Klarluftturbulenzen: Warum Fliegen künftig ungemütlicher wird
Es ist ein sonniger Tag, der Himmel strahlend blau. Gerade hat der Pilot verkündet, dass das Flugzeug die Reisehöhe erreicht hat. Die Anschnallleuchten gehen aus. Kinderhände huschen sofort zu den Gurten und öffnen die Schnapper. Die ersten Passagiere stehen auf und bewegen sich durch die Maschine. Doch plötzlich beginnt das Flugzeug zu wackeln und fällt für den Bruchteil einer Sekunde nach unten wie ein Stein. Weit und breit sind keine Wolken zu sehen. Was ist da los?
Das Phänomen nennt sich Klarluftturbulenz und wird durch chaotisch wirbelnde Luftmassen innerhalb der weltweiten Jetstreams verursacht. Jetstreams sind starke Luftströmungen, die den Globus von Westen nach Osten umkreisen. Auf Wetterkarten werden sie als breite, gewellte Linien dargestellt, die sich um Tief- und Hochdruckzentren winden. Viele Piloten fliegen gerne innerhalb der Jetstreams in Bändern mit schnell fließender Luft, um die Geschwindigkeit zu erhöhen und die Reisezeit zu verkürzen. Bei der Durchsicht historischer Flug- und Wetterdaten fand ein Forschungsteam um den Atmosphärenwissenschaftler Paul Williams von der University of Reading in England nun heraus, dass die Häufigkeit der Turbulenzen im nordatlantischen Jetstream zwischen 1979 und 2020 um 17 bis 55 Prozent zugenommen hat. Den stärksten Anstieg verzeichneten die Wissenschaftler bei der schwersten Turbulenzklasse. Modelle sagen eine weitere Zunahme um 100 bis 200 Prozent in den nächsten 30 bis 60 Jahren voraus.
Das liegt daran, dass die Erwärmung auf Grund des Klimawandels die Windscherungen im Jetstream verstärkt. Das schnelle Luftband in einem Jetstream teilt die langsamere Luft, die sich direkt über und unter ihm befindet, und destabilisiert so die eher flachen oberen und unteren Grenzen. Gleichzeitig stabilisieren jedoch die Dichteunterschiede zwischen der Luft im Jetstream und der Luft über und unter ihm die Grenze wieder. In den meisten Fällen überwiegt die stabilisierende Wirkung die destabilisierende, so dass der Flug ruhig verläuft. Wenn die Windscherung jedoch stark wird, kann die destabilisierende Kraft das Tauziehen gewinnen. Das Ergebnis ist chaotisch bewegte Luft, die abrupt auf die Tragflächen des Flugzeugs drückt.
Passagiermägen in freiem Fall
In einem Sturm oder zwischen Wolken lassen sich drohende Turbulenzen relativ leicht erkennen. Das bordeigene Radar kann die Bewegungen von Regentropfen in der Ferne verfolgen, um die turbulente Bewegung der Luft zu entdecken. Die Piloten können dann Passagiere und Besatzung vorwarnen und sie auffordern, ihre Plätze einzunehmen und sich anzuschnallen, bevor es zu einem Ruck kommt. Turbulenzen in klarer Luft sind jedoch für das Radar unsichtbar; die Piloten bemerken sie in der Regel erst, wenn das Flugzeug auf sie trifft.
Was bedeutet das für die Luftfahrtbranche? Zunächst vorweg: Schwere Turbulenzen sind trotz allem relativ selten. Messungen zeigen, dass nur etwa 0,1 Prozent der Atmosphäre in Reiseflughöhe von schweren Turbulenzen betroffen sind. »Das entspricht etwa 30 Sekunden auf einem durchschnittlichen achtstündigen Flug«, sagt Paul Williams. Rein statistisch liefen neun von zehn Flügen, die eine Person unternimmt, ohne schwere Turbulenzen ab.
Mäßige bis leichte Turbulenzen kommen häufiger vor und sind das, was die meisten von uns ab und zu erleben. Bei mäßigen Turbulenzen betragen die Sprünge und Höhenverluste in der Regel nur wenige Meter. Wer nicht angeschnallt ist, wird aus dem Sitz gehoben, weil die Turbulenzen das Flugzeug schneller nach unten beschleunigen als die Schwerkraft. Williams sagt, dass ein achtstündiger Flug aktuell im Schnitt rund 10 bis 15 Minuten ruckeln kann. Prognosen deuteten jedoch darauf hin, dass sich das Ausmaß dieser Turbulenzen in den nächsten Jahrzehnten verdoppeln oder sogar verdreifachen wird.
Die Folgen: Da häufigere Erschütterungen zu einer stärkeren Abnutzung der Flugzeuge führen, könnten den Fluggesellschaften künftig höhere Reparaturkosten entstehen. Auch die Zahl der gestressten Eltern dürfte steigen. Diese Klappschnallen sind für kleine Hände einfach zu leicht zu bedienen.
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