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Virologie: Keine Tarnkappe

Viren könnten ohne ihre Wirtsorganismen nicht überleben: Sie brauchen die Zellen, um sich zu vermehren. Dafür schleusen sie ihr Erbgut in den unfreiwilligen Gastgeber ein und missbrauchen dessen die Maschinerie, um eigene Proteine herzustellen. Sind die Zellen dem hilflos ausgeliefert, oder können sie das fremde Erbgut von ihrem eigenen unterscheiden?
Ribonukleinsäure
Um den täglichen Anforderungen des Lebens gewachsen zu sein, müssen Zellen am laufenden Band Proteine herstellen, die verschiedenste Funktionen übernehmen. Die Baupläne der Proteine, die Gene, liegen bei den Eukaryoten auf doppelsträngiger DNA im Zellkern vor. Je nach Bedarf wird der DNA-Doppelstrang wie ein Reißverschluss aufgetrennt, und die Zelle erstellt eine einzelsträngige, kürzerlebige Gen-Kopie, die Boten-RNA. Diese wandert aus dem Zellkern heraus ins Zytosol, wo die Zelle anhand ihrer Information das benötigte Protein zusammenbaut.

Viele Viren hingegen verwenden RNA statt DNA als Informationsspeicher. Bei einigen Virentypen ist die RNA doppel-, bei den meisten aber einzelsträngig. Die Partikel injizieren ihre RNA in ihre Wirtszellen, wo sie vervielfältigt wird und dann die Proteinherstellungsmaschinerie der Zelle ausnutzt. Unerkannt bleiben sie dabei nicht: Wissenschaftler vermuten, dass Zellen lange, doppelsträngige RNA im Zytosol als fremd erkennen können und so den Viren auf die Schliche kommen. Denn selbst die eigentlich einzelsträngige virale RNA liegt während der Vervielfältigung als Doppelstrang vor.

Veit Hornung von der Universität München, Gunther Hartmann von der Universität Bonn und ihre Kollegen glaubten jedoch, es müsse noch andere Wege geben, fremde Baupläne zu identifizieren, als den verräterischen Doppelstrang. Sie brachten daher einzelsträngige RNA in Monozyten, eine Sorte weißer Blutkörperchen, ein. Und tatsächlich fingen diese Immunzellen an, Interferon-alpha zu produzieren – eine Substanz, die den Zellen als Alarmsignal für Virusbefall dient und zu Verteidigungsmaßnahmen führt.

Allerdings wird die Abwehr nur mobilisiert, wenn die RNA drei Phosphatreste an einem Ende hatte. Selbst doppelsträngige RNA konnte die Interferon-alpha Herstellung in Monozyten nur dann anregen, wenn sie die drei Phosphate aufwies.

Dies macht Sinn, denn der RNA von eukaryotischen Zellen fehlen diese Reste meist, während sie wenigstens bei Zwischenstufen viraler RNA häufig zu finden sind. Die Boten-RNA von Eukaryoten trägt an ihrem Ende stattdessen eine andere Struktur, die "Kappe". Viren, die Eukaryoten befallen, haben meistens ebenfalls diese molekularen Kappen auf ihrer RNA, jedoch fehlen sie zeitweise bei der Vervielfältigung, was genügend Zeit zur Erkennung bietet. Gaben die Forscher nun RNA mit Kappe künstlich ins Zytosol der Monozyten, rührten sich diese kaum und setzten fast kein Interferon frei, weil sie die Moleküle wohl für eigene hielten.

Außerdem fügen Eukaryoten ihrer RNA häufig schon im Zellkern kleine chemische Veränderungen zu, welche die RNA von Viren in den meisten Fällen nicht haben kann, da sie nicht in den Zellkern gelangt. Selbst ohne Kappe ließ so modifizierte, künstlich hinzugefügte RNA die zellulären Sirenen nicht schrillen. Demnach besitzen Zellen noch weitere Möglichkeiten, eigene RNA zu identifizieren, sollte die Kappe einmal fehlen.

Doch wer ist der erfolgreiche Viren-Erspäher? Zwei Verdächtige hatten die Forscher im Visier: die Enzyme MDA-5 und Retinsäure-induzierbares-Protein I (RIG-I). Von ihnen ist bekannt, dass sie zur Abwehr viraler Infektionen unverzichtbar sind und Virenalarm auslösen können. Genetisch veränderte embryonale Maus-Fibroblasten, denen MDA-5 fehlte, schlugen trotzdem Alarm und setzten Interferon frei. Mangelte es ihnen an RIG-I, ignorierten sie die Fremd-RNA jedoch. Zusätzlich konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass RIG-I direkt an das Triphosphatende der RNA bindet. Demnach übernimmt dieses Protein hier die Rolle des gesuchten Spähers [1].

Einige Viren sind aber regelrechte Undercover-Spezialisten und haben Strategien entwickelt, den Interferon-Alarm abzuschalten. Bei dem Grippevirus Influenza A ist das Protein NS1 dafür verantwortlich. Wie allerdings, war bisher ungeklärt.

Wissenschaftler um Caetano Reis e Sousa vom London Research Institute wussten, dass beim Aufspüren eines genetisch modifizierten Virus, das kein NS1 mehr herstellen kann, RIG-I für das Interferon-Signal sorgt. So vermuteten sie, dass NS1 vielleicht RIG-I bindet und auf diese Weise beim Alarmschlagen behindert. Und tatsächlich konnten sie dieses nachweisen: Sie ließen Zellen fluoreszenzmarkiertes RIG-I herstellen, infizierten die Zellen mit dem Influenza-Virus und konnten das markierte RIG-I mit Antikörpern gegen NS1 aus Zellaufschlüssen heraus fischen. Demzufolge musste NS1 sich mit RIG-I verbunden haben.

In weiteren Versuchen unterstützten Reis e Souza und seine Kollegen die Erkenntnisse von Hartmann und seinem Team, denen zufolge einzelsträngige virale RNA an ihrem Triphosphatende erkannt wird: Das NS1-freie Influenza-A-Virus generierte nach dem Eindringen in die Zelle gar keine doppelsträngige RNA, an der es nach der gängigen Theorie hätte erkannt werden können. Offensichtlich bemerkten die Zellen das Virus dennoch, da sie mit Interferon-Produktion reagierten. Eine Behandlung mit einem Phosphatase-Enzym, welches den Phosphatschwanz der viralen RNA abschnitt jedoch, verhinderte dieses Alarm-Signal [2].

Damit ist nun ein weiterer wichtiger Erkennungsmechanismus für diese krankheitserregenden Eindringlinge aufgeklärt. Und zusätzlich wurde dabei dem Irrglauben zu Leibe gerückt, nur Doppelstrang-RNA wirke alarmierend. Hartmann betont, dass die neuen Erkenntnisse nicht nur für die Bekämpfung viraler Infekte, sondern auch für die Gentherapie von Bedeutung sind. Denn bevor man genetisches Material in Zellen einbringe, müsse man genau verstehen, was dieses in den Zellen bewirkt.

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