Kerzenchemie: Ein Feinstaub freisetzendes Lichtlein brennt
Der Advent ist die Jahreszeit des Lichts, genauer gesagt: des Kerzenlichts. Für viele Menschen sind die flackernden Flammen für die festliche Stimmung unverzichtbar. Feuer hat allerdings auch die unangenehme Eigenschaft, eine Vielzahl an Verbrennungsprodukten zu erzeugen. Von offenem Feuer weiß man, dass Gase wie Stickoxide und Kohlenmonoxid sowie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe entstehen. Ruß und Feinstaub reizen Augen und Atemwege. Aber gefährden auch die kleinen Flammen brennender Kerzen die Gesundheit? Und wenn ja, wie lassen sich die Risiken verringern, ohne auf die besinnlichen Momente im Schein der Flammen verzichten zu müssen?
Antworten auf solche Fragen suchen Experten für Luftqualität in Innenräumen wie Tunga Salthammer vom Fraunhofer-Institut für Holzforschung in Braunschweig – allerdings nicht in der heimeligen Stube, sondern in Hightech-Edelstahlkammern. In den acht Kubikmeter großen Versuchsräumen brennen dann extra für diese Versuche hergestellte Kerzen unter kontrollierten Bedingungen. Welche Substanzen dabei entstehen, registriert eine ganze Reihe analytischer Hightech-Methoden: Laser- und Fluoreszenzmessgeräte, Chromatografen und Spezialfilter messen die entstehenden Gase, Feinstäube und die aus gesundheitlicher Sicht besonders bedeutsamen flüchtigen organischen Verbindungen, kurz VOC. Salthammer ist Mitglied der Kommission für Innenraumlufthygiene am deutschen Umweltbundesamt. Zusammen mit einem Forschungsteam berichtet der Lufthygieniker im Online-Journal »Environmental International« über seine Versuchsergebnisse.
Die allermeisten in Europa und Nordamerika verkauften Kerzen bestehen aus den vier Brennstoffen, die Salthammer in seiner Studie untersuchte. Bienenwachs gehört nicht dazu. Stattdessen brennen hier zu Lande etwa Pflanzenwachse, die mittels Hydrierung von Palm- und Sojaöl hergestellt werden, das Erdölprodukt Paraffin und das aus pflanzlichen oder tierischen Fetten produzierte Stearin. Die Brennstoffe kombinierte die Arbeitsgruppe mit unterschiedlichen Duft- und Aromamischungen, deren Bestandteile ebenfalls Schadstoffe abgeben, wenn sie verbrennen. Nach dem Anzünden des aus Baumwollfäden geflochtenen Dochts schmilzt zunächst bei etwa 60 bis 70 Grad Celsius das Wachs, der Kapillareffekt zieht die Flüssigkeit samt Duftstoffen nach oben. In ihrem Inneren erreicht die Flamme Temperaturen zwischen 600 und 1400 Grad Celsius, bei denen das flüssige Wachs verdampft und mit Sauerstoff aus der Luft verbrennt.
Wenn Duftstoffe in der heißen Kerzenflamme verbrennen, entstehen Verbindungen wie Formaldehyd oder Acetaldehyd, aber auch komplexe, kaum bekannte Stoffgemische
Dabei entsteht neben geringen Mengen Kohlenmonoxid (CO) vor allem Kohlendioxid (CO2). Allerdings reagieren bei Temperaturen über 1000 Grad Celsius, die nicht nur in Kerzenflammen, sondern auch in den Flammen von Gasherden oder in offenen Kaminen erreicht werden, die beiden Hauptbestandteile der Luft, Stickstoff und Sauerstoff, ebenfalls miteinander und bilden Stickoxide. Diese Gase, besonders Stickstoffdioxid, sind ätzend und reizen die Schleimhäute der Augen und der Atemwege. Das kann vor allem bei empfindlichen Menschen zu Beschwerden führen und vorhandene Erkrankungen verschlimmern. Außerdem sind Stickoxide Vorläufersubstanzen von Feinstaubteilchen, die ebenfalls negative gesundheitliche Wirkungen haben können. Bei offenen Flammen lässt sich jedoch nicht vermeiden, dass Stickoxide entstehen.
Entsprechend den Prinzipien der Verbrennungsreaktion produzieren die vier untersuchten Kerzenwachse laut den Analysen von Tunga Salthammer jeweils ähnliche Mengen von Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Stickoxiden. Interessant aus chemischer Sicht wird es, sobald Duftmischungen im Spiel sind: Die Messgeräte registrierten dann erheblich mehr VOCs als bei Nicht-Aroma-Kerzen. Dabei erzeugen frische, blumige Düfte mehr Emissionen als würzige. Das ist zunächst einmal erwünscht, denn die Aromastoffe aus der Kerze sorgen für einen angenehmen Duft, wenn sie aus dem geschmolzenen Wachs in die Luft verdunsten. Nicht vermeiden lässt sich jedoch, dass einige dieser Substanzen in der heißen Kerzenflamme verbrennen und auf diese Weise andere Verbindungen wie Formaldehyd oder Acetaldehyd, aber auch komplexe, kaum bekannte Stoffgemische entstehen.
Die Kerzen erwiesen sich bei den Messungen dennoch als einigermaßen ungefährlich. Studien zeigen, dass in einem durchschnittlichen Haushalt in der Vorweihnachtszeit etwa 16 Stunden pro Woche Kerzen brennen. Auf der Basis dieser Annahme und der in den Edelstahlkammern ermittelten Daten berechneten Tunga Salthammer und seine Kollegen, ob Kerzen im Haushalt die internationalen Grenzwerte für Luftschadstoffe überschreiten. Dabei blieben die ermittelten Langzeitbelastungen mit Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und Stickoxiden sowie die Konzentrationen der organischen Stoffe aus den Duftmischungen teils deutlich unter den jeweiligen Richt- oder Grenzwerten. Lediglich beim Krebs erregenden Benzo[a]pyren, das bei unvollständiger Verbrennung häufig entsteht, und beim giftigen Reizstoff Acrolein erreichen die Kerzen die – mit großen Sicherheitstoleranzen festgelegten – Langzeit-Richtwerte der US-Umweltbehörde EPA und der Weltgesundheitsorganisation WHO oder überschritten sie sogar leicht.
Die ermittelten Langzeitbelastungen mit Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und Stickoxiden sowie die Konzentrationen der organischen Stoffe aus den Duftmischungen blieben größtenteils deutlich unter den jeweiligen Richt- oder Grenzwerten
Neben solchen im Labor und theoretisch ermittelten Zahlen gibt es auch reale Messungen über die Luftbelastung durch Kerzen in Wohnungen. So untersuchte eine Gruppe um Alfred Wiedensohler vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig, wie viel Feinstaub Kerzen in ganz normalen Haushalten in die Luft abgeben. In der Studie, an der auch der Leiter des Fachgebiets Innenraumhygiene des Umweltbundesamts (UBA), Wolfram Birmili, beteiligt war, quantifizierte die Arbeitsgruppe in 40 Berliner und Leipziger Wohnungen mehr als eineinhalb Jahre lang winzige Partikel, die gerade einmal 10 bis 800 millionstel Millimeter groß waren.
56 Prozent der gemessenen Feinstaubpartikel stammten aus den Wohnungen selbst, der Rest war von der Straße eingedrungen, berichtet die Gruppe in der Zeitschrift »Indoor Air«. In der kalten Jahreszeit stieg der Anteil des in der Wohnung erzeugten Feinstaubs sogar auf 70 Prozent, weil dann die Fenster meist geschlossen blieben und so weniger Partikel von außen hineinwehen konnten. Das liegt natürlich auch daran, dass in der dunklen Jahreszeit, vor allem im Advent und an Weihnachten, erheblich mehr Kerzen in den Wohnungen angezündet werden als sonst. Diese nämlich sind die größte Quelle der in den Räumen erzeugten Fein- und Ultrafeinstäube. 53 Billionen solcher winzigen Teilchen steigen pro Stunde von einer einzigen brennenden Kerze in die Luft.
Diese Ultrafeinstäube sind weniger als 100 Nanometer groß. Wird die Kerze ausgeblasen oder gelöscht, gelangen dagegen deutlich größere Feinstaubteilchen in die Luft, die oft als Kerzenrauch mit bloßem Auge zu sehen sind. »Diese Partikel ähneln denen, die im Tabakrauch entstehen«, erklärt UBA-Forscher Wolfram Birmili.
Doch beeinflusst diese Belastung durch Feinstäube und Schadstoffe auch messbar die Gesundheit? Konkrete Erkenntnisse dazu hat Birmili bisher nicht. Trotzdem rät er zu einem sorgfältigen Umgang mit Kerzen, die auf dem Adventskranz und an Weihnachtsbäumen, unter Teekannen oder beim Candlelight-Dinner brennen: Spätestens wenn die Flammen ausgepustet sind, solle man den Raum gut lüften, um die Schadstoffkonzentrationen rasch zu senken.
Regelmäßig die Fenster aufreißen und durchlüften
Lüften sei in bewohnten Räumen ohnehin immer eine gute Idee, sagt auch Fraunhofer-Forscher Tunga Salthammer. Bei geschlossenen Fenstern staue sich in der Luft das Kohlendioxid, das Menschen und Tiere ausatmen. Während einer 45-minütigen Vorlesung, hat der Chemiker an einem Herbsttag ermittelt, steigt der Gehalt von 0,04 Prozent Kohlendioxid auf satte 0,2 Prozent am Ende der Veranstaltung. »Das ist ungefähr die Konzentration, ab der wir die Luft als verbraucht empfinden«, sagt Salthammer. Werden die Fenster des Hörsaals weit geöffnet, sinkt die Kohlendioxidkonzentration innerhalb von vier Minuten auf 0,06 bis 0,07 Prozent.
Natürlich könnte man zu Hause die Fenster schon aufreißen, während die Kerzen am Adventskranz brennen. Nur entsteht dabei leicht ein Luftzug, der die Flamme flackern lässt. »Dabei bilden sich erheblich mehr Rauch und Schadstoffe«, erklärt Innenraumhygieniker Wolfram Birmili. Besser sei es, das Fenster zu kippen und so zwar den Luftaustausch zu erhöhen, aber die Kerzen vor dem Flackern zu schützen. Eher wenig bringe es dagegen, vor dem Anzünden den Docht zu kürzen, vermutet der UBA-Forscher: »Dadurch fehlt ja nur ein kleiner Teil des Dochts, während die Kerze und der gesamte Rest des Dochts normal abbrennen und dabei Schadgase und Partikel erzeugen«, nennt Birmili die Gründe für seine Skepsis.
Am deutlichsten lassen sich die Schadstoffkonzentrationen senken, wenn man auf Kerzen mit Duftstoffen verzichtet. Das Brennmaterial selbst hingegen macht in Hinblick auf die freigesetzten Schadstoffe nur einen geringen Unterschied. Es spielt allerdings eine Rolle für alle, die zusätzlich auf Nachhaltigkeit achten möchten. Dann sind Kerzen aus Bienenwachs zu empfehlen oder aus reinem Stearin, das aus nachhaltigem Pflanzenanbau oder Tierabfällen gewonnen wird. Auf Paraffinkerzen sollte man aus Umweltgründen besser ganz verzichten – es wird ausschließlich aus Erdöl hergestellt.
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