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Muskelphysiologie: Kein Kater

"Sport ist Mord", heißt es, und wer schon einmal von einem handfesten Muskelkater gequält wurde, weiß wovon die Rede ist. Lange Zeit galt die im überanstrengten Muskel angereicherte Milchsäure als die Wurzel des Übels. Doch es sieht so aus, als sei das Stoffwechselprodukt gänzlich unschuldig an dem Schmerz - im Gegenteil.
Nach Fußball und Radfahren bestimmt jetzt Olympia den Sommer, und so mancher Sportbegeisterte möchte es den Athleten nachtun – mit manchmal schmerzhaftem Ausgang: Muskelkater heißt die gefürchtete Nachwirkung einer zu ausgiebigen Tätigkeit, der jede Bewegung zur Qual werden lässt.

Als Verursacher des Schmerzes machten Physiologen zunächst ein Stoffwechselprodukt aus, das sich im Muskel nach getaner Arbeit anreichert: Milchsäure. Die auch Laktat genannte Substanz entsteht zwangsläufig, wenn der Sauerstoffverbrauch des Muskels die Nachlieferung über das Blut übersteigt. Seines Sauerstoffs beraubt, bleibt dem Muskel nichts anderes übrig als zur Milchsäuregärung überzugehen, um damit die sauerstofffreie Zeit zu überdauern. Sobald sich die Versorgungslage wieder bessert, kann der Muskel seine "Sauerstoffschuld" ausgleichen, und das angereicherte Laktat wird zur Leber abtransportiert und dort wieder abgebaut.

Die Übersäuerung des Muskels während der sauerstofffreien Periode sollte eine Ursache für den schmerzhaften Muskelkater sein, doch inzwischen setzte sich die Erkenntnis durch, dass kleinste Verletzungen im überbeanspruchten Muskel den Schmerz verursachen. Muskelkater stellt somit eine tatsächliche, wenn auch vorübergehende Schädigung des Organismus dar – und ist daher längst nicht so "gesund", wie von manchem Sportgeist propagiert.

Im Jahr 2001 konnte Ole Nielsen von der Universität Aarhus Milchsäure vom Verdacht des Muskelschädlings aus Mangel an Beweisen frei sprechen. Nicht nur, dass sich kein negativer Effekt auf die Leistungsfähigkeit der biologischen Kraftmaschinerie nachweisen ließ, es schien sogar, als ob Laktat im Gegenteil der Übermüdung des Muskels entgegen steuert. Für dieses völlig unerwartete Ergebnis fehlte dem dänischen Physiologen jedwede Erklärung – bis jetzt.

Präparierte Muskelfaser | Den Forschern gelang es, die äußere Membran einer Muskelfaser, die nur halb so dick wie ein menschliches Haar ist, zu entfernen. Damit ließen sich die chemischen Bedingungen innerhalb der Muskelzellen experimentell verändern (Maßstab: 60 Mikrometer).
Denn inzwischen hat Nielsens Doktorand Thomas Pedersen zusammen mit Kollegen von der australischen La-Trobe-Universität in Melbourne eine Methode entwickelt, dem Geheimnis des Muskels auf die Schliche zu kommen: Den Forschern gelang es, die äußere Membran von Rattenmuskelfasern vorsichtig zu entfernen, sodass sie die Bedingungen innerhalb der Muskelzellen experimentell verändern konnten.

Es zeigte sich, dass Milchsäure über eine Rückkopplungsschleife einen positiven Effekt auf den übermüdeten Muskel hat: Sobald die Muskelzellen durch ein Aktionspotenzial erregt werden, strömen positiv geladene Kalium-Ionen aus und negativ geladene Chlorid-Ionen ein, wodurch die Schwelle für eine erneute Erregbarkeit heraufgesetzt wird. Die Übersäuerung des inneren Milieus durch Laktat vermindert jedoch den Chlorid-Einstrom, vermutlich indem die Chlorid-Kanäle in der Muskelzellmembran geschlossen werden. Die Muskelzellen bleiben damit länger erregbar.

Milchsäure beeinträchtigt damit nach Ansicht der Forscher den Muskel in keinster Weise. Im Gegenteil: Es hilft, den schlappen Muskel schneller wieder auf die Beine. Ob Laktat damit zu einem aussichtsreichen Kandidat als Dopingmittel für müde Athleten wird, bleibt dahingestellt.

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