Arktis: Wie bringen wir das Eis der Arktis zurück?
Als sich die Arktis im letzten Herbst in ihren alljährlichen Dämmerzustand begab, war vieles anders als sonst. Die Eiskappe über dem arktischen Ozean begann zu schrumpfen, obwohl sie in dieser Jahreszeit eigentlich hätte wachsen sollen. Die Temperaturen am Nordpol stiegen um mehr als 20 Grad Celsius über die jahreszeitüblichen Werte, und es kam ungewöhnlich häufig zum Zusammenstoß von Mensch und Polarbär, während die Tiere an den Küsten der Hudson Bay herumstreunten und auf das Zufrieren des Meeres warteten.
All dies macht deutlich, wie schnell die Klimaveränderungen sich auch im weit abgelegenen Norden bemerkbar machen. Doch das war noch nicht alles. Nachdem der Herbst schon ungewöhnlich war, gab der Sommer den Wissenschaftlern erst recht zu denken. Ihren Berechnungen nach könnte nun schon 2030 fast das gesamte Eis im arktischen Ozean schmelzen und dabei das dortige Ökosystem völlig auf den Kopf stellen sowie etliche Gemeinden im Norden auseinanderreißen. Dadurch wird sich die ganze Region verändern. Ein immer blauerer, nicht zugefrorener arktischer Ozean könnte den Trend der Erwärmung verstärken und sogar die Wettermuster der ganzen Welt durcheinanderbringen. "Hier geht es nicht nur um Eisbären und Seehunde", sagt Julienne Stroeve, die Meereisforscherin vom University College London. "Wir sind alle irgendwie vom Eis abhängig."
"Hier geht es nicht nur um Eisbären und Seehunde: Wir sind alle irgendwie vom Eis abhängig"Julienne Stroeve
Mit Blick auf die eisfreien arktischen Sommer fragen sich die Wissenschaftler nun, wie es den Einwohnern des Nordens ergehen wird, welche Tiere am stärksten betroffen sein werden und ob diese durch kleine eistragende Refugien geschützt werden könnten. So manche Forscher schauen aber auch schon in die fernere Zukunft und meinen Grund zur Hoffnung zu sehen. Falls unsere Gesellschaft es schafft, den CO2-Anstieg zu stoppen – wovon einige Wissenschaftler ausgehen –, dann werden dieselben physikalischen Ereignisse, die jetzt zum Abschmelzen des Meereises führen, dieses auch wieder wachsen lassen, erklärt die Meereisforscherin Stephanie Pfirman vom Barnard College in New York City.
Nicht nur sie hat sich daran gemacht, in die fernere Zukunft zu schauen und zu überlegen, wie wir das Eis wieder zurückbringen können. Dabei stellen sich die noch sehr kontrovers diskutierten Fragen, wie einfach sich Sommereis neu bildet und ob es überhaupt schnell genug wachsen könnte, damit die Spezies der Arktis eine Chance haben zu überleben. Ließe sich das Klima mit Hilfe von Geoengineering rasch genug ändern, um die dramatischsten Veränderungen im Norden rückgängig zu machen? Mit ihrem im letzten Jahr veröffentlichten Paper wollten Pfirman und ihre Kollegen eine breitere Diskussion darüber in Gang bringen, wie sich die Neueisbildung anstoßen ließe, und ob dies überhaupt erwünscht sei. Nur wenn alle Möglichkeiten der fernen Zukunft in Betracht gezogen werden, können wir den Veränderungen der Arktis einen Schritt voraus sein, meinen die Wissenschaftler. "Wir haben uns der Arktis der nächsten Generation verschrieben", sagt Pfirman. Die Frage ist aber: "Was kommt danach?"
Rein theoretisch besteht noch eine Chance
Pfirman weiß noch genau, wann ihr die rasanten Veränderungen in der Arktis bewusst wurden, nämlich im September 2007, als sie einen Vortrag vorbereitete. Sie lud die neusten Meereiskarten aus dem Internet herunter und erschrak: Das Arktiseis war weiter als jemals zuvor zurückgegangen und schien auf noch weiterem Rückzug. "Oh, nein! Jetzt ist es soweit", dachte sie damals. Auch wenn sie und die anderen wussten, dass die Arktis schrumpft, hatte sie ein solch extremes Abschmelzen nicht vor Mitte des 21. Jahrhunderts erwartet. "Das hat uns aufgerüttelt und machte deutlich, wie uns die Zeit davonlief", erinnert sie sich.
Rein theoretisch besteht noch die Chance, den Totalverlust des Sommermeereises zu verhindern. Laut heutiger Klimamodelle ließen sich etwa drei Millionen Quadratkilometer Meereis erhalten – also etwa die Hälfte dessen, was bisher im Mittel jeden Sommer erhalten geblieben war – wenn die Länder nur ihren Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen nachkämen und die globale Erderwärmung auf zwei Grad Celsius über den präindustriellen Temperaturen begrenzen würden. Doch die Meereisforscher vertrauen nicht darauf, dass dies gelingt. Bisherige Modelle haben immer wieder das Ausmaß des Eisrückgangs unterschätzt, und es ist zu befürchten, dass all die Vorhersagen von den Entwicklungen der nächsten Jahrzehnte völlig überrannt werden. Auch auf Grund der bisher nur begrenzten Zusagen der Länder fürchten die Forscher, dass wir das Zwei-Grad-Ziel nicht schaffen und mit quasi eisfreien Sommern zu rechnen haben. Immerhin soll das Wintereis länger erhalten bleiben.
Das Bestcase-Szenario geht von einem Temperaturanstieg von vier bis fünf Grad Celsius aus, weil sich die Erwärmung in höheren Breitengraden eher verstärken wird, erklärt der Ozeanograph James Overland von der US National Oceanic and Atmospheric Administration in Seattle in Washington. "Wir haben wirklich noch keine Ahnung, wie viel dabei zerstört wird." Am direktesten wird es die vier Millionen Bewohner der Arktis treffen, darunter 400 000 Ureinwohner. Ganze Küstengemeinden, viele davon in Alaska, werden wohl umsiedeln müssen, wenn der Permafrost schmilzt und die Küstenlinien zerfallen, weil sie nicht mehr durch eine Eisdecke vor den heftigen Stürmen geschützt sind, prognostiziert der im Jahr 2013 veröffentlichte Bericht der Brookings Institution in Washington D. C. (pdf). Die Einwohner Grönlands werden nur noch schlecht auf dem Meereis hin- und herfahren können, und die Rentierherden in Sibirien werden sich bei der Futtersuche schwertun. Gleichzeitig werden sich aber neue wirtschaftliche Möglichkeiten im offenen Meer ergeben, weil nicht nur die Fischgründe, sondern auch die Öl- und Gaslager sowie andere Rohstoffe besser erreichbar sind.
Doch vielleicht wird es auch die Bewohner der mittleren Breitengrade treffen. Immer mehr Analysen lassen vermuten, dass das offene Arktismeer bisher schon verschiedene Wetterereignisse verstärkt haben könnte, wie zum Beispiel die Kälteeinbrüche der letzten Winter in den USA, in Europa und Asien. Eigentlich könnte sogar die ganze Welt von den Veränderungen betroffen sein. Das Eis hilft normalerweise beim Kühlen des Planeten, indem es das Sonnenlicht reflektiert und den arktischen Ozean davon abhält, die Wärme zu absorbieren. Die Luft- und Wassertemperaturen lokal niedrig zu halten, kann das Abschmelzen des Eispanzers in Grönland und den Verlust des Permafrosts begrenzen. Wenn das Sommereis der Arktis allerdings nicht mehr da ist, könnten Grönlands Gletscher noch stärker zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen und die Permafrostgebiete ihre gespeicherten Treibhausgase wie Methan freigeben. All das wird stark vom Eis der Arktis beeinflusst. "Da sieht man mal wieder, wie etwas Kleines ganz Großes verursachen kann", sagt Brenda Ekwurzel, die Direktorin der Abteilung für Klimaforschung von der Union of Concerned Scientists in Cambridge in Massachusetts.
Walrosse ziehen vom Eis aufs Land
Am stärksten wird es aber wohl das Ökosystem der Arktis treffen, und schon 2007 hatten Biologen dort etwas Seltsames entdeckt: An der Küste des Tschuktschensee, eines Randmeeres des Nordpolarmeeres, wälzte sich eine große Zahl von Walrossen an Land. Aus der Luft betrachtet, sah es aus wie ein Woodstock-Festival mit lauter Besuchern mit Stoßzähnen – doch in Wirklichkeit bevölkerten Tausende der plumpen Flossenfüßler die eisfreie Küstenlinie. Normalerweise bleiben die Walrosse auf dem Eis und suchen von dort aus nach Futter auf dem Meeresboden. Aber damals, und seitdem fast jährlich, war dies im Spätsommer auf Grund des Rückgangs des Meereises nicht möglich. Die Walrosse des Pazifiks haben sich inzwischen daran angepasst und leben vermehrt an Land. Die Wissenschaftler des US Fish and Wildlife Service befürchten aber, ihre Zahl könnte trotzdem immer weiter sinken. So wird das Abschmelzen des Eises nicht nur hier, sondern in der ganzen Region die Ökosysteme verändern.
Dabei werden die bisher auf dem Eis wachsenden Algen durch das im offenen Wasser schwebende, fotosynthetisch aktive Plankton abgelöst. Laut mancher Modelle wird die biologische Produktivität der saisonal eisfreien Arktis bis zum Jahr 2100 um bis zu 70 Prozent steigen, was die Einnahmen der Arktisfischerei deutlich steigern könnte. Um einen Sturm auf das Seafood zu verhindern, sind fünf Nationen der Arktis übereingekommen, zumindest derzeit nicht unkontrolliert in internationalen Gewässern zu fischen. Viele Wale scheinen bereits von den Futtermengen zu profitieren, sagt die Spezialistin für Arktissäugetiere Sue Moore vom Pacific Marine Environmental Laboratory. Für Spezies mit einem eng an das Meereis gekoppelten Lebenszyklus, wie Walrosse und Arktisrobben, werden die Veränderungen aber sicherlich zu großen Herausforderungen. Viele von ihnen verenden, wenn die eisfreie Saison in großen Teilen der Arktis zu lange anhält. "Im Prinzip können wir den Großteil der südlichen Populationen abschreiben", sagt der Biologe Andrew Derocher von der University of Alberta in Edmonton in Kanada. Infolge dieser Vorhersagen hat der US Fish and Wildlife Service den Eisbären im Jahr 2008 zur bedrohten Tierart ernannt.
"Die sibirische Küstenlinie ist die Eismaschine und das arktische Archipel Kanadas der Friedhof"Robert Newton
Die vom Eis abhängigen Ökosysteme werden am ehesten noch an der felsigen Nordküste Grönlands und Kanadas weiterbestehen. Dort soll nämlich laut Berechnungen der Wissenschaftler etwa eine halbe Million Quadratkilometer Sommermeereis erhalten bleiben, während es im Rest des arktischen Ozeans immer mehr verschwindet (siehe "Weniger und weniger …"). Auf Grund der Winde türmen sich hier die Eisschollen zu Panzern auf, deren Dicke und Ausdehnung das Abschmelzen verhindert. "Die sibirische Küstenlinie ist die Eismaschine und das arktische Archipel Kanadas der Friedhof", erklärt Robert Newton die Lage ganz bildlich. Der Ozeanograph arbeitet am Lamont–Doherty Earth Observatory der Columbia University in Palisades im Bundesstaat New York.
Nicht nur der WWF schlug vor, die "letzten Eisgebiete" zum Welterbe zu erklären und zu schützen, in der Hoffnung, hier könnten dadurch ein paar Arktisspezies überleben. Im vergangenen Dezember kündigte Kanada immerhin Überlegungen an, das Gebiet unter Naturschutz stellen zu wollen, wofür einige Gruppen von Einheimischen ihre Unterstützung angeboten haben. Kurz vor Ende seiner Amtszeit schloss sich auch noch der ehemalige US-Präsident Barack Obama dem Versprechen des kanadischen Premierminister Justin Trudeau an, bis zum Jahr 2020 17 Prozent der arktischen Fläche und 10 Prozent der Meeresgebiete unter Schutz zu stellen. Doch die übrig gebliebenen Eisflächen können nur bedingt als Arche Noah dienen. Viele der betroffenen Arten leben gar nicht in der Region oder bestehen nur in kleinen Populationen. Laut Derochers Schätzungen leben inzwischen nicht mehr als 2000 Eisbären in der letzten Eisregion – das ist nur ein Bruchteil der Gesamtpopulation der Arktis von etwa 25 000 Tieren. Wie viele es in Zukunft sein werden, hängt davon ab, wie sich das Ökosystem während der zunehmenden Erwärmung entwickelt.
Kleine Hoffnung trotz düsterer Prognosen
Das Gebiet könnte allerdings noch verwundbarer sein, als globale Klimamodelle vorhersagen, meint der Meereisforscher Bruno Tremblay, von der McGill University in Montreal in Kanada. Der unabhängige Klimaexperte David Huard aus dem kanadischen Quebec betrachtete den Rückgang des Eises mit Hilfe eines hochauflösenden Meereis- und Ozeanmodells, das die engen Kanäle zwischen den Inseln im kanadischen Archipel besser als andere Modelle abbildet. Sein vom WWF in Auftrag gegebener Bericht beschreibt, wie das Eis derzeit zwischen den Inseln hindurchdriftet und südwärts Breiten erreicht, in denen es dann nach und nach schmilzt (pdf). "So wird auch das letzte Eisgebiet völlig geflutet", erklärt Tremblay anhand seiner Daten.
Auch wenn die Zukunft der Arktis düster erscheint – ein bisschen Hoffnung gibt es noch: Das Sommermeereis kann sich neu bilden, sobald sich unser Planet etwas abkühlt. "Das Ganze ist nicht irreversibel. Man könnte das Eis zurückholen, selbst wenn es schon einmal verloren war", meint Stroeve. Auf dem Land dauert es Millionen von Jahren, bis sich Eisplatten ausdehnen oder zurückziehen, und sie hinken dabei den Klimaveränderungen immer etwas hinterher. Ganz anders bei Meereis, das schon dicker wird, sobald die Temperaturen im Sommer kalt genug sind. Den genauen Schwellenwert für das Anwachsen des Eises auszumachen, ist aber schwierig, erklärt Dirk Notz, der Leiter der Arbeitsgruppe Meereis im Erdsystem vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Laut seinen Berechnungen könnte es bei etwa 450 ppm (parts per million) CO2-Äquivalent sein, also etwa 50 ppm über dem heutigen Niveau. Die Konzentration des Treibhausgases ist aber nicht der einzige Faktor, der die Eisbildung beeinflusst. Wichtig ist auch, wie lange die Region im Sommer eisfrei ist, weil hierdurch bestimmt wird, wie viel Wärme sich im arktischen Ozean sammeln kann.
Deshalb untersucht Notz in einem globalen Klimamodell das Zusammenspiel von Treibhausgas und Ozeantemperaturen. Seine Mitarbeiter drehen dabei an der CO2-Schraube – von 280 ppm entsprechend der präindustriellen Zeit bis 1100 ppm, was etwas über dem für das Jahr 2100 berechneten Wert von 1000 ppm liegt (sofern keine weiteren Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgase unternommen werden). In der Simulation lassen die Forscher diese Bedingungen dann für Jahrtausende konstant. Im Modell verschwanden nun sowohl Winter- wie Sommermeereis, wodurch es zur Erwärmung des Ozeans kam. Für die nächste Simulation senkten die Wissenschaftler die CO2-Konzentration wieder auf Werte, bei denen sich auch im Sommer Meereis bilden könnte. Die Eisbildung setzte aber auch im Modell erst ein, als sich der Ozean wieder abkühlen konnte, was in der Simulation allerdings Jahrhunderte dauerte.
CO2-Abnahme kann Eis wachsen lassen
Anders war es, wenn die eisfreien Sommer nur über eine relative kurze Zeit vor der CO2-Abnahme auftraten: Dann könnte sich laut Modell so genanntes Neueis schneller bilden. Theoretisch könnte es schon Ende unseres Jahrhunderts dazu kommen, wenn die Nationen sehr strikte Schritte zur CO2-Reduktion ergreifen würden, meinen Newton, Pfirman und ihrer Kollegen. Wenn wir also den Verlust des Sommermeereises in den kommenden Jahrzehnten schon nicht verhindern können, so würden doch Maßnahmen zur CO2-Kontrolle das erneute Wachsen der Eisschicht begünstigen, erklärt Notz.
Angesichts dieser Erkenntnisse haben ein paar Wissenschaftler ein Programm zum globalen Geoengineering vorgeschlagen. Hiermit soll unser Planet abgekühlt und das Eis erhalten oder wieder geholt werden. Andere schlagen vor, nur den Norden zu kühlen, beispielsweise durch künstliches Aufhellen des arktischen Ozeans mit hell gefärbten, schwimmenden Partikeln, die das Sonnenlicht reflektieren. Laut einer aktuellen Studie ließen sich windgetriebene Pumpen installieren, durch die das Tiefenwasser an die Oberfläche gebracht werden könnte, wo es dann gefrieren und dicke Eisschichten bilden könnte. Viele Wissenschaftler hadern aber noch mit dem Geoengineering. Die regionalen Anstrengungen würden nämlich einen enormen Einsatz bei nur begrenztem Erfolg bedeuten, weil die Zirkulationsströme der Erde im Ausgleich einfach mehr Wärme in den Norden schaufeln würden. "Das ist, wie wenn man gegen den Strom schwimmt", sagt Pfirman. Sie stimmt mit ihren Kollegen darin überein, dass die einzige langfristige Lösung scheint, die Treibhausgase und die lokalen Verunreinigungen (beispielsweise durch das sogenannte Black Carbon der Schiffe) dauerhaft zu kontrollieren.
"Irgendein Ökosystem würde sicherlich entstehen, und es würde auch funktionieren. Es würde aber bestimmt nicht so aussehen wie das heutige"Andrew Derocher
Von der Rückkehr des Meereises im Sommer könnte die ganze Welt profitieren – die Arktis trägt nämlich wesentlich zur Stabilisierung des Wettergeschehens auf unserem Globus bei. In der Arktis selbst könnte eine schneebedeckte Landschaft die Situation der Eisbären und anderer vom Eis abhängiger Spezies wieder etwas entspannen. Eine relative kurze eisfreie Zeit würden die Tiere vielleicht noch überstehen, indem sie sich in die letzten verbleibenden Eisregionen zurückziehen oder in einem der neu eingerichteten Gebiete zum Erhalt der Biodiversität überdauern. Wenn sich das Eis dann in der Arktis wieder neu bilden würde, könnten sie dorthin zurückkehren. Ein vergleichbares Szenario hat sich wahrscheinlich schon einmal während der letzten Klimaveränderung ereignet. So nimmt die Wissenschaft an, dass die Arktis während der letzten interglazialen Periode vor 130 000 Jahren schon einmal fast eisfreie Sommer erlebt hat.
Eines ist allerdings ganz sicher: Politisch wie auch technisch wird es nicht einfach werden, wieder eine Welt mit Meereis im arktischen Sommer zu schaffen. Nicht jedem wird der Gedanke an eine eisbedeckte Arktis gefallen, besonders wenn das Gebiet inzwischen für Generationen eisfrei gewesen ist. Etliche Firmen und Unternehmen schielen schon in Richtung Öl- und Gasbohrungen, Schifffahrt, Tourismus und Fischerei in dieser nach wirtschaftlicher Entwicklung lechzenden Region. "In vielen Gemeinden gibt es zwei Lager", sagt Pfirman.
So mancher Wissenschaftler bezeichnet die Idee vom Zurückholen des Meereises als Wunschdenken. Dies würde nämlich wesentlich mehr Anstrengungen für die einzelnen Länder mit sich bringen, als die in Paris verabschiedeten Abkommen vorsehen. Die Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad Celsius würde bedeuten, dass riesige Landstriche bewaldet und neue Technologien entwickelt werden müssten, um Milliarden Tonnen CO2 aus der Luft zu saugen. Um die Konzentration des Treibhausgases so weit zu reduzieren, dass sich Neueis bildet, müsste noch wesentlich mehr getan werden. Und wenn das Sommermeereis tatsächlich eines Tages zurückkäme, wie würde dieser Arktisnachbau überhaupt aussehen, fragt sich Derocher. "Irgendein Ökosystem würde sicherlich entstehen, und es würde auch funktionieren. Es würde aber bestimmt nicht so aussehen, wie das heutige."
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