Linguistik: Kinder mit Tourettesyndrom verarbeiten Sprache schneller
Rasche, unwillkürliche Bewegungen, Muskelzuckungen sowie unfreiwillig ausgestoßene Laute und Geräusche zählen zu den Hauptsymptomen des Tourettesyndroms. Diese so genannten Tics sind für Außenstehende sehr offensichtlich – nicht so augenscheinlich ist, dass sich die Störung aber auch auf die sprachlichen Fähigkeiten auswirken kann, und zwar im Positiven, wie Cristina Dye von der britischen Newcastle University und ihre Kollegen nun berichten.
Die Erkenntnis, dass Kinder mit Tourettesyndrom in mancherlei Hinsicht über bessere Sprachfähigkeiten verfügen können, ist nicht gänzlich neu. Ein Team um die Wissenschaftler Matthew Walenski, Stewart Mostofsky und Michael Ullman konnte bereits 2007 zeigen, dass betroffene Kinder in einem bestimmten sprachlichen Feld außergewöhnlich begabt sind: in der Morphologie, also im Bilden von Wortformen. So waren sie etwa besonders schnell darin, schwache Verben (etwa "holen – holte") zu konjugieren.
In der aktuellen Studie widmeten sich die drei Forscher gemeinsam mit Dye nun dem Bereich Aussprache und Lautproduktion. Im Rahmen der Untersuchung sollten 13 Kinder mit Tourettesyndrom und 14 Kontrollprobanden frei erfundene Wörter (etwa "naichovabe") wiederholen. Das Gehirn muss dabei den phonologischen Regeln der jeweiligen Muttersprache folgend ungewohnte Silben neu zusammensetzen und dementsprechend die Artikulationsorgane steuern. Beide Gruppen konnten die Fantasiewörter gleich gut aussprechen – jedoch gelang es den Teilnehmern mit Tourettesyndrom deutlich schneller, die vorgegebenen Lautketten zu reproduzieren.
Ihre Stärke in der Sprach- und Lautproduktion könnte in der psychologischen Praxis in Zukunft von Bedeutung sein. "Wir wissen, dass Kinder bei den meisten neurologischen Entwicklungsstörungen Schwierigkeiten dabei haben, Laute zusammenzusetzen. Deswegen könnten solche Aufgaben unter Umständen zur Diagnose des Tourettesyndroms bei Risikokindern verwendet werden", meint Dye.
Das phonologische Wissen ist in denselben Hirnstrukturen verankert wie das morphologische. Das bestätigt Dye und Kollegen in ihrer Ansicht, dass die Störung nicht nur negative Seiten hat: "Wir glauben, dass die Abweichungen im Gehirn, die dem Tourettesyndrom zu Grunde liegen und mit den Tics zusammenhängen, auch dazu führen könnten, dass andere Prozesse hingegen schneller ablaufen."
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