Pestarten: Kaninchenkrieg in Australien
Kaninchen sind putzige Tierchen. Die Langohren sind als Haustiere beliebt, machen sich im Kochtopf gut, und jetzt zur Osterzeit hat der Hase als Eier bringendes Fruchtbarkeitssymbol Hochkonjunktur. Er begegnet einem aus Plüsch und Schokolade, in gebackener Form und als Dekorationselement aus Holz oder Porzellan. Das ist in Australien nicht anders. Die eingewanderten Europäer brachten eben auch ihre Sitten und Gebräuche nach Down Under.
Eines aber ist in der Hasen- und Kaninchenfrage auf dem fünften Kontinent grundlegend anders: Die Hoppler gelten als Plage. Vor allem das Europäische Kaninchen schädigt Wirtschaft und Umwelt enorm. Es gehört damit zu einer Reihe von eingeschleppten Tierarten, die auf dem Kontinent Verheerungen anrichten – und deswegen mit allen Mitteln bekämpft werden. Allein hunderte Wissenschaftler gehen tagein, tagaus der Frage nach, wie man am besten, am effektivsten, am preiswertesten Oryctolagus cuniculus den Garaus macht.
In einigen Regionen von Südaustralien, Victoria und New South Wales leben auch die mit ihnen verwandten Hasen in großen Populationen. Zwar schädigen auch diese Leporidae die Landwirtschaft, aber nicht in einem Ausmaß wie ihre Kaninchenverwandtschaft. »Sie haben eine andere Biologie und ein anderes Reproduktionsverhalten als Kaninchen«, sagt Tanja Strive vom CSIRO Biosecurity Flagship in Canberra, und fügt warnend hinzu: »Sie gelten als ›schlafende Plage‹, und wir müssen sie im Auge behalten.«
Vielleicht nicht so ganz zufällig kurz vor Ostern sorgte in australischen Medien ein innovativer Ansatz der Wissenschaftler für eine gewisse Furore. Schenkt man den Medienberichten Glauben, so ist das K5-Calicivirus die neue Superbiowaffe gegen die Kaninchenplage. Dabei handelt es sich um einen aus Südkorea importierten, deutlich infektiöseren Stamm des bereits seit 1995 in Australien verbreiteten Kaninchen-Calicivirus (RHDV). Caliciviren lösen ein hämorrhagisches Fieber bei den Tieren aus. Gerinnsel verstopfen Äderchen in Lunge, Niere und Herz. Die Organe versagen. Der Tod tritt ein.
Killervirus mit kleinen Mängeln
Wie sich aber herausstellte, trägt in den gemäßigten Breiten des Kontinents so manches Kaninchen das verwandte, aber harmlose Virus RCV-A1 in sich, das unglücklicherweise vor RHDV schützt. »Wenn sie sich mit dem RCV-A1 angesteckt haben, dann sind die gegen RCV-A1 gebildeten Antikörper ein partieller Schutz gegen RHDV. Die Sterberate sinkt um 50 Prozent«, erklärt Professor Greg Mutze, Forscher für Biosicherheit am Landwirtschaftsinstitut PIRSA der Regierung von Südaustralien. Zudem haben die Kaninchen über die Jahre Resistenzen gegen RHDV entwickelt. »Es ist so gut wie unvermeidbar, dass einige Kaninchengenotypen resistenter gegenüber neuen Krankheiten werden als andere«, seufzt Mutze.
Bei Tests und Experimenten mit einer Reihe verschiedener RHDV-Stämme hat K5 am besten abgeschnitten. »Labortests weisen darauf hin, dass die RCV-A1-Antikörper sehr viel weniger vor einer K5-RHDV-Infektion schützen als vor RHDV«, sagt Mutze.
K5 ist derzeit in der Zulassungsphase. K5 könne in den gemäßigten Breiten von Nutzen sein, weil es offenbar den schützenden Effekt des gutartigen Virus überwindet, das in diesen kühl-feuchten Regionen vorkommt, erklärt Tarnya Cox vom Invasive Animals Cooperative Research Center. »Das war einer der Gründe für die Wahl von K5«, weiß die Wissenschaftlerin. Cox betont aber auch: »K5 ist nicht das Wundermittel gegen die Kaninchenplage, weil es nicht die Immunität gegen existierende Stämme überwindet. Statt einen plötzlichen drastischen Fall der Zahlen zu erwarten, sollten wir über die Jahre auf eine graduelle Abnahme der Kaninchenzahlen hoffen.«
Kaninchen kamen mit den Strafgefangenen der »First Fleet«, der ersten elf Schiffe, die 1788 in Australien eine Kolonie gründeten, als Schlachttiere zur Ernährung der Siedler nach Australien. Das funktionierte auch ganz gut – die Tiere wurden in Käfigen oder Gehegen gehalten. Das Unheil nahm seinen Lauf, als der passionierte Jäger Thomas Austin auf seiner Farm Barwon Park in Victoria zu Jagdzwecken 24 Wildkaninchen und Hauskaninchen aussetzte. »Die Einführung von ein paar Kaninchen wird kaum Schaden anrichten, kann aber, neben einem Jagdrevier, ein Gefühl von Heimat geben«, soll Austin seinerzeit gesagt haben.
Zehn Milliarden Kaninchen
Austin lag falsch. Die Karnickel machten ihrem Ruf als extrem vermehrungsfreudige Spezies alle Ehre und breiteten sich binnen weniger Jahrzehnte in ganz Australien aus. Ende 1920 soll ihre Zahl bei geschätzten 10 Milliarden gelegen haben. Heute gelten 4 der 7,6 Millionen Quadratkilometer Australiens als Kaninchenland.
Ein Grund für die rasante Eroberung des Lebensraums Australien war das günstige Klima. Dank der milden Winter können sich die Kaninchen ganzjährig vermehren. Eine weitere Theorie geht davon aus, dass die beiden Kaninchenarten im Jagdrevier von Austin fröhlich durcheinander rammelten und so einen besonders zähen und kräftigen Hybridnachwuchs zeugten.
Das australische Umweltministerium zieht auf seiner Website in dem Kapitel »Feral European Rabbit« eine Ökobilanz des Schreckens. »Wilde Kaninchen sind Konkurrenten der einheimischen Wildtiere, sie schaden der Vegetation und dem Boden. Ihre Auswirkungen werden in Dürrezeiten und nach Waldbränden oft noch schlimmer, denn dann fressen sie, was immer sie kriegen. Sie haben zum Schwund zahlreicher einheimischer Tiere und Pflanzen beigetragen.« Die Bauern hassen die Nager, weil sie ihnen die Ernte wegfressen. Laut dem Invasive Animals Cooperative Research Centre beläuft sich der Schaden für die Landwirtschaft durch Kaninchen auf 143 Millionen Euro pro Jahr.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts versuchen die Australier mit allen Mitteln, der Kaninchenpopulation den Garaus zu machen. Sie werden erschossen; ihre unterirdischen Bauten werden mit Giftgas ausgeräuchert oder gesprengt; man rückt ihnen mit Gift zu Leibe. 1907 baute Westaustralien einen 3 256 Kilometer langen Zaun, um die Nager von den fruchtbaren Weiden und Feldern fernzuhalten. Vergeblich. Kaninchen können sehr hoch springen und sehr tief buddeln.
Giftgas, Sprengstoff, Biowaffen
Zur gleichen Zeit wurde auch schon mit dem Einsatz von Biowaffen im Kaninchenkrieg experimentiert. Der erste belegte Ansatz mit der Infektion von Kaninchen mit einer Milbe, die die Krankheit Ohrräude verursacht, schlug im Jahr 1885 fehl. 1906 und 1907 experimentierten Jean Danysz vom Pasteur Institut in Paris und sein australischer Kollege Frank Tidswell ohne nachhaltigen Erfolg mit dem Pasteurella-Bakterium.
Der vermeintliche Durchbruch kam 1950 mit dem Einsatz des Myxomavirus, dem Auslöser der Kaninchenpest. Durch die Kaninchenpest sank die Zahl der Tiere zunächst von geschätzten 600 Millionen auf 100 Millionen. Der Erfolg hielt allerdings nicht lange – über die Jahre hinweg entwickelten die Tiere eine genetische Resistenz gegen das Virus, und die Kanichenpopulation lag um 1991 schon wieder bei 200 bis 300 Millionen Exemplaren.
Um diesem Trend wieder Einhalt zu gebieten, startete CSIRO Versuche mit dem Calicivirus, das die Rabbit Haemorrhagic Disease (RHD) auslöst. Die Versuche waren erfolgreich. Im Oktober 1995 wurde das Virus in Kaninchenpopulationen in Yunta und Gum Creek im Nordosten von Südaustralien eingeschleust und im australischen Winter 1996 in den Bundesstaaten Victoria, New South Wales und Westaustralien.
In einen euphorischen Freudentaumel verfallen australische Ökologen über das neue K5-RHDV allerdings nicht. Über kurz oder lang werden einige Kaninchen den K5-Anschlag überleben und ihre Immunität an ihren Nachwuchs vererben, erklärt CSIRO-Molekularbiologin Tanja Strive. Hinzu komme eine genetische Resistenz. »Ob K5 oder jedes andere biologische Kontrollagens – es gibt kein Entkommen aus der Wirt-Pathogen-Evolution. Das wird letztlich in einem Jahrzehnt oder so zu einer Zunahme der Resistenz gegen K5 führen«, prophezeit Strive.
Trotz der Rückschläge ist der Einsatz der Myxoma- und Caliciviren für Tanja Strive ein »riesiger Erfolg«. Begeistert zählt Strive die Viruswohltaten auf: »Mit Blick auf die Kosten der Forschung sind die beiden Viren beispiellos. Der kumulative Nutzen aller biologischen Kaninchenkontrollmaßnahmen der letzten 60 Jahre für die Landwirtschaft wird auf 70 Milliarden Australische Dollar geschätzt. Hinzu kommen zahlreiche Vorteile für die Umwelt. Viele Tier- und Pflanzenarten konnten sich erholen. Ohne diese beiden Viren hätte Australien wahrscheinlich sehr viel mehr einheimische Arten verloren, und einige Landstriche wären unwiderruflich zum Schlechteren verändert worden.«
Einheimische Arten unter Druck
Auf den Osterhasen übrigens müssen Australiens Kinder trotz des Kriegs gegen Kaninchen nicht verzichten. Der Bilby – auch er ist graubraun, hat lange Ohren und hoppelt – hat den Job übernommen. Der Macrotis lagotis ist auch eine jener uraustralischen Tierarten, die durch invasive Spezies wie Füchse, Katzen und eben Kaninchen vom Aussterben bedroht ist.
Eine Reihe von Bilby-Schutzinitiativen kämpft für das Überleben des Kaninchennasenbeutlers. Die Erhebung des Bilbys zum eingeborenen Osterhasen war ein geschickter Schachzug – dank der Schokoladenmarke Pink Lady von Fyna Foods gibt es den Bilby gar als süße Alternative zu den Schoko-Osterhasen. »Der Bilby lebt seit 15 Millionen Jahren in Australien«, sagt Fyna-Foods-Sprecherin Natalie Trinh. »Die eingewanderten Australier haben dann in nur etwa 200 Jahren das Tier an den Rand der Ausrottung gebracht.« Fyna Foods Australia sei deshalb als Sponsor von »Save the Bilby« sehr »stolz darauf, einen positiven Beitrag zum Erhalt unserer einheimischen Tierarten zu leisten«.
Eines allerdings ist allen Beteiligten glasklar: Das Kaninchen ist und bleibt in Australien. »Eine Ausrottung in einem Gebiet von der Größe Australiens ist praktisch unmöglich. Auch nicht mit biologischen Mitteln. Ein biologisches Agens wird nicht alle seine Wirte töten«, antwortet Strive auf die Frage, ob Australien jemals frei von Kaninchen sein wird. Mutze fasst sich kürzer: »Niemals.«
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