dieser argentinische Koloss eines Vogels wog siebzig Kilogramm und hatte eine Flügelspannweite von sieben Metern – was den Dimensionen einer Cessna-152 fast entspricht. Und doch flog vor etwa sechs Millionen Jahren während des Miozäns auch dieser Gigant über Pampa und Anden Argentiniens, wie seine Anatomie verrät. Der Geierverwandte besaß leichte, mit Luftkammern versehene Knochen, verlängerte Schwingenknochen und große Knotenpunkte an den Ellen, in denen die Federkiele riesiger Federn verankert waren. Nach Hochrechnungen könnten die größten Schwungfedern bis zu 1,5 Meter lang gewesen sein.
Wenn sich aber die vergleichsweise leichte Großtrappe mit Start und Flug schon schwer tut, wie konnte es dann dem ungleich größeren Argentavis magnificens gelingen? Sankar Chatterjee vom Museum der Texas Tech University in Lubbock und seine Kollegen fütterten ihren Computer mit den aero-relevanten Daten des Riesenvogels und analysierten sie mit Hilfe einer Software, die eigentlich für die Aufarbeitung von Helikopterflugeigenschaften programmiert wurde.
Als erstes konnten sie damit ausschließen, dass der fossile Argentinier ein aktiver Flieger war, der sich mit eigenem Flügelschlagen in den Lüften hielt. Um sich so fortzubewegen, müssen die Flügelmuskeln über weite Strecken konstant arbeiten können, und je größer der Vogel ist, desto mehr Kraft und Energie benötigt er dafür. Im Vogelreich beträgt der Anteil dieser Flugmuskeln etwa 17 Prozent des gesamten Körpergewichts, was bei Argentavis magnificens entsprechend elf Kilogramm gewesen wären – zu klein und schwach, um dauerhaftes Flügelschlagen zu gewährleisten. Insgesamt, so die Kalkulation der Forscher, konnte er mit Eigenleistung nur maximal 170 Watt erbringen, während das Tier 600 Watt benötigt hätte, um aktiv zu fliegen.
Dagegen waren seine Flügel so angelegt, dass der Greif über lange Strecken segeln konnte – ähnlich wie die heutigen Kondore Südamerikas. Für ihren Auftrieb am Himmel sorgen wiederum zweierlei Luftströmungen, die sich wohl auch Argentavis magnificens zunutze gemacht hat, da sich seine fossilen Überreste sowohl am Fuße der Anden als auch weit entfernt davon in den flachen Grasländern der Pampa finden. Er profitierte zum einen von stetig hangaufwärts gerichteten Winden, wie sie an der Westseite der Anden kontinuierlich wehen. In der Pampa dagegen vertraute er auf die Thermik aufgeheizter Luftmassen, die tagsüber wegen der starken Einstrahlung für einen dauerhaften Auftrieb sorgen. Da die berechnete Sinkgeschwindigkeit der Vögel geringer war als das Tempo der jeweils aufsteigenden Winde, konnte Argentavis magnificens stundenlang, ohne sich größer anzustrengen, in der Luft bleiben.
Bleibt aber die Frage, wie er überhaupt in diese Höhen gelangte: Die Großtrappe etwa muss dafür sehr langen Anlauf nehmen – ähnlich wie ein Großraumflugzeug, das auf einer ausgedehnten Startbahn kräftig Schwung holt. Im Gebirge dürfte es für den argentinischen Vogel kein Problem gewesen sein abzuheben, da er sich prinzipiell nur von Graten oder Klippen in die Tiefe stürzen musste. Ein Start von ebenen Flächen aus der Pampa hingegen musste an seinem schwachen Flugapparat scheitern. Dennoch lebte Argentavis magnificens auch dort dauerhaft, wie Fossilienlagerstätten andeuten. Die Forscher vermuten daher, dass der Großgreif zumindest zu kleinen Hügeln gewandert ist, von denen er aus gegen den Wind talwärts laufend Schub gewinnen konnte: Auf mindestens fünf Meter pro Sekunde musste er dabei beschleunigen, damit er endlich die Bodenhaftung verlor.
Noch schwieriger gestaltete sich die Landung, da der Vogel seine nach den Simulationen hohe Anfluggeschwindigkeit so weit drosseln musste, dass es ihn nicht übel überschlug – ein Problem, mit dem heutzutage beispielsweise Albatrosse kämpfen, die ebenfalls begnadete Segelflieger sind, aber eher tollpatschig wieder auf den Boden kommen. Wie alle Segelfluger bremste deshalb wohl auch Argentavis magnificens immer mit nach vorne gestreckten Füßen und aufgestellten Flügeln, um einigermaßen heil anzukommen. Bruchlandungen waren da nicht ausgeschlossen, doch sollten sich potenzielle Spötter dennoch vorgesehen haben: Argentavis' Schädelform spricht dafür, dass er kein Aasfresser wie die heutigen Kondore war, sondern ein aktiver Jäger, der mit gewaltigem Schnabel und Klauen veritable Beute schlagen konnte – wenn es sein musste, auch erst beim zweiten Mal.
Auslöser des Ärgers war ein von den Ornithologen geforderter, 5,6 Kilometer langer und letztlich 10,6 Millionen Euro teurer Erdwall auf beiden Seiten des Schienenwegs, der verhindern sollte, dass die Vögel gegen Stromleitungen oder die Züge selbst fliegen. Und dieser war auch nötig, da die Großtrappen nicht nur eine der seltensten Arten Deutschlands ist, sondern auch zu den schwersten überhaupt flugfähigen Vögeln zählen. Mit einem Gewicht von bis zu zwanzig Kilogramm fällt es ihnen relativ schwer, sich in die Lüfte zu erheben – von schneidigen Flug- und Wendemanövern ganz zu schweigen: Kollisionen mit Zügen wären also vorbestimmt gewesen.
Gegenüber Argentavis magnificens erscheint die Großtrappe allerdings wie ein Hänfling gegenüber einem Adler: Dieser argentinische Koloss eines Vogels wog siebzig Kilogramm und hatte eine Flügelspannweite von sieben Metern – was den Dimensionen einer Cessna-152 fast entspricht. Und doch flog vor etwa sechs Millionen Jahren während des Miozäns auch dieser Gigant über Pampa und Anden Argentiniens, wie seine Anatomie verrät. Der Geierverwandte besaß leichte, mit Luftkammern versehene Knochen, verlängerte Schwingenknochen und große Knotenpunkte an den Ellen, in denen die Federkiele riesiger Federn verankert waren. Nach Hochrechnungen könnten die größten Schwungfedern bis zu 1,5 Meter lang gewesen sein.
Wenn sich aber die vergleichsweise leichte Großtrappe mit Start und Flug schon schwer tut, wie konnte es dann dem ungleich größeren Argentavis magnificens gelingen? Sankar Chatterjee vom Museum der Texas Tech University in Lubbock und seine Kollegen fütterten ihren Computer mit den aero-relevanten Daten des Riesenvogels und analysierten sie mit Hilfe einer Software, die eigentlich für die Aufarbeitung von Helikopterflugeigenschaften programmiert wurde.
Als erstes konnten sie damit ausschließen, dass der fossile Argentinier ein aktiver Flieger war, der sich mit eigenem Flügelschlagen in den Lüften hielt. Um sich so fortzubewegen, müssen die Flügelmuskeln über weite Strecken konstant arbeiten können, und je größer der Vogel ist, desto mehr Kraft und Energie benötigt er dafür. Im Vogelreich beträgt der Anteil dieser Flugmuskeln etwa 17 Prozent des gesamten Körpergewichts, was bei Argentavis magnificens entsprechend elf Kilogramm gewesen wären – zu klein und schwach, um dauerhaftes Flügelschlagen zu gewährleisten. Insgesamt, so die Kalkulation der Forscher, konnte er mit Eigenleistung nur maximal 170 Watt erbringen, während das Tier 600 Watt benötigt hätte, um aktiv zu fliegen.
Dagegen waren seine Flügel so angelegt, dass der Greif über lange Strecken segeln konnte – ähnlich wie die heutigen Kondore Südamerikas. Für ihren Auftrieb am Himmel sorgen wiederum zweierlei Luftströmungen, die sich wohl auch Argentavis magnificens zunutze gemacht hat, da sich seine fossilen Überreste sowohl am Fuße der Anden als auch weit entfernt davon in den flachen Grasländern der Pampa finden. Er profitierte zum einen von stetig hangaufwärts gerichteten Winden, wie sie an der Westseite der Anden kontinuierlich wehen. In der Pampa dagegen vertraute er auf die Thermik aufgeheizter Luftmassen, die tagsüber wegen der starken Einstrahlung für einen dauerhaften Auftrieb sorgen. Da die berechnete Sinkgeschwindigkeit der Vögel geringer war als das Tempo der jeweils aufsteigenden Winde, konnte Argentavis magnificens stundenlang, ohne sich größer anzustrengen, in der Luft bleiben.
Bleibt aber die Frage, wie er überhaupt in diese Höhen gelangte: Die Großtrappe etwa muss dafür sehr langen Anlauf nehmen – ähnlich wie ein Großraumflugzeug, das auf einer ausgedehnten Startbahn kräftig Schwung holt. Im Gebirge dürfte es für den argentinischen Vogel kein Problem gewesen sein abzuheben, da er sich prinzipiell nur von Graten oder Klippen in die Tiefe stürzen musste. Ein Start von ebenen Flächen aus der Pampa hingegen musste an seinem schwachen Flugapparat scheitern. Dennoch lebte Argentavis magnificens auch dort dauerhaft, wie Fossilienlagerstätten andeuten. Die Forscher vermuten daher, dass der Großgreif zumindest zu kleinen Hügeln gewandert ist, von denen er aus gegen den Wind talwärts laufend Schub gewinnen konnte: Auf mindestens fünf Meter pro Sekunde musste er dabei beschleunigen, damit er endlich die Bodenhaftung verlor.
Noch schwieriger gestaltete sich die Landung, da der Vogel seine nach den Simulationen hohe Anfluggeschwindigkeit so weit drosseln musste, dass es ihn nicht übel überschlug – ein Problem, mit dem heutzutage beispielsweise Albatrosse kämpfen, die ebenfalls begnadete Segelflieger sind, aber eher tollpatschig wieder auf den Boden kommen. Wie alle Segelfluger bremste deshalb wohl auch Argentavis magnificens immer mit nach vorne gestreckten Füßen und aufgestellten Flügeln, um einigermaßen heil anzukommen. Bruchlandungen waren da nicht ausgeschlossen, doch sollten sich potenzielle Spötter dennoch vorgesehen haben: Argentavis' Schädelform spricht dafür, dass er kein Aasfresser wie die heutigen Kondore war, sondern ein aktiver Jäger, der mit gewaltigem Schnabel und Klauen veritable Beute schlagen konnte – wenn es sein musste, auch erst beim zweiten Mal.
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