Künstliche Intelligenz: KI sagt Monsterwellen präzise voraus
Monsterwellen galten lange als Seemannsgarn: plötzlich auftretende, riesige Wellen, die ganze Schiffe zerstören können. Erst als digitale Instrumente 1995 erstmals eine 26 Meter hohe Welle verzeichneten, die auf die norwegische Ölbohrplattform »Draupner« traf, gab es einen handfesten Beweis für die gigantischen Ausreißer. Seitdem werden sie ausgiebig erforscht. Nun hat ein Team um den Informatiker Dion Häfner vom Niels-Bohr-Institut in Kopenhagen mit Hilfe etlicher Daten und maschinellen Lernens ein Modell entwickelt, das die Entstehung von Monsterwellen erklärt – und zudem die Wahrscheinlichkeit für ihr Auftreten angibt. Die Arbeit ist am 20. November 2023 im Fachjournal »PNAS« erschienen.
Wie gefährlich die riesigen Brecher sein können, verdeutlicht ein Schiffsunglück, das sich im Dezember des Jahres 1978 ereignete. Damals geriet der deutsche Frachter »München« in einen Sturm im Nordatlantik. Die Crew blieb entspannt – ein Unwetter sollte dem 261 Meter langen Schiff eigentlich nichts anhaben. Doch kurz nach einem abgesetzten Notruf verschwand der Frachter samt der 28-köpfigen Besatzung. Bloß ein paar Rettungsboote und Schiffscontainer ließen sich später bergen. Damals konnte die Bundesmarine die Ursache für den Untergang nicht klären. Heute geht man davon aus, dass der Frachter das Opfer einer Monsterwelle wurde.
Um die Schifffahrt vor solchen Wellenausreißern zu schützen, versuchen Forschende zu verstehen, wie sich Monsterwellen bilden – und welche Bedingungen sie begünstigen. Häfner und seine Kollegen haben zu diesem Zweck frei verfügbare Daten von Meeresbewegungen, Seegang und den dazugehörigen Wassertiefen ausgewertet. Zudem haben sie Daten von Bojen gesammelt, die sich an 158 verschiedenen Orten rund um die US-Küsten und in Überseegebieten befinden. Zusammengenommen hatten die Forschenden damit Informationen zu mehr als einer Milliarde Wellen zur Verfügung – was den Meeresbewegungen von etwa 700 Jahren entspricht.
Monsterwellen treten recht häufig auf
Die Wissenschaftler stellten überrascht fest, dass Monsterwellen häufiger auftreten als erwartet. »Wir haben in unserem Datensatz 100 000 Monsterwellen registriert. Das entspricht etwa einer solchen Welle pro Tag«, erklärt der Informatiker Johannes Gemmrich, Koautor der aktuellen Studie. Doch nicht alle waren von extremer Größe (als »extrem« gilt eine Welle mit einer Höhe von mehr als 20 Metern). Generell werteten die Forscher eine Welle als Monsterwelle, wenn sie mindestens doppelt so hoch ist wie der sonstige Wellengang.
Häfner und seine Kollegen verwendeten mehrere KI-Methoden, um die riesige Menge an Daten auszuwerten. Während herkömmliche KI-Systeme einfach nur Ergebnisse ausspucken, ohne sie zu begründen, waren die Forscher an kausalen Zusammenhängen interessiert. Sie wollten mit Hilfe von maschinellem Lernen ergründen, was Monsterwellen verursacht – und nicht bloß eine Wahrscheinlichkeit für ihre Entstehung berechnen, ohne zu wissen, wie das KI-Modell zu dem Ergebnis kommt. Daher entwickelten sie ein so genanntes kausales Modell, dessen Resultate sich überprüfen und interpretieren lassen. Der Algorithmus und die gesammelten Daten der Forscher sind frei verfügbar und können von allen genutzt werden.
Tatsächlich brechen die Ergebnisse von Häfner und seinen Kollegen mit einer gängigen Erklärung von Monsterwellen. Einige Fachleute gingen davon aus, dass die Ausreißer entstehen, wenn sich mehrere Wellen kurzzeitig miteinander verbinden und eine Welle die gesamte Energie aufnimmt – und als Monsterwelle weiterzieht. Wie das Team um Häfner jedoch feststellte, scheint der vorherrschende Faktor die so genannte lineare Überlagerung zu sein: Wenn sich Wellenberge mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ausbreiten, kann es immer wieder passieren, dass sich viele Wellenberge an einem Punkt überlappen und sich so sehr verstärken, dass eine Monsterwelle entsteht.
Wann die perfekten Bedingungen vorherrschen, damit eine solche lineare Überlagerung stattfindet, soll der von den Forschern entwickelte Algorithmus vorhersagen. »Im Grunde genommen ist es einfach Pech, wenn eine dieser Riesenwellen auftritt. Sie werden durch eine Kombination vieler Faktoren verursacht«, sagt Häfner. Bleibt also zu hoffen, dass der Algorithmus der Forscher funktioniert – testen könnten ihn Schifffahrtsunternehmen bereits.
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