Kleinbauern: Von der Scholle geschubst
Rechts sind Blumen, links sind Blumen: Attila Szőcs durchquert mit dem Auto das ländliche Südrumänien. Sein Blick wandert über das Sonnenblumenfeld, durch das er seit nunmehr einer Stunde fährt und das kein Ende zu nehmen scheint. »Die Leute hier kennen ihre Nachbarn nicht mehr«, schildert er: »Es könnte ein italienischer Investor sein, ein Hedgefonds, ein rumänischer Großbetrieb.« Sonnenblumen, Weizen, Mais und Raps wachsen hier in enormen Mengen. Was fehlt: belebte Dörfer, Infrastruktur, Arbeitsplätze. Die entwurzelte Bevölkerung wandert ab in die Städte oder ins Ausland.
Als Vorsitzender der rumänischen Bauernorganisation Eco Ruralis klärt Szőcs Landwirte über ihre Rechte auf. Gemeinsam mit seiner Frau bewirtschaftet er einen kleinen Hof im Norden des Landes: Gemüse, Wein, in ein paar Jahren vielleicht etwas Vieh. Das ist die eine Seite der rumänischen Landwirtschaft. Die andere Seite stellen Banken, Investmentfonds, Versicherungen oder reiche Privatpersonen: »Ein Scheich aus den Arabischen Emiraten hat vor Kurzem 65 000 Hektar Ackerland für 200 Millionen Euro erworben.«
»Im Fall eines Handelskriegs wären wir aufgeschmissen«Attila Szőcs
Ob ein Marktgigant wie Barilla oder ein rumänischer Oligarch die Flächen besitzt, ist Szőcs prinzipiell egal: »Aber wichtig ist, wohin die Lebensmittel gehen.« Die meisten Investoren stammen aus dem Ausland und versilbern ihre Ernten auf den heimischen Märkten. Die Maria Group aus dem Libanon unterhält sogar einen Schlachthof und einen Hafen am Schwarzen Meer, um Fleisch und Getreide außer Landes zu schaffen. Rumänien importiert Nahrungsmittel aus Russland und der Ukraine: »Im Fall eines Handelskriegs wären wir aufgeschmissen.« Nur 0,5 Prozent der Landnutzer kontrollieren hier die Hälfte aller Ackerflächen. In der gesamten EU sind es drei Prozent. So steht Rumänien symptomatisch für eine Entwicklung, die ganz Europa betrifft.
Über Landverteilung in Europa forscht Sylvia Kay vom Transnational Institute in Amsterdam: »Seit der Wirtschaftskrise vor rund zehn Jahren gilt Boden als sichere Investition«, erklärt sie. Der Bedarf an Lebensmitteln steigt, der Hunger auf Fleisch erfordert Futterpflanzen, und Bioenergie kostet Anbaufläche. So versuchen auch branchenfremde Akteure, sich ihren Teil schwarzbraunen Goldes zu sichern.
In der Folge explodieren die Preise. Kostete in Bulgarien im Jahr 2005 ein Hektar Ackerland 860 Euro, war es zehn Jahre später mehr als das Fünffache. In den Niederlanden sind Hektarpreise von mehr als 60 000 Euro Durchschnitt. Deutschland liegt bei rund 24 000 Euro, mit hohen regionalen Unterschieden. »Kleine Betriebe können kein Land zukaufen oder die Pacht bezahlen«, erläutert Kay: »Allein zwischen den Jahren 2003 und 2014 hat in der EU ein Drittel aller Bauern aufgegeben.«
Zwangen Schlägertrupps Landwirte zum Verkauf?
In den osteuropäischen Staaten funktioniert das Monopoly besonders gut, denn Boden ist hier günstiger, und durch den Zusammenbruch des Kommunismus standen die riesigen Ländereien der Agrarkooperativen zur Verfügung. Manche der ehemaligen Eigentümer wollten ihre Äcker nicht bestellen, andere konnten es nicht: »Der Großbauer, der die Bewirtschaftung organisiert hatte, nutzte sie einfach weiter«, erzählt Szőcs. Viele resignierten und gaben sie ab – ob gegen Geld oder ohne. In anderen Fällen beriefen korrupte Bürgermeister Versammlungen ein: »In aller Öffentlichkeit nötigten sie die Anwohner, ihr Land an ein Großunternehmen zu verkaufen.« Berüchtigt ist die niederländische Rabobank: Sie steht im Verdacht, in Rumänien Land ohne Vertrag zu nutzen und über Mittelsmänner Schlägertrupps angeheuert zu haben, um Landwirte zum Verkauf zu zwingen.
Landgrabbing, ein Grapschen nach Land, nennt man diese Praxis: Konzerne oder Investoren pressen armen Kleinbauern ihre Hufen ab. Einige osteuropäische Staaten versuchen mittlerweile dem Ausverkauf einen Riegel vorzuschieben. Doch ihre Restriktionen stehen in der Kritik. »Sie zielen nur auf die Herkunft des Investors«, moniert Kay: »Das ist zu kurz gedacht und nicht vereinbar mit den EU-Normen.« Zudem kann ein Investor viele Gesetze mittels Share Deals umgehen: Statt eines Stück Landes erwirbt er ein Stück des Unternehmens, das dieses Land innehat.
Das zeigt ein Millionendeal in Brandenburg: Der Versicherungskonzern Münchner Re erwarb 94,9 Prozent einer Tochtergesellschaft der KTG Agrar. Die krumme Zahl kommt nicht von ungefähr – denn wer hier aufrundet, zahlt in Deutschland die Grunderwerbssteuer. Mittlerweile haben die Behörden die Genehmigungen für das Geschäft teilweise widerrufen. Grund ist eine Täuschung im Vorwege: Als die KTG Agrar kurz vor ihrer Insolvenz die Flächen auf die Tochtergesellschaft überschrieb, hätte klar sein müssen, dass sie veräußert werden sollten. Daraufhin durften örtliche Landwirte ihr Vorkaufsrecht nutzen – nur konnten viele die Preise für die Flächen nicht zahlen.
»Alle verdienen am Landwirt, nur der Landwirt verdient nicht mehr wirklich«Franz-Theo Gottwald
In Westeuropa verfügen die Familienbetriebe im Schnitt über mehr Land und bessere Technologien als in den östlichen Ländern. Doch auch ihnen steht das Wasser bis zum Hals. Das unterstreicht Umwelt- und Agrarethiker Franz-Theo Gottwald: »Alle verdienen am Landwirt, nur der Landwirt verdient nicht mehr wirklich.« Gottwald ist stiller Teilhaber eines rund 30 Hektar großen Biohofs: Milchvieh, Hennen, Futterbau. Immer stärker, sagt er, müssten die Lebensmittel bestimmte Normen erfüllen: »Kartoffeln einer bestimmten Form, Milch eines strikt definierten Fettgehalts.« Ein großer Teil der Rohwaren wird verarbeitet, und nur ein Bruchteil des Endpreises erreicht den Erzeuger.
Der wiederum muss in immer teurere Maschinen investieren und möglichst intensiv wirtschaften, um am Markt mithalten zu können. Die Pachtpreise steigen ebenso wie Kosten für Agrardiesel und Saatgut: »Sind die Schulden zu hoch, drängt die Bank zum Verkauf.« Betriebe wie Gottwalds mit bis zu 50 Hektar Größe stellen in Deutschland etwa ein Fünftel der landwirtschaftlichen Fläche – aber die Hälfte der brancheneigenen Arbeitsplätze. Brechen diese weg, beginnt die Infrastruktur zu wackeln: »Es gibt weniger Leben in den Dörfern. Schulen und Handwerksbetriebe schließen, die Gesundheitsversorgung leidet.«
Dörfer und Landschaften veröden ohne Kleinbauern
So wie die Dörfer veröden die Landschaften, die sie umgeben. Zwar kann ein Großbauer einige Hektar aus der Nutzung nehmen und entsprechende Prämien kassieren – doch im Großen und Ganzen dominieren Monokulturen die Landschaft. Kay bezeichnet sie als grüne Wüsten: »Sie benötigen mehr Pestizide, verunreinigen das Trinkwasser und schädigen Bienen und andere Bestäuber.« Tatsächlich weist eine aktuelle Studie der Universität Göttingen der kleinbäuerlichen Landschaft eine ähnlich hohe Artenvielfalt zu wie dem ökologischen Landbau – denn die höchste Biodiversität findet sich in Randstrukturen wie Feldrainen und Knicks.
Es gibt ein gewichtiges Argument für die industrielle Agrarwirtschaft: Sie werde benötigt, um den Hunger von bald acht Milliarden Menschen auf der Erde zu stillen. »Das ist ein Mythos«, urteilt Kay: »Fakt ist, dass Kleinbauern 70 Prozent der Weltbevölkerung ernähren, und das vergleichsweise ressourcenschonend.« Hunger und Nahrungsmittelknappheit seien mehr ein Problem der Verfügbarkeit: »Deswegen ist es fatal, wenn Länder die Hoheit über die Ernährung ihrer Bevölkerung abgeben.« Zudem ist die industrielle Landwirtschaft einer der weltweit größten Emittenten von Treibhausgasen und beschleunigt den Klimawandel: »Genau dadurch bedroht sie unsere Ernährung. Das Prinzip ›business as usual‹ ist keine Lösung mehr.«
Szőcs sieht vor Ort, wie sich die gängige Praxis auf die Umwelt auswirkt. »Chernozem«, schwarze Erde, heißt der Boden, der Teile Osteuropas und Asiens durchzieht und in vielen Gegenden Rumäniens vorherrscht. Er gilt als einer der fruchtbarsten Böden der Welt: »Nun laugen Großbetriebe die Erde aus durch ein Übermaß an Düngemitteln und Pestiziden. In heißen Sommern verwandeln Wind und Sonne das ›chernozem‹ schließlich in sandige Halbwüsten.«
Subventionen fördern die Falschen
Den Bauern helfen sollen Subventionen über die Gemeinsame Agrarpolitik der EU. Doch genau diese treiben das Missverhältnis auf die Spitze. Denn der größte Teil der Gelder wird nach Fläche ausgegeben – so erhalten EU-weit 20 Prozent der Begünstigten 80 Prozent der Subventionen. Und Szőcs kritisiert die Untergrenze von zwei Hektar pro Hof: »Dadurch sind die meisten rumänischen Kleinbauern nicht mehr berücksichtigt.«
Weitere Mittel sind an Umweltschutzmaßnahmen oder artgerechte Tierhaltung gebunden. Über diese muss der Landwirt akribisch Buch führen: »Für kleinere Betriebe lohnt sich der Aufwand nicht«, urteilt Gottwald, »es sei denn, sie betreiben Biolandbau.« Mittlerweile können die Mitgliedsstaaten kleinere Höfe stärker fördern oder über einem Betrag von 150 000 Euro die Zahlungen reduzieren. Laut Kay reicht das nicht aus: »Ein Agrarunternehmen kann Anteile verschiedener Betriebe besitzen und so die Regelung umgehen.«
»Gegen französische oder dänische Banken können wir beim Bodenkauf nicht mithalten«Attila Szőcs
Aktuell wird die Gemeinsame Agrarpolitik neu verhandelt, und kleine NGOs rütteln über Lobbyarbeit und den öffentlichen Diskurs an den Interessen der Großbauern. Das Transnational Institute fordert, die Subventionen schon ab 100 000 Euro zu reduzieren, sie ab 150 000 Euro zu kappen: »Und die Schlupflöcher müssen geschlossen werden«, verlangt Kay. Die Zeit drängt: Ein Drittel der europäischen Betriebsleiter zählt mindestens 65 Lenze. Ihre Söhne oder Töchter treten immer seltener die Hofnachfolge an. Und Neueinsteiger scheitern meist an den finanziellen Hürden. Szőcs bestätigt: »65 Jahre ist für rumänische Landwirte das Durchschnittsalter. Das ist einfach verrückt. Zu einem großen Teil sichern sie unsere Ernährung.« Gern würde er Boden zukaufen: »Aber mit französischen oder dänischen Banken können wir nicht mithalten.«
Was Szőcs immer häufiger beobachtet, sind Konvois von Lastwagen, die durch das Land fahren. Großfirmen erwerben den fruchtbaren rumänischen Boden, doch mittlerweile packen sie ihn ein. Auf den Ladeflächen der Trucks tritt das »chernozem« die Reise ins Ausland an, berichtet Szőcs: »Das nenne ich nun wortwörtlich Landgrabbing.« Dennoch macht er sich weiterhin stark – für seinen Hof und die rumänischen Bauern. »Ich liebe das Landleben«, betont er und fügt hinzu: »und einen guten Kampf.«
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