Pocken: Killervirus entstand nach Kolumbus
Ein Mumienfund mit Folgen: Ein litauisches Pockenopfer aus dem 17. Jahrhundert stellt vieles in Frage, was wir über eine der tödlichsten Plagen der Menschheit zu wissen glauben. Schon der ägyptische Pharao Ramses V. soll im 12. Jahrhundert v. Chr. der Krankheit erlegen sein. Mancher Historiker vermutet, dass sie als Antoninische Pest ein Massensterben im Römischen Reich auslöste und bei der Eroberung Amerikas eine tragende Rolle spielten. Es fehlen jedoch stichhaltige Nachweise, dass Pockenviren, die im 18. und 19. Jahrhundert Millionen von Menschen töteten, wirklich an diesen Begebenheiten beteiligt waren. Die Mumie aus Litauen liefert nun Antworten.
Was die Untersuchung des Mumiengewebes ergab, kann durchaus als Sensationsfund bezeichnet werden. Forscher um Erstautorin Ana Duggan von McMaster University in Kanada belegen mit Hilfe dieser Probe, dass die uns bekannten Pockenviren viel jünger sind als zuvor gedacht. Ihre Studie zeigt, dass ihr Vorfahr erst nach der Eroberung Amerikas entstand. Unmöglich also, dass sie vorhergehende historische Plagen ausgelöst haben.
Das Pocken-Erbgut in der Mumie
Diese außergewöhnliche Behauptung untermauert das Team mit DNA-Untersuchungen. Aus den Gewebeproben der mumifizierten Leiche eines Kindes, das im 17. Jahrhundert in Litauen an den Pocken verstorben war, isolierten sie die DNA eines urtümlichen Pockenerregers und verglichen sein Erbgut mit den von im 20. Jahrhundert geläufigen Pockenviren. Die Analyse zeigt: Alle Pockenviren aus der Neuzeit und die Pockenerreger der litauischen Mumie stammen von einem gemeinsamen Ursprungsvirus ab, das sich um 1580 entwickelt haben dürfte.
Das Team fand keine vollständigen Viruspartikel im Mumiengewebe, sondern nur kleine, für Menschen ungefährliche DNA-Spuren aus dem Virusgenom. Im Gewebe waren diese mit mit einer Vielzahl von anderen DNA-Stücken vermischt. Um das Virus-Erbgut separat zu untersuchen, isolierten die Forscher dieses zuerst. Das beschreibt Ana Duggan wie einen molekularen Angelausflug: Die Forscher lösten zuerst alle DNA-Stücke in einer Flüssigkeit und angelten sich dann die, die sie untersuchen wollten, mit winzigen Ködern in Form von RNA-Sonden. So reicherten sie gezielt Virus-DNA an und untersuchen sie.
Mit dieser Methode stellten sie fast das gesamte Virusgenom wieder her – also beinahe alle DNA-Abschnitte, die die Erbinformation des Pockenerregers bilden. Danach lasen sie die Sequenz ihres rekonstruierten Virus und verglichen diese mit der von 42 anderen Pockenviren, die zwischen 1947 und 1975 weltweit gesammelt worden waren. So bestimmten die Forscher Verwandtschaftsverhältnisse aller untersuchten Viren, und arbeiteten diese in einen gemeinsamen Stammbaum ein. Mit Hilfe dieser Analyse schätzten sie auch ab, wann der erste gemeinsame Vorfahre dieser Pockenerreger entstanden sein dürfte: Laut ihren Berechnungen etwa zwischen 1588 und 1645.
Das ist erst einige Jahrzehnte nach der Eroberung Amerikas durch Hernán Cortés und mehrere Jahrhunderte beziehungsweise Jahrtausende nach der Blüte des klassischen Griechenlands und des Zeitalters der ägyptischen Pharaonen. Wenn es den Erreger damals noch nicht gab, welche Krankheit prägte dann so maßgeblich die Geschichte?
Welche Seuche besiegte die Azteken?
Die Antwort darauf kann auch Ana Duggan nicht liefern. Da Gewebeproben dieser historischen "Pockenopfer" nie auf DNA-Spuren von Pockenerregern untersucht wurden, ist schwer zu sagen, woran sie wirklich gestorben sind. Einige Erreger lösen ähnliche Symptome wie Pocken aus, und diese Erkrankungen waren vielleicht im Nachhinein als Pocken falsch identifiziert worden, meint die Forscherin. Es sei also durchaus denkbar, dass manche historische Pockenepidemie eigentlich durch Windpocken oder Masern verursacht wurde.
Auch eine weitere Erklärung ist möglich: Ein ganz anderer Stamm der Pockenviren löste vielleicht Seuchen aus, verschwand aber vor dem 20. Jahrhundert. In den Überresten seiner Opfer fände sich dann ein Pockenvirus, der nicht direkt mit den heute bekannten Varianten verwandt wäre. Noch wurde ein solches Virus nicht gefunden, dass es existierte, ist aber deshalb nicht ausgeschlossen. Die Forscherin würde gerne mehr Klarheit schaffen, doch noch fehlen ihr die Gewebeproben. Besonders, welcher Erreger bis zu 40 Prozent der zentralmexikanischen Azteken im Jahr vor der spanischen Eroberung ihrer Hauptstadt Tenochtitlan tötete, würde sie nur allzu gerne untersuchen.
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