Epidemien: Kinderstube des Killers
Um die Aids-Pandemie besser zu verstehen, beschäftigen sich Wissenschaftler zunehmend mit ihrem Ursprung. Insbesondere die alten Wirte der HIV-Ahnenreihe, die Affen, sind ein viel versprechendes Forschungsobjekt. Anders als der Mensch leben sie offenbar ganz gut mit ihren Viren.
In knapp zwei Wochen wird das Tagungszentrum im kanadischen Toronto aus allen Nähten platzen. Wieder einmal, zum 16. Mal, werden sich sehr viele Forscher und eine Menge Journalisten treffen und die Internationale Welt-Aids-Konferenz abhalten. Für noch weit mehr Menschen wären aber Ergebnisse lebenswichtig: Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzte Ende 2005 die Zahl der mit HIV infizierten Menschen auf etwa 40,3 Millionen Menschen weltweit. Allein 3,1 Millionen starben im vergangenen Jahr – und trotz intensiver Forschung konnte bislang noch kein Heilmittel gegen die tödliche Krankheit entwickelt werden.
Von der Meerkatze zum Menschen
Den Weg zum Menschen fand das HI-Virus wahrscheinlich vor etwa achtzig Jahren über die Schimpansen Kameruns. Nur einige der dort heimischen Populationen von Pan troglodytes troglodytes, entdeckte vor kurzem eine internationale Forschergruppe um Beatrice Hahn von der Universität von Alabama, tragen das mit dem Aids-Erreger nach molekularen Untersuchungen nah verwandte Retrovirus Simian Immunodefiency Virus cpz, kurz SIVcpz, im Körper.
Schimpansen fangen sich nicht selten sogar ein zweites, entfernt verwandtes Retrovirus ein – und so vermuten die Wissenschaftler, dass schon SIVcpz durch eine Rekombination zweier Lentiviren entstand. Einer der Menschenaffen könnte es sich durch den Verzehr von infizierten Meerkatzen eingefangen haben, ein rekombinantes Virus-Mischprodukt dann irgendwann, vielleicht nach Bissen, auf die Mitglieder Herde übergesprungen sein. Die Affen wiederum bissen Menschen – oder landeten als infektiöser Braten im Magen Einheimischer.
Am Ende einer solchen Ereigniskette standen schließlich drei separate Infektionen, bei denen die Immunschwächekrankheit der Schimpansen auf den Menschen übersprang. Jedes Mal entstand in den menschlichen Opfern dabei eine andere Variante von HIV-1, unter anderem auch HIV-1 M, die gefährlichste der bislang elf entdeckten Unterarten von HIV-1 und HIV-2 – und der letztliche Auslöser der weltweiten Pandemie [1].
Auch die Erregervariante HIV-2 gelangte über Affen zum Menschen. Überträger war hier wahrscheinlich die von Sierra Leone bis Ghana verbreitete Rauchgraue Mangabe Cercocebus atys. Da die fatale Virenweitergabe hier bei einer Vielzahl separater Ereignisse geschah, unterscheiden Ärzte und Forscher nun acht Unterarten des HIV-2.
Evolution und Mutation
In Anbetracht der Tatsache jedoch, dass bei Affen zumeist ein Biss genügt, um den Erreger der Immunschwächekrankheit auf Artgenossen zu übertragen, erscheinen die Infektionen über die Artgrenze hinweg erstaunlich begrenzt, schreiben Jonathan Heeney vom niederländischen Biomedical Research Centre und zwei Kollegen [2]. Nur wenige Mutationen schafften den Übergang. Ihnen gemein waren unter anderem veränderte und neue Regulatorgene, die heute mitverantwortlich sind für den aggressiven Verlauf der Immunschwächekrankheit.
Bei seinen ursprünglichen Wirten erzeugt der jeweilige SIV-Erreger nur in den seltensten Fällen Aids. Schimpansen, Rauchgraue Mangaben und auch die Grünen Meerkatzen sind beispielsweise eher unempfindlich gegenüber ihrer Virenlast. Anders als bei an Aids erkrankten Menschen bleibt bei Schimpansen auch die CD4-T-Helferzellen-Armada weit gehend funktionsfähig. HIV jedoch kapert diese Immunabwehr-Truppe im menschlichen Körper so erfolgreich, dass sie schließlich überfordert ist und den Weg für alle möglichen Erreger und Krankheiten freimacht.
Resistent dank früherer Seuchen?
Auch beim Menschen sind solche Mutationen bekannt. Unter den Infizierten finden sich sowohl solche, bei denen das Virus besonders schnell zum Ausbruch von Aids führt, als auch solche, bei denen sich die Immunschwächekrankheit ungewöhnlich lange verzögert. Auch einige Resistenzen sind bekannt. Insgesamt haben Wissenschaftler bislang zehn verschiedene Gene und 14 Allele ausfindig gemacht, die hierauf Einfluss haben.
Besonders gut erforscht sind hierbei die Varianten des Gens CCR5, das für einen Rezeptor auf der Oberfläche von Immunzellen kodiert, an den die HI-Viren bei einer Infektion andocken. Je nach Variante des Gens verändert sich dadurch auch die Geschwindigkeit, mit der sich die Infektion im Körper ausbreitet. Bei etwa zehn Prozent der Nordeuropäer vermuten Forscher gar eine Genvariante namens CCR5 delta-32, bei welcher der entsprechende Rezeptor völlig fehlt – eine Infektion mit HIV bleibt bei diesen Menschen aus.
Doch auch nach dem Eintritt in die Zellen kann sich der Körper gegen das HI-Virus wehren: Mit intrazellulären Barrieren und enzymatischen Veränderungen des Virenaufbaus gelingt manchem Infizierten eine Verzögerung der Krankheit. Woher haben diese Menschen jedoch solche Abwehrmechanismen? Die Wissenschaftler vermuten, dass frühere Epidemien hier eine zentrale Rolle spielten.
So könnten die Seuchen des Mittelalters etwa dazu beigetragen haben, dass sich die Genvariante CCR5 delta-32 durchsetzen konnte. Christopher Duncan und Susan Scott von der Universität Liverpool etwa vermuten, die Mutation sei schon vor 2500 Jahren entstanden und habe sich vor allem gegen virale Infektionen wie etwa dem hämorrhagischen Fieber bewährt [3]. Die Abwehrmechanismen gegen HIV entwickelte der Körper damit lange, bevor es die neuartige Bedrohung überhaupt gab.
Doch genau diese historische Entwicklung kann Infizierten auch zum Verhängnis werden. Denn unter dem Druck der Immunreaktionen auf den viralen Angriff helfen auch HI-Viren verstärkt Mutationen, mit denen sie durch die Maschen des Abfangnetzes gelangen. Aus diesem Grund, resümiert Heeney, käme es bei HIV-Patienten häufig zu einem Krieg auf mehreren Fronten, weil der Körper gleich mehrere unterschiedliche Virenstämme bekämpfen müsse.
Dennoch, vermuten Wissenschaftler, könne es im Laufe der Zeit zu einem Patt zwischen beiden Parteien kommen. Ähnlich wie die Schimpansen könnte der Mensch dann mit seiner Virenlast leben – diente dann allerdings womöglich auch als Reservoir, das bei einer ungünstigen Verkettung der Zufälle eine neue tödliche Krankheit hervorbringen könnte.
Auch wenn also die Evolution uns im Laufe der Zeit mit immer mehr Kniffen ausstatten wird, um Aids zu bekämpfen, gilt der medikamentösen Behandlung der Krankheit die höchste Priorität. Denn um HIV endgültig zu besiegen, müssen auch seine Rückzugsmöglichkeiten blockiert werden.
Als entsprechend wichtig gilt der regelmäßige Experten-Austausch in solch großen Foren. Im wissenschaftlichen Teilbereich der Tagung widmet sich ein Themenschwerpunkt auch der Entstehung und Entwicklung des HI-Virus. Dabei steht nicht allein der Mensch im Mittelpunkt, sondern auch die Wirte, denen sich das Virus vor dem Sprung über die Artengrenze bedient hatte. Denn der Ursprung der heutigen Aids-Epidemie, so viel steht fest, findet sich im Dickicht der afrikanischen Urwälder, im Körper von Affen.
Von der Meerkatze zum Menschen
Den Weg zum Menschen fand das HI-Virus wahrscheinlich vor etwa achtzig Jahren über die Schimpansen Kameruns. Nur einige der dort heimischen Populationen von Pan troglodytes troglodytes, entdeckte vor kurzem eine internationale Forschergruppe um Beatrice Hahn von der Universität von Alabama, tragen das mit dem Aids-Erreger nach molekularen Untersuchungen nah verwandte Retrovirus Simian Immunodefiency Virus cpz, kurz SIVcpz, im Körper.
Schimpansen fangen sich nicht selten sogar ein zweites, entfernt verwandtes Retrovirus ein – und so vermuten die Wissenschaftler, dass schon SIVcpz durch eine Rekombination zweier Lentiviren entstand. Einer der Menschenaffen könnte es sich durch den Verzehr von infizierten Meerkatzen eingefangen haben, ein rekombinantes Virus-Mischprodukt dann irgendwann, vielleicht nach Bissen, auf die Mitglieder Herde übergesprungen sein. Die Affen wiederum bissen Menschen – oder landeten als infektiöser Braten im Magen Einheimischer.
Am Ende einer solchen Ereigniskette standen schließlich drei separate Infektionen, bei denen die Immunschwächekrankheit der Schimpansen auf den Menschen übersprang. Jedes Mal entstand in den menschlichen Opfern dabei eine andere Variante von HIV-1, unter anderem auch HIV-1 M, die gefährlichste der bislang elf entdeckten Unterarten von HIV-1 und HIV-2 – und der letztliche Auslöser der weltweiten Pandemie [1].
Auch die Erregervariante HIV-2 gelangte über Affen zum Menschen. Überträger war hier wahrscheinlich die von Sierra Leone bis Ghana verbreitete Rauchgraue Mangabe Cercocebus atys. Da die fatale Virenweitergabe hier bei einer Vielzahl separater Ereignisse geschah, unterscheiden Ärzte und Forscher nun acht Unterarten des HIV-2.
Evolution und Mutation
In Anbetracht der Tatsache jedoch, dass bei Affen zumeist ein Biss genügt, um den Erreger der Immunschwächekrankheit auf Artgenossen zu übertragen, erscheinen die Infektionen über die Artgrenze hinweg erstaunlich begrenzt, schreiben Jonathan Heeney vom niederländischen Biomedical Research Centre und zwei Kollegen [2]. Nur wenige Mutationen schafften den Übergang. Ihnen gemein waren unter anderem veränderte und neue Regulatorgene, die heute mitverantwortlich sind für den aggressiven Verlauf der Immunschwächekrankheit.
Bei seinen ursprünglichen Wirten erzeugt der jeweilige SIV-Erreger nur in den seltensten Fällen Aids. Schimpansen, Rauchgraue Mangaben und auch die Grünen Meerkatzen sind beispielsweise eher unempfindlich gegenüber ihrer Virenlast. Anders als bei an Aids erkrankten Menschen bleibt bei Schimpansen auch die CD4-T-Helferzellen-Armada weit gehend funktionsfähig. HIV jedoch kapert diese Immunabwehr-Truppe im menschlichen Körper so erfolgreich, dass sie schließlich überfordert ist und den Weg für alle möglichen Erreger und Krankheiten freimacht.
Den Grund für diese unterschiedlichen Körperreaktionen sehen Heeney und seine Kollegen in der Koevolution von Virus und Wirt. Über die Zeit habe SIV bei den jeweiligen Affenarten die anfälligen Tiere ausgerottet oder dezimiert, sodass sich letztlich vor allem jene Exemplare vermehren konnten, deren Gene sie vor der Krankheit schützten.
Resistent dank früherer Seuchen?
Auch beim Menschen sind solche Mutationen bekannt. Unter den Infizierten finden sich sowohl solche, bei denen das Virus besonders schnell zum Ausbruch von Aids führt, als auch solche, bei denen sich die Immunschwächekrankheit ungewöhnlich lange verzögert. Auch einige Resistenzen sind bekannt. Insgesamt haben Wissenschaftler bislang zehn verschiedene Gene und 14 Allele ausfindig gemacht, die hierauf Einfluss haben.
Besonders gut erforscht sind hierbei die Varianten des Gens CCR5, das für einen Rezeptor auf der Oberfläche von Immunzellen kodiert, an den die HI-Viren bei einer Infektion andocken. Je nach Variante des Gens verändert sich dadurch auch die Geschwindigkeit, mit der sich die Infektion im Körper ausbreitet. Bei etwa zehn Prozent der Nordeuropäer vermuten Forscher gar eine Genvariante namens CCR5 delta-32, bei welcher der entsprechende Rezeptor völlig fehlt – eine Infektion mit HIV bleibt bei diesen Menschen aus.
Doch auch nach dem Eintritt in die Zellen kann sich der Körper gegen das HI-Virus wehren: Mit intrazellulären Barrieren und enzymatischen Veränderungen des Virenaufbaus gelingt manchem Infizierten eine Verzögerung der Krankheit. Woher haben diese Menschen jedoch solche Abwehrmechanismen? Die Wissenschaftler vermuten, dass frühere Epidemien hier eine zentrale Rolle spielten.
So könnten die Seuchen des Mittelalters etwa dazu beigetragen haben, dass sich die Genvariante CCR5 delta-32 durchsetzen konnte. Christopher Duncan und Susan Scott von der Universität Liverpool etwa vermuten, die Mutation sei schon vor 2500 Jahren entstanden und habe sich vor allem gegen virale Infektionen wie etwa dem hämorrhagischen Fieber bewährt [3]. Die Abwehrmechanismen gegen HIV entwickelte der Körper damit lange, bevor es die neuartige Bedrohung überhaupt gab.
Doch genau diese historische Entwicklung kann Infizierten auch zum Verhängnis werden. Denn unter dem Druck der Immunreaktionen auf den viralen Angriff helfen auch HI-Viren verstärkt Mutationen, mit denen sie durch die Maschen des Abfangnetzes gelangen. Aus diesem Grund, resümiert Heeney, käme es bei HIV-Patienten häufig zu einem Krieg auf mehreren Fronten, weil der Körper gleich mehrere unterschiedliche Virenstämme bekämpfen müsse.
Dennoch, vermuten Wissenschaftler, könne es im Laufe der Zeit zu einem Patt zwischen beiden Parteien kommen. Ähnlich wie die Schimpansen könnte der Mensch dann mit seiner Virenlast leben – diente dann allerdings womöglich auch als Reservoir, das bei einer ungünstigen Verkettung der Zufälle eine neue tödliche Krankheit hervorbringen könnte.
Auch wenn also die Evolution uns im Laufe der Zeit mit immer mehr Kniffen ausstatten wird, um Aids zu bekämpfen, gilt der medikamentösen Behandlung der Krankheit die höchste Priorität. Denn um HIV endgültig zu besiegen, müssen auch seine Rückzugsmöglichkeiten blockiert werden.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.