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Essverhalten: Kampf dem Hunger

Doch trotz vieler gesundheitlicher Risiken können die meisten Übergewichtigen ihr Essverhalten nicht ändern. Damit das nicht so bleibt, suchen Wissenschaftler eifrig nach natürlichen Appetitzüglern und "Fettschwundhormonen". Die Appetitregulierung beim Menschen ist ein komplizierter Mechanismus und immer noch nicht komplett erforscht. Man weiß aber, dass Hunger im Kopf entsteht, denn auch Menschen ohne Magen spüren Hunger.

Einen Versuch, den komplexen Regulationsmechanismus zu erklären, liefert die Glukostatische Theorie. Demnach ist der Hypothalamus, ein Teil des Zwischenhirns, für die Nahrungs- und Flüssigkeitsregulierung von großer Bedeutung. Der laterale Hypothalamus regt Hunger an, der ventromediale die Sättigung. Diese zwei Regulationsmechanismen stehen in enger Wechselwirkung: Ist das eine Zentrum aktiv, wird das andere gehemmt. Sowohl die Verdauungsorgane als auch das Fettgewebe produzieren Hormone, die diesem "Hungerzentrum" im Gehirn einen vollen oder leeren Bauch signalisieren. Sie geben zum Beispiel Auskunft über die Füllmenge des Verdauungstraktes oder über die bestehenden Fettreserven. Genau diese Hormone wollen Wissenschaftler erforschen, um sie gezielt im Kampf gegen Übergewicht als körpereigene Appetitzügler einzusetzen.

Wie dicke Labormäuse ihr Fett weg bekommen

Eines davon ist das schon vor 14 Jahren entdeckte Leptin, ein Hormon des Fettgewebes, das die Nahrungsaufnahme vermindert und die Stoffwechselumsatzrate erhöht. Dicke Labormäuse, die Leptin aufgrund eines Gendefektes nicht selber produzieren konnten, wurden durch eine Leptininjektion dünn. Die Forscher hofften damals, einen körpereigenen Appetitzügler entdeckt zu haben, der den Heißhunger dämpft und damit bewirkt, dass weniger gegessen wird. Aber das Fettschwundhormon hielt nicht, was es versprach. Es stellte sich heraus, dass verabreichtes Leptin nur wirksam ist, wenn das Hormon von Geburt an fehlt. Bei Übergewichtigen ist der Leptinspiegel im Blut sogar zu hoch, da sie mehr Fettzellen haben und deshalb mehr Leptin produzieren. Diese übermäßige Ausschüttung des Hormons führt zur Resistenz im Organismus.

Möglicherweise könnten aber andere Proteine die gewünschte Wirkung erzielen. Rachel Batterham und ihre Kollegen vom University College in London erforschten das Hormon PYY (3-36), das unter anderem im Dünndarm und Dickdarm gebildet wird. Dieses Peptid vermittelt die Nachricht "ich bin satt" und wird nach einer Mahlzeit proportional zum kalorischen Wert der aufgenommenen Nahrung freigesetzt. In Versuchen mit Labormäusen entdeckte Batterham, dass ein hoher Eiweißgehalt in der Nahrung zu einer vermehrten Ausschüttung von PYY führt und somit ein stärkeres Sättigungsgefühl bewirkt.

Durchbrüche und Irrtümer

Diese Feststellung scheint auch zu erklären, warum man nach einer eiweißreichen Kost länger satt ist. Dicke Labormäuse speckten durch die Proteindiät sogar ab. Knockout-Mäuse, denen die Erbanlage für PYY fehlte, neigten dagegen zur Fettsucht. Durch die Verabreichung von PYY verloren sie wieder an Gewicht.

Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung widerlegten jedoch die 2002 in der Fachzeitschrift "Nature" publizierten Ergebnisse. "In verschiedenen Experimenten konnte keine Hemmung der Futteraufnahme oder der Gewichtszunahme nach akuter oder chronischer Applikation festgestellt werden", so Vertreter des Instituts. Auch "Nature" revidierte 2004 den vorher als Sensation gefeierten Durchbruch. Ein dauerhafter Erfolg zur Bekämpfung von Fettsucht scheint noch nicht in Sicht.

Macht Glutamat high?

Doch nicht nur die Forschung ist aufgefordert etwas zu unternehmen. Auch die Nahrungsmittelindustrie beeinflusst das Hungergefühl durch die Zugabe von Glutamat in vielen Produkten, meint zumindest Michael Hermanussen, Kieler Professor für Kinderheilkunde. Künstlich zugesetztes Glutamat findet man bei der Inhaltsangabe eines Fertigprodukts unter den Zusatzstoffen (Nummer E620 bis E625). Jährlich werden weltweit 1,7 Millionen Tonnen Glutamat produziert und gegessen. Es ruft auf der Zunge die Geschmacksrichtung umami – "deftig, fleischig" hervor. Neurologisch betrachtet wirkt Glutamat wie ein Rauschgift, das nicht "high" macht, sondern künstlich Hunger erzeugt, indem es unter anderem die Funktion des Stammhirns beeinträchtigt.

Hermanussen nimmt an, dass Glutamat über die Bluthirnschranke, eine physiologische Barriere zwischen dem Zentralnervensystem und dem Blutkreislauf, ins Gehirn gelangt und den natürlichen Glutamatspiegel verändert. Bestimmte Regionen des Hypothalamus werden sogar zerstört. "Dadurch fressen Versuchstiere mehr und werden dick", so Hermanussen. Die Studie könnte erklären, warum viele Dicke in den USA auch dann nicht abnehmen, wenn sie weniger fettes Essen zu sich nehmen.
Der Wunsch nach der Traumfigur durch "Impfungen gegen Hunger" oder anderen "Wundermittelchen" wird noch einige Jahre in Anspruch nehmen, auch wenn fleißig geforscht wird.

Anne Kreßler


Dieser Beitrag ist Teil eines Projektes der Studenten des 3. und 5. Semester Wissenschaftsjournalismus der Hochschule Darmstadt zum Thema "Ernährung":
Das große Fressen

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