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News: Keine falsche Bewegung!

Das HI-Virus scheint clever zu sein: Kurz nachdem Wissenschaftler einen neuen Hemmstoff für eines seiner Enzyme entwickelt haben, vermehren sich jene Viren rasant, die zufällig gerade die passende Mutation im entsprechenden Gen besitzen, um die Arznei wirkungslos zu machen. Doch auch die Forscher sind nicht dumm: Wenn das Enzym nicht an seinem Werk gehindert werden kann, dann soll die Aktivität eben den Tod der infizierten Zelle auslösen und dabei alle Viren mit ins Verderben reißen. Eine Art molekulares trojanisches Pferd ist die Lunte, und das Virus selbst setzt sie mit seinem Enzym in Brand.
"Diese Methode des trojanischen Pferdes sollte auch auf viele andere ansteckende Krankheiten anwendbar sein, wie zum Beispiel Hepatitis C, Malaria und Herpes", sagt Steven F. Dowdy von der Washington University School of Medicine, der die Forschungsarbeit leitete. "Wir hoffen sogar, durch spezielle Modifikationen Krebszellen selektiv abtöten zu können."

Bisher konzentrieren die Forscher um Dowdy sich aber auf Infektionen mit HIV. Dieses Virus benutzt ein Protease genanntes Enzym, um die Proteine für seine Reproduktion in die richtige Länge zu bringen. Wie mit einer Schere werden die Aminosäureketten an ganz bestimmten Stellen zerschnitten. Die als Protease-Inhibitoren bezeichneten Medikamente verhindern diesen Schritt, indem sie sich gewissermaßen vor das Gelenk der Schere werfen. Schon unzählige Menschenleben wurden mit ihrer Hilfe verlängert. Doch Mutationen in der viralen Protease können die Medikamente unwirksam machen, und die Medikamente hemmen gleichzeitig die Patienten-eigenen Proteasen, so daß sie oft toxisch sind.

Dowdys Arbeitsgruppe verfolgt daher eine andere Strategie: Anstatt die Protease zu blockieren, verwenden sie das Enzym, um die infizierte Zelle abzutöten. Dazu bastelten sie ein molekulares trojanisches Pferd. Dieses besteht aus einem Protein, das über die Zellmembran gelangen kann, und zwei Bruchstücke des menschlichen Enzyms Caspase-3. Normalerweise wird Caspase-3 von der Zelle streng überwacht, und seine Aktivität ist durch mehrere Kontrollmechanismen unterbunden. Denn dieses Enzym löst in seiner aktiven Form das Selbstmordprogramm der Zelle aus. Die Forscher verknüpften die drei Proteinstücke über solche Aminosäuresequenzen, die von der viralen Protease erkannt und zerschnitten werden. Dann setzten sie HIV-infizierte Zellkulturen diesem Fusionsprotein aus.

Mit Hilfe des Transportproteins gelangten die trojanischen Pferde in die Zellen, wo sie von der viralen Protease an den vorbestimmten Zellen geschnitten wurden. Die dadurch freigesetzten Stücke der Caspase lösten den automatischen Selbstmord der Zelle aus, und innerhalb von wenigen Stunden starben die Zellen mit aktiven HI-Viren. Die nichtbefallenen Zellen blieben verschont, da in ihnen keine virale Protease war, um die Caspase zu aktivieren (Nature Medicine vom Januar 1999).

"Das Außergewöhnliche an der Proteinfusionsmethode ist, daß sie kaum durch Mutationen des Virus sabotiert werden kann", sagt Dowdy. "HIV benutzt seine Protease, um ein riesiges Protein an acht bis zehn Stellen zu zerschneiden. Eine gleichzeitige Mutation aller dieser Stellen in dem Protein wäre statistisch gesehen unmöglich. Gleichzeitig müßte das Virus auch die Spezifität der Protease verändern."

Die Tatsache, daß bereits mehrere HIV-Stämme existieren, sollte kein Problem darstellen. "Man paßt einfach das Killermolekül an, indem man die Spaltungsstellen aus den verschiedenen HIV-Stämmen einfügt", erklärt der Forscher.

Dowdy stellt sich vor, das Fusionsprotein Patienten in Form eines Aerosols zu verabreichen, das sich an die Lungenwände anheftet und dann in die Blutbahn wandert. Es würde durch Gewebe wandern, indem es sich von Zelle zu Zelle fortbewegt.

Der Wissenschaftler glaubt, daß Fusionsproteine entwickelt werden könnten, die viele infektiöse Organismen bekämpfen könnten, die im Verlaufe ihres Lebens im Menschen eine Protease benutzen. Zusätzlich arbeitet seine Gruppe daran, Fusionsproteine gegen Prostatakrebszellen zu entwickeln. Sollte dies gelingen, könnten die Krebszellen nach und nach abgetötet werden, was sicherlich weniger Nebenwirkungen mit sich bringen würde als die derzeit üblichen Therapien, meint Dowdy.

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