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Astrophysik: Keine Einstein'sche "Eselei" im Universum?

Wir haben keine Ahnung, aber das auf hohem Niveau! Auf diesem Stand befindet sich momentan die Wissenschaft vom Sein und Werden des Universums. Sie kann die Abstoßungsenergie nicht finden, die zwei Drittel des Kosmos ausmachen soll. Vielleicht, weil es sie gar nicht gibt?
Astrophysiker tappen im Dunkeln
Es ist dunkel im Weltall – und zwar zu 95 Prozent. Zumindest glauben die meisten Astrophysiker das. Denn als Wissen kann man die Überlegungen zum Universum und dem ganzen Rest nicht mit gutem Gewissen bezeichnen. Das Dunkel hat nämlich zwei wenig sagende Namen: Dunkle Materie und Dunkle Energie.

Die Dunkle Materie ist äußerst geheimnisvoll, denn niemand weiß, worum es sich bei ihr handelt. Sie reagiert nicht wie gewöhnliche Materie mit Licht und ist deshalb nicht zu sehen, also absolut "dunkel". Nur die Wirkung ihrer Gravitationskraft verrät sie, denn alle herkömmlichen Sterne, Planeten, Schwarzen Löcher und Gase zusammen reichen nicht aus, um die Galaxien und Kugelsternhaufen so zu bewegen, wie die Astronomen es mit ihren Teleskopen beobachtet und mit ihren Computern errechnet haben. Das geht nur, wenn etwa ein Viertel des Weltalls aus dieser ominösen Dunklen Materie besteht. Was immer sie auch sein mag.

Haben die Wissenschaftler bei der Dunklen Materie zumindest noch Ideen und zaghafte Kandidaten, so tappen sie bei der Dunklen Energie vollständig im Dunkeln. Obwohl diese schätzungsweise siebzig Prozent des Universums ausmachen soll – womit für alles, was wir kennen, nur bescheidene fünf Prozent übrig bleiben –, fehlt jede heiße Spur, worum es sich überhaupt handeln könnte.

Dabei hat die Dunkle Energie durchaus eine bewegte Vergangenheit. Niemand Geringeres als Albert Einstein hat sie in seinen Gleichungen als "kosmologische Konstante" eingeführt. Notgedrungen, denn Einstein ging noch von einem statischen Universum aus, das eigentlich unter seiner eigenen Schwerkraft kollabieren müsste. Das Genie postulierte folglich eine abstoßende Kraft, die der Gravitation in großen Dimensionen gerade die Waage hält. Seine "größte Eselei" nannte er die kosmologische Konstante wenig später, als Edwin Hubble die Expansion des Universums beobachtete. Eine Abstoßungskraft schien nicht mehr nötig.

Bis man 1998 ein gutes Stück genauer hinsah. Die Vermessung weit entfernter Sternexplosionen vom Typ Supernova Ia zeigte, dass der Kosmos sich nicht einfach ausdehnt – er expandiert immer schneller! Die Wissenschaftswelt verfiel in höchste Aufregung und wusste sich nicht anders zu helfen, als die kosmologische Konstante wieder in Amt und Würden zu setzen und ihr den Namen "Dunkle Energie" zu verleihen.

Und viel weiter ist man bis heute nicht gekommen. Die beschleunigte Ausdehnung ist bestätigt, der Anteil am Universum wird mal größer, mal kleiner geschätzt – was hinter der Dunklen Energie steckt, weiß aber weiterhin niemand. Vielleicht geht sie auf Fluktuationen der Vakuumenergie zurück, vielleicht ist sie der einzige Ausdruck eines Quintessenz genannten Feldes, das den Kosmos durchzieht. Aber die Vielleichts vor jenen Theorien sind bislang größer als die daran hängenden Modelle.

Vielleicht brauchen wir die Dunkle Energie aber auch gar nicht, um das beschleunigt wachsende Universum zu beschreiben, sagen nun die Theoretiker Olga Mena und José Santiago vom Fermilab sowie Jochen Weller vom University College London. Geht man davon aus, dass die Gravitation auf sehr, sehr großen astronomischen Entfernungen ein wenig anders aussieht als bei den kürzeren Abständen zwischen Städten, Planeten und Galaxien, dann passen Theorie und Beobachtungen plötzlich wunderbar zusammen.

Wenigstens auf dem Papier. Die modifizierten Gleichungen sind allerdings so komplex, dass die Wissenschaftler sie nicht analytisch lösen, sondern nur Näherungen berechnen konnten. Immerhin fanden sie so Expansionsgeschwindigkeiten, die mit den gemessenen Werten übereinstimmen. Und auch die Fülle von Beweisen für Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie passen gut in die neue Theorie – weil sie alle mit "kleinen" Entfernungen auskommen. Selbst der unbekannte Bruder der gestürzten Dunklen Energie, die Dunkle Materie, hat Platz in dem Gedankenmodell. Sie soll weiterhin ihre Anziehungskräfte im gewohnten Maße wirken lassen.

Also eine grandiose Theorie, die alles leichter macht? Schon möglich. Nur eines spricht dagegen: Auch vor dieser Idee steht ein dickes Vielleicht, solange es keine stützenden Beobachtungsdaten gibt, die nur eines der vorgeschlagenen Modelle erklären kann. Es bleibt somit weiterhin duster im Weltall. Vorläufig.

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