Jungsteinzeit: Aus dem Pinkelsatz gelesen
Vor etwa 10 000 Jahren wurde im anatolischen Hochland plötzlich mehr gepinkelt als zuvor. Einer Studie zufolge, die in der Fachzeitschrift »Science Advances« veröffentlicht wurde, bedeutet das: Menschen siedelten sich hier an und begannen, Nutztiere zu halten. Anhand der Konzentration an Urinsalzen im Gestein berechnete ein internationales Forscherteam die damalige Bevölkerungsdichte. Pro zehn Quadratmeter Siedlungsfläche sollen eine Person oder ein Tier gelebt haben – in den Jahrhunderten zuvor war das Land laut dem Forscherteam um Jordan Abell von der Columbia University in New York weitestgehend unbesiedelt.
Das Team um Abell verglich in der historischen Siedlung Aşıklı Höyük Salzkonzentrationen und Stickstoffisotope in Gesteinsschichten aus der Zeit der ersten festen Ortschaften. In einer 9700 bis 10 000 Jahre alten Schicht fanden sie 1000-fach höhere Konzentrationen an Natrium, Nitrat und Chlorid als in den darunterliegenden Schichten. Diese Salze stammen anscheinend aus dem Urin unserer Vorfahren und ihrem Vieh. Deren Zunahme und das resultierende »Pinkelmaximum« markieren laut der Studie den Beginn der Viehzucht. In jüngeren Schichten nahmen die Salzkonzentrationen wieder ab – vielleicht weil die Menschen ihr Vieh fortan auf die Weide trieben. Bisher können die Forscher um Abell noch nicht zwischen den Urinsalzen von Menschen und Tieren unterscheiden, planen aber bereits, die nötigen Verfahren zu erforschen.
Die neue Methode könnte dabei helfen, die Siedlungsgeschichte des Menschen weiter aufzuklären. Denn wann der Mensch vom wandernden Jäger zum sesshaften Bauern wurde, weiß man nicht genau. Man geht davon aus, dass dieser Übergang, den man als neolithische Revolution bezeichnet, zirka 8000 v. Chr. begann. Das Team um Abell glaubt wie viele andere, dass Ackerbau und Viehzucht mehrfach unabhängig voneinander auf der ganzen Welt entstanden sind. Zum Beispiel mitten in der Türkei. Dank weiterer Indizien wie Knochen und Pflanzenmasse ist sich das Team nun sicher, dass Menschen sich vor 10 000 Jahren in Aşıklı Höyük niederließen, um Schafe und Ziegen zu halten. Die Siedlung liegt auf einer Hochebene 1100 Meter über dem Meeresspiegel. In der Region ist es trocken genug, dass die wasserlöslichen Urinsalze auch noch nach Jahrtausenden Aufschluss über die Siedlungsdichte geben.
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