News: Keine Tabula rasa
Durch frühere Experimente, insbesondere an Katzen, gingen die Wissenschaftler davon aus, dass die richtige Verschaltung der Augendominanzsäulen durch die Signale vom Corpus geniculatum laterale, also erst durch das Sehen, ausgelöst wird. Erfahrung formt demnach das Gehirn erst nach der Geburt während einer "kritischen Periode".
Justin Crowley und Lawrence Katz vom Medical Center der Duke University in Durham haben diese These bei jungen Frettchen überprüft. Wie Katzen, zeigen diese Kleinräuber eine deutliche "kritische Periode" – wichtige Verschaltungen des Gehirns bilden sich erst nach der Geburt aus. Mit Hilfe radioaktiver Markierung konnten die beiden Wissenschaftler die Entstehung der Verschaltungen vom Corpus geniculatum laterale zu den Augendominanzsäulen des visuellen Cortex verfolgen. Dadurch konnten sie beobachten, was passiert, wenn neugeborene Frettchen nur die Signale von einem Auge erhalten, sie also auf einem Auge blind sind. Zur Überraschung der Forscher entwickleten sich die Augendominanzsäulen dieser Tiere dennoch normal (Science vom 17. November 2000).
"Bis jetzt galt das Konzept, dass die neuralen Verschaltungen in Jungtieren nicht sehr spezifisch sind, und dass Erfahrung und Umwelt nötig sind, um die anfangs groben Verschaltungen zum adulten Muster zu verfeinern", erklärt Katz. "Das ist nicht der Fall. Die Augendominanzsäulen waren in den frühesten von uns untersuchten Stadien bereits vorhanden und genauso ausgebildet wie die Strukturen der ausgewachsenen Tiere." Während der "kritischen Periode" können die Verschaltungen des visuellen Cortex durch äußere Einflüsse noch umgestaltet werden. Daher ging die Wissenschaft bisher davon aus, diese Verschaltungen werden erst während dieser Periode etabliert. "Das war ein guter Ansatz", meint Crowley, "aber nicht notwendigerweise ein richtiger." Vielmehr scheint das Gehirn bereits von Anfang an zu "ahnen", was auf ihm zukommt. Wie dies geschieht, bleibt rätselhaft. Die beiden Wissenschaftler glauben, dass bestimmte Moleküle die richtigen Verschaltungen von Anfang an festlegen: "Die Suche nach diesen Leitmolekülen ist entscheidend für das Verständnis der ersten Phasen der Hirnverschaltungen."
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 13.6.2000
"Wie im Kopf zusammenkommt, was zusammen gehört"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 7.2.2000
"Wer richtig sehen will, muss fühlen"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum der Wissenschaft 1/00, Seite 36
"Das Sehen – ein Fenster zum Bewußtsein"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich) - Spektrum der Wissenschaft 9/93, Seite 42
"Bildung repräsentationaler Zustände im Gehirn"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)
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