Direkt zum Inhalt

Geophysik : Kaum Fassbares aus dem Inneren der Erde

Die Wissenschaft hat mehr Instrumente, um die Tiefen des Weltraums zu erforschen, als für den Planeten unter ihren Füßen. Ausgerechnet die abstrakt wirkende Teilchenphysik gibt den Forschern nun ein neues Werkzeug an die Hand.
Erdanalyse mit Anti-Neutrinos
Geophysikalische Forschung ist wie eine andauernde Geburtstagsfeier: Man sieht die Form des Geschenks, kann seine Oberfläche ertasten und darf es schütteln. Mit diesen Informationen heißt es: Rate mal, was drin ist! Anders als richtige Geburtstagskinder können Geophysiker aber nicht vor lauter Ungeduld einfach die Verpackung von Mutter Erde abreißen, um endlich zu sehen, was sie im Inneren verbirgt. Ein Vulkanausbruch hier, ein Beben dort und ein paar seismologische Aufzeichnungen rund um den Globus, dazu die Theorien von der Entstehung der Erde, das alles zu räumlich und zeitlichen Modellen verrechnet – so karg sah der Weg zur Erkenntnis bisher aus. Doch nun könnte ein weiterer Quell von Informationen hinzukommen. Und das ausgerechnet von der sonst so anwendungsfreien Teilchenphysik mit ihren exotischen Bewohnern der subatomaren Welt.

Ganze 87 Wissenschaftler waren an dem Durchbruch beteiligt. Hauptort des Geschehens war ein Detektor tief unter dem Berg Mount Ikenoyama auf der japanischen Insel Honshu. Geschützt von der kosmischen Strahlung an der Erdoberfläche registriert hier KamLAND – der Kamioka Liquid-scintillator Anti-Neutrino Detector – Signale von radioaktiven Zerfällen. Wann immer ein Kern von Uran-238 oder Thorium-232 einen Beta-Zerfall durchmacht, entweicht ein Teil der freiwerdenden Energie als Anti-Neutrino. Diese seltsamen Teilchen haben fast keine Masse und kümmern sich für gewöhnlich nicht um andere Materie, sondern fliegen einfach durch sie hindurch. Für den seltenen Fall, dass es doch zu einem Zusammenstoß kommt, haben die Forscher am KamLAND vorgesorgt. In einem Behälter von 13 Metern Durchmesser befindet sich eine spezielle Szintillationsflüssigkeit, welche die Energie des Crashs als Gammastrahlen-Blitz für empfindliche Photomultiplier an den Wänden sichtbar machen, die daraus in ein elektrisches Signal erzeugen.

Immerhin einmal am Tag findet so ein Ereignis statt. Seinen Ursprung hat dieses Anti-Neutrino aber meistens in einem der Atomkraftwerke im Umkreis. In anderen Fällen entstammt es radioaktiven Kontaminationen im Detektor. Nur rund ein Exemplar pro Monat kommt wirklich aus dem Erdinneren – lediglich 20 bis 25 waren es während der jetzt veröffentlichten Untersuchung. Die spärliche Datenmenge mahnt zur Vorsicht bei der Interpretation. Dennoch glauben die Forscher um Giorgio Gratta von der Stanford University und Atsuto Suzuki von der Tohoku University, bereits erste Anmerkungen zu offenen Fragen der Geophysik machen zu können.

Erdanalyse mit Anti-Neutrinos | Die linke Seite dieses Schemas zeigt die Herkunft der Anti-Neutrinos, die der KamLAND-Detektor registriert hat, rechts ist die Struktur des Erdinneren nach heutigen Modellen zu sehen.
So ist zum Beispiel noch ungeklärt, über wie viel Wärmeenergie unsere Erde eigentlich in ihrem Inneren verfügt und woher diese stammt. Die Schätzungen schwanken zwischen 30 und 44 Terawatt (ein Terawatt entspricht einer Billion Watt), von denen etwa die Hälfte auf noch laufende Prozesse aus der Entstehungszeit des Planeten zurückgeht, die andere Hälfte aber vom Zerfall radioaktiver Elemente stammt. Die bisherigen KamLAND-Resultate ziehen nun eine obere Grenze von 60 Terawatt für die radioaktive Wärmeenergie, mit einem wahrscheinlichen Wert von 16 Terawatt – gut passend zu den bisherigen Vorstellungen.

Wichtiger als diese Werte ist jedoch der Gewinn einer neuen Methode, um Informationen über das Erdinnere zu erhalten. Während die traditionellen seismischen Messungen Hinweise auf Schichtgrenzen liefern, erlauben die Anti-Neutrinos durch ihre verschiedenen Energiespektren eine grobe chemische Analyse. So sollte es möglich sein, Vorkommen von Uran und Thorium zu identifizieren und zu lokalisieren, allerdings ohne die jeweilige chemische Verbindung genau zu erkennen.

Das Ratespiel um den Inhalt der Geschenkpackung ist somit um eine Nuance reicher geworden: Unser Präsent leuchtet schwach. Damit wissen wir zwar noch nicht, um was es sich genau handelt, doch ein bisschen schlauer sind wir geworden: Ein Fußball ist es offensichtlich nicht.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.