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Genetik: Kampf der Gene

Menschliche Zellen wehren sich bis zuletzt gegen virale Angriffe – dabei bekämpfen sich schließlich sogar einzelne Gene von Wirt und Eindringling. Doch der Kampf eines Verteidungsgens gegen HIV hat offenbar eine viel längere Geschichte.
Viren haben es schon schwer: Irgendwo in der Grauzone zwischen Leben und Tod ohne aktiven Stoffwechsel vor sich hin vegetierend, brauchen sie einen Wirt, um zum Leben zu erwachen und sich zu vermehren. Doch wer stellt schon freiwillig einem ungebetenen Eindringling zu dessen Vorteil und zum eigenen Schaden seine Vervielfältigungs- und Eiweißproduktionsstätten zur Verfügung? Kampflos lässt das niemand mit sich machen. Deswegen müssen Viren erst einmal einigen Waffen die Stirn bieten, bevor sie ihr Ziel erreichen und ins Innere einer Zelle vorgedrungen sind. Dort ist der Kampf dann aber noch lange nicht zu Ende, denn auch der letzte Schritt, die Ausnutzung der zelleigenen Arbeitsgeräte, muss hart erkämpft werden.

Einer der Stolpersteine, die die Wirtszelle einem eingedrungenen HI-Virus in den Weg legt, um dessen Vervielfältigung zu verhindern, wurde erst kürzlich entdeckt: Verschiedene menschliche Zellen tragen ein Gen namens APOBEC3G (apolipoprotein B-editing catalytic polypeptide 3G). Das von ihm produzierte Protein überwacht den ersten Vervielfältigungsschritt des Retrovirus, den Umbau der viralen RNA in DNA; das Verteidigungseiweiß tauscht flugs eine Aminosäure durch eine andere aus, sodass das Erbgut des Eindringlings falsch zusammengebaut wird. Schön für den Infizierten, schlecht für das Virus – dieses kann sich nun nicht mehr vermehren.

Doch ganz so einfach ist die Sache leider nicht, denn HIV hält seinerseits mit einem Gen namens Vif dagegen: Das Vif-Protein sorgt dafür, dass APOBEC3G als Ausschuss markiert wird. Die Wirtszelle schickt daraufhin brav das vermeintlich fehlerhafte Hilfsprotein in den Schredder und macht dem HIV den Weg wieder frei.

Zwischen Wirtszelle und feindlichem Virus tobt also ein Kampf der Gene; beide versuchen, das andere zu schädigen und sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Ein solcher Kampf bleibt nicht ohne Spuren – es kommt zur so genannten positiven Selektion: Mutationen, also genetische Veränderungen, die das eigenen Überleben sichern und das feindliche Gen beeinträchtigen, setzen sich dabei schnell durch. Betroffen von Mutationen ist vor allem der Teil des Gens, der dem Bereich des Proteins entspricht, der mit dem Fremdgen in Kontakt tritt.

Eine solche positive Selektion sollte also auch zwischen APOBEC3G und Vif stattgefunden haben – oder waren da womöglich andere Kräfte am Werk? Sara Sawyer, Michael Emerman und Harmit Malik vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle nahmen die Entwicklungsgeschichte von APOBEC3G nun genauer unter die Lupe.

Sie sequenzierten dieses Verteidigungsgen verschiedener Primatenarten: Mensch, vier Menschenaffen (Orang Utan, Schimpanse, Bonobo und Gorilla), vier Altweltaffen (Makake, Pavian, Husarenaffe, Grüne Meerkatze) und zwei Neuweltaffen (Wollaffe, Rotbauchtamarin) – damit überblickten sie 33 Millionen Jahre der Evolution.

APOBEC3G | Das Protein APOBEC3G tauscht beim Umschreiben der viralen RNA in DNA Aminisäuren aus. Auf Grund der veränderten DNA kann sich das Virus nicht mehr vermehren. Diese Verteidigungsstrategie besteht schon seit der gesamten Entwicklung der Primaten. Das affenpathogene SI-Virus beziehungsweise das HI-Virus infizieren erst seit viel jüngerer Zeit die Primaten (infizierte Arten rot eingekreist); beide haben nur sehr geringen Einfluss auf die Entwicklungsgeschichte des Gens APOBEC3G.
Die vergleichende Analyse der genetischen Daten zeigte eindeutig, dass eine positive Selektion auf APOBEC3G eingewirkt hat – und zwar während der ganzen Entwicklungsgeschichte der Primaten. Dabei traten zu verschiedenen Zeitpunkten Mutationen in allen Bereichen des Gens auf; nur wenige Veränderungen gab es an den Genorten, die an der Interaktion von APOBEC3G und Vif beteiligt sind.

Offenbar hatte Vif also nur einen schwachen Einfluss auf die Entwicklungsgeschichte des Verteidungsgens. Zudem wird das Alter von Lentiviren wie dem HI-Virus auf maximal eine Million Jahre geschätzt – viel zu jung also, um den wesentlich früher beginnenden Selektionsdruck auf APOBEC3G erklären zu können.

Wenn Lentiviren also nur geringfügig auf APOBEC3G eingewirkt haben, wie lässt sich dann dessen starke positive Selektion erklären? Die Forscher halten humane endogene Retroviren (HERV) für verantwortlich. HERV sind DNA-Abschnitte viralen Ursprungs, die bei allen Wirbetieren gefunden wurden; bei Primaten sind sie seit rund vierzig Millionen Jahren Bestandteil der DNA. Sie machen bis zu ein Prozent des Genoms aus und haben zum Teil Funktionen in der Zelle übernommen. Pathogene Abschnitte sind im Laufe der Evolution vermutlich verloren gegangen.

Diese humanen endogenen Retroviren kämpfen schon seit mehr als Menschengedenken erfolgreich um ihren Bestand im Genom – Zeit genug also, um auf die Entwicklungsgeschichte des Verteidigungsgens APOBEC3G Einfluss zu nehmen.

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