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News: Kein 'Comeback' für den Kondor?

Der Mensch hat viele Tierarten durch Jagd oder Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen aus der freien Wildbahn verdrängt. Inzwischen versuchen Ökologen vielerorts Jungtiere aus Nachzuchten der selten gewordenen Tiere wieder im Freiland anzusiedeln. Der Erfolg von Auswilderungsprogrammen hängt jedoch von vielen Faktoren ab. So könnte nun ein groß angelegtes Wiedereinbürgerungsprojekt des fast ausgestorbenen Kalifornischen Kondors daran scheitern, dass sich die Vögel weiterhin an mit Bleimunition erlegten Kadavern vergiften und sich durch die Aufzucht in Gefangenschaft nicht mehr natürlich verhalten.
Der Kalifornische Kondor (Gymnogyps californianus) zog einstmals entlang der Pazifik-Küste von Kanada bis Mexiko seine Kreise. Doch unter dem Einfluss des Menschen schrumpfte die Anzahl der freilebenden Exemplare bis in die späten 70er Jahre auf ganze 30 Stück zusammen. Eine der Hauptursachen für diesen drastischen Rückgang sind Bleivergiftungen, an denen die Vögel verenden, nachdem sie durch Bleigeschosse getötete Kadaver von Tieren verzehrt hatten. Als Biologen erkannten, dass die letzte in freier Wildbahn lebende Population des – mit einer Flügelspannweite von 2,7 Metern – größten Vogels in Nordamerika nicht mehr zu retten war, versuchten sie den Kondor vor dem Aussterben zu bewahren. Ab 1982 fingen Biologen die noch freilebenden Vögel ein und starteten ein Zuchtprogramm in Gefangenschaft. 1987 bezogen schließlich die letzten Tiere ihr neues Zuhause. Die Aufzucht der Vögel in Gefangenschaft war erfolgreich, sodass die Vogelkundler ab 1992 damit begannen, die ersten Kondore wieder in ihrem natürlichen Lebensraum auszusetzen.

Doch das Auswilderungsprojekt – das als Zugpferd für Schutzprogramme gefährdeter Arten dienen sollte – blieb bisher ohne Erfolg. Denn die Todesrate der freigelassenen Vögel ist zu groß, um eine wildlebende Population aufrecht zu erhalten. Für das absehbare Scheitern des California Condor Restoration-Projektes machen Wissenschaftler vor allem zwei Ursachen verantwortlich: das Fortbestehen des "Blei-Problems" und das unnatürliche Verhalten der Zuchtvögel (Conservation Biology vom August 2000). "Ehe nicht die Quelle der Bleivergiftungen effektiv bekämpft wird, kann man nicht erwarten, dass das Freilassen von gefangenen Kondoren zu überlebensfähigen Populationen führt", meint Vicky Meretsky von der School of Public and Environmental Affairs der Indiana University. Ihren Angaben zufolge starben alleine in den letzten Monaten fünf der freigelassenen Vögel an einer Bleivergiftung und weitere Tiere wurden verseucht.

"Um irgendeine Wildtierart wieder erfolgreich zu etablieren, müssen zunächst die Hauptursachen für ihr Verschwinden erkannt und behoben werden, bevor Aussetzungsversuche mit in Gefangenschaft gezüchteten Tieren erfolgen. Diese grundlegende Einsicht wurde von dem laufenden Kondor-Freisetzungs-Programm missachtet, obwohl in der Zwischenzeit alternative Munition ohne Blei verfügbar ist", erklärt Noel Snyder von Wildlife Preservation Trust International. Auch Steven Beissinger vom Department of Environmental Science, Policy and Management der University of California in Berkeley teilt diese Meinung: "Solange die Verseuchung mit Blei nicht in der Umwelt gebannt ist, und die Kondore weiter an natürlichen Kadavern fressen, wird die Mortalitätsrate der freigelassenen Kondore genauso verheerend sein wie diejenige, die damals die Vögel an den Rand des Aussterbens brachte.

"Eine vielversprechende Lösung des Problems besteht darin, dass Jäger in den Lebensräumen der Kondore nur noch ungiftige Munition verwenden. In ihrer Untersuchung weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass Munition mit Geschossen aus Wismut und Wolfram die gleichen Eigenschaften hat wie die herkömmliche Bleimunition, die zuständige Regierung aber bisher keine Anstrengungen machte, den Gebrauch der giftigen Munition zu verbieten.

Das andere Problem besteht in dem veränderten Verhalten der aufgezogenen Vögel. "Viele der Jungtiere wurden unter Verwendung Kondor-ähnlicher Puppen von den Menschen in Gefangenschaft aufgezogen. Und dies führte zu Vögeln, die sich bereitwillig den Menschen, Autos und Häusern nähern", meint Meretsky. Tatsächlich gab es im vergangenen Jahr wiederholt Fälle, bei denen die aufgezogenen Vögel Ziegel aus Hausdächern rissen oder sich Menschen näherten, die sie aus der Hand fütterten. Aber die Vögel schlitzten auch ein Zelt auf, in dem gerade ein Zeltgast schlief und eine Gruppe von acht Tieren drang sogar in das Schlafzimmer eines Bewohners ein, nachdem sie die Leinwandtür zuvor zerstört hatten. "Verhaltensstörungen treten häufig bei jungen Kondoren auf, die ihren Eltern entrissen wurden, um sie anschließend mit Puppen in Isolation großzuziehen, aber nicht bei Jungvögeln, die von ihren Eltern aufgezogen wurden. Leider haben jedoch die Verantwortlichen des Programmes trotz dieses wichtigen Unterschiedes nicht damit aufgehört, mit Puppen aufgezogene Vögel in die Wildnis auszusetzen, anstatt diese zu Gunsten von Tieren zu verringern, die von ihren Eltern groß gezogen wurden", meint Meretsky. "Nur bei Big Sur wurden ausschließlich Jungvögel ausgesetzt, die von ihren Eltern ernährt wurden, und nur hier gab es keinerlei Probleme mit der unnatürlichen Zahmheit", erklärt sie.

Wie die Wissenschaftler beobachteten, bleibt jedoch das gestörte Verhalten der mit Puppen künstlich aufgezogenen Vögel nicht ohne Einfluss auf ihre Artgenossen, die sich angepasst an ihre früheren Lebensgewohnheiten verhalten. Auch die Tiere von Big Sur schlossen sich bei der Ausweitung ihres Aktionsradius den elternlos aufgezogenen Vögeln an, und gemeinsam mit diesen beginnen sie nun in besiedelte Gebiete einzudringen. "Indem sich die beiden Bestände mischten, wurden die schlechten Gewohnheiten der mit Puppen aufgezogenen Vögel auf die Tiere übertragen, die von ihren eigenen Eltern umsorgt wurden", meint Meretsky. "Deshalb sollten alle Vögel mit diesem Fehlverhalten wieder eingefangen und in die Gefangenschaft zurückgeführt werden, da sie das Risiko bergen, ihre schlechten Verhaltensweisen auf zukünftig freigelassene Vögel übertragen." Die Wissenschaftler drängen daher dringend darauf, in Zukunft nur noch solche Jungvögel frei zu lassen, die von ihren natürlichen Eltern aufgezogen wurden – im Besonderen Tiere, die in Freigehegen groß wurden, die keinerlei menschliche Strukturen aufweisen und auch nie mit Menschen in Kontakt kamen.

"Das Kalifornische Kondor-Programm ist das Flaggschiff der Programme zum Schutz gefährdeter Arten", meint Beissinger. "Große Geldsummen wurden bisher für dieses Projekt ausgegeben, und viele Teilnehmer haben hart dafür gearbeitet, die Kondore in Gefangenschaft aufzuziehen und Techniken zu entwickeln, diese später wieder in der Natur anzusiedeln. Der Erfolg dieses Projektes ist definitiv erreichbar, allerdings nur, wenn das derzeitige Kondor-Auswilderungs-Projekt grundlegend geändert wird. Falls dies nicht geschieht, könnte es zu einem dauerhaften und teueren schwarzen Loch werden".

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