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News: Kein Respekt vor Blausäure

Pflanzen haben bekanntlich keine Beine. Deshalb entwickelten sie im Laufe ihrer Evolution zahlreiche andere Verteidigungsstrategien, um sich vor ihren mobilen Fressfeinden zu schützen. Wenn eine Raupe beispielsweise in das Blatt einer rankenden Passionsblume beißt, erwartet sie eine böse Überraschung: Rasch entsteht giftige Blausäure, welche die Pflanze aus cyanogenen Substanzen - einer inaktiven Speicherform von Blausäure - mit Hilfe von Enzymen freisetzt. Die Larven des Schmetterlings Heliconius sara lässt diese chemische Keule allerdings kalt: Sie blockieren die Freisetzung der giftigen Säure, speichern die cyanogenen Substanzen und wandeln sie so um, dass keine Blausäure mehr freigesetzt werden kann.
Pflanzen schützen sich vor den Heerscharen ihrer Fressfeinde mit einer Vielzahl von Anpassungen: Sie besitzen beispielsweise Dornen, Nesselkapseln, sind ungenießbar oder gar giftig. Eines der Pflanzentoxine ist die für viele Organismen tödliche Blausäure (HCN). Mehr als 3 000 Arten, darunter auch Nutzpflanzen wie beispielsweise Maniok, Mandeln, Hirse und Süßkartoffeln, halten sie als chemische Waffe in Form von cyanogenen Glykosiden bereit. Diese inaktive Speicherform der Blausäure wird jedoch erst gefährlich, wenn die Pflanze angefressen wird, denn dann setzen assoziierte Enzyme aus den cyanogenen Substanzen die bittere Säure frei. Raupen der tropischen Schmetterlingsfamilie Heliconidae scheint dies allerdings wenig zu beeindrucken. Munter fressen sie an den rankenden Trieben der Passionsblume, die mit cyanogenen Speicherstoffen bewaffnet ist. Die Früchte der Kletterpflanze – die Maracujas – sind dagegen ungiftig und wohlschmeckend.

Helene Engler von der University of Texas und ihre Mitarbeiter lüfteten nun das Geheimnis der Schmetterlingslarven. In einem bisher nicht bekannten Mechanismus verwandeln die Tiere die cyanogenen Glykoside in harmlose Substanzen um, und verhindern so, dass giftige Blausäure freigesetzt wird.

Die Forscher extrahierten die Speicherform der Blausäure aus frischen Passiflora-Pflanzen und aus Heliconius-Schmetterlingen, die auf den Pflanzen gezüchtet wurden. Bei der Art Heliconius sara entdeckten sie dann eine umgewandelte Form einer cyanogenen Substanz aus der Pflanze. "Die Raupen spalten die Cyanid-Gruppe (CN) von der cyanogenen Substanz ab, die sie in ihrem Körper speichern, und ersetzen diese durch eine Thiol-Gruppe (SH)", erklärt Engler, "dadurch verhindert das Insekt, dass es mit dem Gift in Kontakt kommt". Die Wissenschaftler vermuten außerdem, dass aus der CN-Gruppe Stickstoff freigesetzt wird, den die Raupe anschließend als Nährstoff nutzt. Den genauen Mechanismus kennen die Insektenforscher noch nicht. Die Raupen sind aber offensichtlich auch in der Lage, die pflanzlichen Enzyme zu blockieren, die sonst schon beim Zerkleinern der Pflanzenteile die giftige Säure freisetzen. Nur so können die Raupen die cyanogenen Substanzen speichern und später unschädlich machen.

Mit ihrer Entdeckung an den im tropischen Regenwald beheimateten Schmetterling erhoffen sich die Forscher nun Fortschritte bei der Entwicklung von sichereren Nutzpflanzen. Denn vor allem in den Tropen können cyanogen-haltige Nahrungspflanzen zu chronischen Gesundheitsschäden bei der Bevölkerung führen.

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