Experimentelle Therapie: Kann Spenderblut Covid-19 heilen?
Es ist kein Impfstoff und kein Medikament, wirkt aber ein wenig wie beides – und man gewinnt es aus dem Blut von Menschen, die die Krankheit überlebt haben. Rekonvaleszenten-Serum wird derzeit von Arbeitsgruppen überall auf der Welt als Mittel gegen Covid-19 getestet – bald auch in Deutschland. Mit einem öffentlichen Aufruf sucht Rainer Blasczyk von der Medizinischen Hochschule Hannover genesene Coronavirus-Patienten als Blutspender.
Das Prinzip ist einfach: Mit dem Blutserum der Expatienten überträgt man zugleich deren Antikörper gegen das Virus. Die Hoffnung: dem Immunsystem des akut Kranken schnelle Unterstützung zu verschaffen und Zeit zu gewinnen, bis es selbst genügend eigene Antikörper produziert.
Das Verfahren ist keineswegs neu. Schon bevor die Funktion des Immunsystems geklärt war, wusste man, dass Serum – also der flüssige Anteil des Blutes, der nach der Gerinnung bleibt – von Menschen, die eine Krankheit überstanden haben, andere Kranke heilen kann. Bereits während der großen Grippepandemie 1918-1920 versuchten Mediziner, Kranken mit den Blutbestandteilen Überlebender zu helfen.
Doch die Erfahrungen mit der Technik zeigen ebenso, dass das Verfahren kein gleichwertiger Ersatz für klassische Therapien ist. So sind die Resultate bisheriger Versuche bestenfalls gemischt. »Wir wissen nicht, ob die Serumtherapie funktionieren wird«, sagt deswegen auch der Mediziner Rainer Blasczyk. Immerhin: Sie sei eine Möglichkeit.
Eine Antikörper-Transplantation
Eine Erfolgsgarantie gebe es bei anderen Therapieansätzen genauso wenig. »Alle Medikamente, die man jetzt gegen das Coronavirus testet, werden auf Verdacht eingesetzt«, sagt er. Für die Therapie mit Rekonvaleszenten-Serum spricht die Tatsache, dass es schon einmal das Virus besiegt hat: im Spender. Die Waffen sind Komponenten des Immunsystems, die im Blut zirkulieren. Sie entstehen binnen weniger Tage nach der Ansteckung und bilden dann die Basis der vermutlich Monate bis Jahre andauernden Immunität.
Und damit könnten sie, so die Hoffnung, vielleicht auch dem Körper anderer schwer Kranker dringend benötigte Schützenhilfe gegen das Virus geben. Allerdings hat das Verfahren Grenzen. »Bei einer Impfung bildet der Körper spezifische Lymphozyten und Antikörper gegen das Virus und ist dadurch gut geschützt«, erklärt der Mediziner. »Die Serumtherapie dagegen ist nur eine Antikörpergabe.« Das ist möglicherweise der Grund, weshalb die Ergebnisse des Therapieansatzes so stark schwanken.
Dabei gibt es einige Erfahrung mit der Technik. Früher nutzte die Medizin sie vor allem präventiv als »passive Schutzimpfung«. So verwendeten Fachleute in den 1930er Jahren das Blut von Masern-Überlebenden, um durch diese Immunisierung einen Ausbruch der Krankheit an einer Schule zu stoppen; auch gegen Polio und Mumps kam die Serumtherapie einst zum Einsatz.
Heutzutage ist das alte Verfahren vor allem als experimentelles Heilmittel bei neuen Infektionskrankheiten gefragt, gegen die weder Impfstoff noch Medikament existieren. Zuletzt kam Rekonvaleszenten-Serum während der Ebolaepidemie in Westafrika zum Einsatz. Aber auch gegen Atemwegsinfektionen wie Covid-19 nutzte man es schon: 2003 setzte man Blutserum gegen Sars ein, später gegen das Mers-Coronavirus und 2009 gegen die Schweinegrippe-Pandemie.
Eine gemischte Bilanz
Die Ergebnisse solcher Versuche sind mal ermutigend, mal ernüchternd. Gegen Ebola erschien die Transfusion bei einigen Gruppen wie zum Beispiel Kindern und Schwangeren als aussichtsreich, während sie anderen keinen Vorteil brachte. In einem aktuelleren Beispiel 2019 scheiterte die Therapieoption bei einem Krebspatienten mit Hepatitis E – und das, obwohl sie in Versuchen an Makaken zunächst zu wirken schien.
Für einen Erfolg der Experimente mit Rekonvaleszenten-Blut sprechen dagegen einige Erfahrungen mit ähnlichen Viren: Beim verwandten Sars-Coronavirus sind Erfolge mit dem Blut Genesener verbürgt. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2015 deutet ebenfalls darauf hin, dass solche Übertragungen die Sterblichkeit bei schweren Atemwegsinfektionen reduzieren.
Beim zweiten neu erschienenen Coronavirus wiederum, das die tödliche Atemwegserkrankung Mers auslöst, offenbarten sich eher die Schwierigkeiten als die Chancen der Technik. Nicht jedes Blut enthält die erforderliche Menge Antikörper, so dass die Technik in einigen Versuchen schlicht keinen Effekt hatte. Das bedeutet: Vermutlich werden nicht alle Covid-19-Überlebenden brauchbares Blut für die Behandlung spenden können. Doch wo der Grenzwert ist und wie hoch der Anteil der unbrauchbaren Spenden sein wird, ist völlig unklar.
Weltweit versuchen Forscherinnen und Forscher, diese Fragen so bald wie möglich zu beantworten. Die US-Lebensmittel- und Medikamentenbehörde vergibt kurzfristig Genehmigungen für diese bisher nicht zugelassene Behandlung und hat bereits eine Liste von Kriterien für Spender und Empfänger zusammengestellt. Auch in Deutschland sind Studien geplant. Blasczyk rechnet kurzfristig mit der Genehmigung, aus den Blutproben Rekonvaleszenten-Serum für solche Tests herzustellen.
Zurück zur »passiven Schutzimpfung«?
Während der Gedanke oft naheliegt, derartige experimentelle Therapien vor allem an schwer Kranken zu testen, sieht der Forscher die besten Aussichten bei der Vermeidung solcher schweren Verläufe. »Ich denke, es ist viel erfolgversprechender, das Serum nur bei leicht Erkrankten oder sogar präventiv einzusetzen«, sagt er. Das habe zudem den großen Vorteil, dass man auf diese Weise medizinisches Personal vor Ansteckung schützen könne.
Mit modernen medizinischen Technologien und den Erfahrungen mit Antikörpertherapien ist es außerdem möglich, über die 100 Jahre alte Technik hinauszugehen. Zwar liegen künstlich hergestellte Antikörper – eine der Allzweckwaffen der modernen Medizintechnik – gegen Covid-19 noch in weiter Ferne, doch man kann schon heute die Covid-19-Antikörper gezielt aus dem Spenderblut herausfischen.
Diesen Weg geht das japanische Pharmaunternehmen Takeda Pharmaceutics. Es stellt normalerweise Antikörperpräparate aus dem Blut Gesunder her, um Menschen mit Immunstörungen zu helfen. Nun will das Unternehmen sein Verfahren bei zuvor an Covid-19 Erkrankten anwenden – in der Hoffnung, auf dem Wege ein konzentriertes Antikörper-Therapeutikum zu gewinnen.
Für Blasczyk allerdings fehlt solchen Ansätzen noch eine wesentliche Komponente der natürlichen Immunreaktion. »Unser Ziel ist, zusammen mit dem Serum auch aktivierte Lymphozyten einzusetzen.« Die nämlich nutzt er in seiner alltäglichen Arbeit gegen Erreger wie das Cytomegalievirus, gegen Adenoviren und andere, die besonders für Patienten nach Organtransplantationen ein Problem sind. In Zukunft soll das erprobte Verfahren ebenso Covid-19 bekämpfen. Allerdings wohl nicht so bald: Mit welchen Antigenen man die Zellen aktivieren könne, wisse er bisher noch nicht.
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