Invasive Arten: Kampf ums Eichhörnchen
Reichlich Fressfeinde hatten sie schon immer: Habicht, Uhu, Marder, Katze – wirklich gefährlich wird den rotbraunen Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) Europas aber nur ein Konkurrent aus den eigenen Reihen. 1876 setzten Wohlmeinende das erste Grauhörnchenpaar (Sciurus carolinensis) als Andenken an die Neue Welt in der nordwestenglischen Grafschaft Cheshire aus. Da die amerikanischen Vetter mindestens so niedlich wie die heimischen Eichhörnchen und obendrein zutraulicher sind als diese, hielt die Mode an: Befeuert durch weitere Freilassungen in den nächsten Jahrzehnten und die natürliche Vermehrung stehen in England heute nur noch 140 000 Eichhörnchen etwa drei Millionen Verwandten aus Nordamerika gegenüber.
Die grauen Nager beanspruchen den gleichen Lebensraum wie ihr europäischer Verwandter und sind diesen vor allem bei der Nahrungssuche überlegen: Mit bis zu 700 Gramm wiegen sie fast doppelt so viel, sind bei der Futterwahl weniger wählerisch (sie fressen zum Beispiel auch unreife Eicheln) und im Winter aktiver. Sie haben also mehr Zeit für die Suche nach Nahrung und entdecken und plündern daher auch die im Herbst angelegten Nuss- und Samenverstecke ihrer europäischen Verwandten – mit fatalen Folgen: Die Eichhörnchen bekommen im Frühjahr weniger Junge, weil sie wegen der fehlenden Vorräte geschwächt sind, sofern sie überhaupt durch die kalte Jahreszeit kamen. Die Grauhörnchen hingegen überstehen wegen ihres größeren Fettvorrats selbst harte Winter und pflanzen sich erfolgreicher fort. Und der starke Konkurrenzdruck ist nicht alles: Grauhörnchen übertragen fatalerweise auch noch einen Parapoxvirus, der die so genannten Eichhörnchenpocken auslöst. Während sie selbst immun sind, entwickeln infizierte Rothörnchen offene Geschwüre und sterben kläglich innerhalb von zwei Wochen.
"Die Grauen sind eine ernste Bedrohung für die Roten. In den Ländern, in denen sie eingeführt wurden, also England, Irland und Italien, hat ihre Ausbreitung zu einem dramatischen Rückgang der dortigen Eichhörnchenpopulationen geführt", erklärt deshalb der Biologe Sandro Bertolino von der Universität Turin, der die Grauhörnchenpopulationen in Norditalien untersucht. Die konkurrenzstarken Einwanderer wurden aus diesem Grund von der Internationalen Naturschutzunion (IUCN) auf die Liste der 100 weltweit schädlichsten eingeschleppten Tierarten gesetzt.
Schaden für Mensch und Tier
Auch in England gelten die Tiere offiziell als Schädlinge. Nicht nur, weil sie die Eichhörnchen nahezu vollständig verdrängt haben. Es gibt Hinweise, dass auch der Rückgang der Singvogelpopulationen mit auf ihr Konto geht. Tatsächlich fressen Grau- wie Eichhörnchen ab und an Vogeleier sowie Küken, doch die amerikanischen Exoten kommen in höheren Dichten vor und fressen den Vögeln zudem einen Teil des Futters weg. Den wirtschaftlich größten Schaden richten sie jedoch in der Forstwirtschaft an, wo sie jährlich schätzungsweise sieben Millionen Euro Verlust verursachen, weil sie besonders im Frühjahr die Rinde von jungen Laubbäumen wie Eichen und Buchen abknabbern und -reißen – selbst Kiefern und Fichten verschonen sie nicht. "Durch die Stammschäden verlieren die Bäume an Wert. Teilweise entstehen Wuchsstörungen, manche Bäume sterben ab", sagt Robert Gill von der Waldforschungsstation in Farnham.
In einigen Gegenden Großbritanniens werden die Tiere deswegen bereits bekämpft. Man fängt sie in der Regel lebend und erschlägt sie danach. Mancherorts treibt der Kampf ums Eichhörnchen zudem bereits seltsame Blüten: Die englische Kampagne "Save Our Squirrels" rief unter dem Motto "save a red, eat a grey" zum Verzehr der Grauhörnchen auf. Rezepte wie "Grauhörnchen auf Zwiebelbett" oder "Grauhörnchen in Rotweinsauce" finden sich im Internet. "Ja, man kann sie tatsächlich essen", bestätigt Gill, "aber populär ist das nicht, die meisten Menschen schauen ihnen dann doch lieber zu, als sie zu essen." Diese Maßnahmen stoßen bei der Bevölkerung und vor allem bei Tierschützern natürlich nur auf wenig Gegenliebe, dennoch sollen aber manche davon auch intensiv in Norditalien zum Einsatz kommen.
Ebenso wie ihre britischen Artgenossen gelangten sie als Andenken an die USA nach Italien: 1948 setzte ein italienischer Politiker zwei Grauhörnchenpaare in seinem Anwesen in der Nähe von Turin aus, aus dem sie entflohen und sich vermehrten. Heute leben Grauhörnchen im Piemont, in Ligurien und im Tessintal in der Lombardei. Das Land steht daher unter Druck, denn als Mitunterzeichner der Berner Konvention – das Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wild lebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume – hat sich auch Italien verpflichtet, die Einwanderung fremder Tierarten zu überwachen und deren Ansiedlung zu begrenzen. Bereits 2008 hatte die Konvention Italien empfohlen, die Grauhörnchen vor Ort auszurotten, damit sie nicht in die Schweiz und nach Frankreich einwandern können.
Den Kontinent im Visier
"England und Irland sind Inseln. Von der Grauhörnchenpopulation in Italien geht eine viel größere Gefahr aus, weil sich die Tiere von hier aus in ganz Europa ausbreiten können", sagt Bertolino. Tatsächlich lebt die Grauhörnchenpopulation des Tessintals schon sehr nahe an der Schweiz: Nur 15 Kilometer Luftlinie sind es noch bis zur Grenze. Da sich die Hörnchen allerdings nur entlang von Wäldern ausbreiten können, müssten sie effektiv noch 25 Kilometer zurücklegen, so Bertolino. Der Übertritt in die Schweiz sei dennoch nur noch eine Frage von wenigen Jahren.
Das EU-finanzierte Projekt EC-SQUARE versucht diesen Zeitpunkt indes hinauszuzögern: "Der Fokus liegt auf den ökologisch gefährlichsten Populationen. Es wird zwar kaum möglich sein, sie vollständig auszurotten, aber wenigstens die Ausbreitungsgeschwindigkeit soll verlangsamt werden", erläutert Piero Genovesi, Vorsitzender der IUCN-Expertengruppe für invasive Arten. Die Tiere werden lebend gefangen und umgehend mit Kohlendioxid eingeschläfert. Den beteiligten Experten ist die Unpopularität dieser Maßnahmen völlig bewusst. "Es ist aber die einzige Möglichkeit, das einheimische Eichhörnchen langfristig zu retten", betont Bertolino. In Teilen Englands und Schottlands konnte das Eichhörnchen nach solchen Maßnahmen wieder erfolgreich angesiedelt werden.
Alternativen zur Tötung der Tiere existieren bislang ohnehin noch nicht. An einer sterilisierenden Impfung wurde in England bislang erfolglos geforscht. "Um große Populationen in Schach zu halten, ist das Töten der Hörnchen die einzig praktikable Methode", sagt Genovesi. Nur in Ausnahmefällen werden Tiere per Hand unfruchtbar gemacht und danach in Gefangenschaft gehalten – eine teure Lösung, die nur für kleinere Hörnchenvorkommen in Frage kommt – etwa für Tiere, die in städtischen Parks leben.
Neben dem konsequenten Eingreifen des Menschen gibt es nur einen weiteren Hoffnungsschimmer für das Eichhörnchen: In reinen Nadelwäldern sind sie ihren grauen Vettern noch überlegen. In den Nadelwaldgebieten Nordenglands und Schottlands konnten sie sich bis heute behaupten – als letztem natürlichem Zufluchtsort.
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