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News: Kleine Kästchen - große Gesichter

Zuerst ist es nichts als eine Leinwand voll mit ordentlich aneinandergereihten kleinen, farbigen oder schwarzweißen Flecken. Wer mehr sehen will, wird sich bewegen müssen und zwar nach hinten - langsam und den Blick nicht vom Gemälde nehmen. Der Lohn für die Mühe ist ein Gesicht, das sich dem Betrachter plötzlich aus dem Anfangsmosaik erschließt. 25 Jahre lang hat der amerikanische Künstler Chuck Close solche gigantischen wandelbaren Kästchen-Porträts gemalt. Jetzt entdeckte ein amerikanischer Forscher, daß Close nicht nur als Maler begabt ist, sondern seine Bilder auch wissenschaftliche Qualitäten besitzen.
Lange Zeit begnügte man sich mit der Erklärung, daß dieser optische Effekt, der die Bilder von Chuck Close so berühmt macht, entsteht, weil der Betrachter sich vom Gemälde wegbewegt und es ihm dabei so vorkommt, als würden die Ränder der einzelnen Farbflecken ineinander verschwimmen. Denis Pelli von der New York University allerdings ist davon überzeugt, daß der Übergang vom Raster zu einem Gesicht schon bei einem relativ kurzen Abstand zur Leinwand (normalerweise weniger als sechs Metern) stattfindet. Bei diesem Abstand aber werden die einzelnen Kästchen von einer Person mit normaler Sehfähigkeit noch scharf wahrgenommen. Deshalb muß es etwas anderes sein, das diesen Effekt hervorruft.

Die Daten für seine Forschung hat Pelli bei der Chuck Close Retrospektive im Museum of Modern Art in New York im Frühling 1998 gesammelt. Ohne Labor und komplizierte Gerätschaften, lediglich mit einem Maßband bewaffnet, ließ er fünf Testpersonen an 33 ausgewählten Close-Werken einen "Nasentest" durchführen. Während sie ein bestimmtes Bild betrachteten, mußten sich die Testpersonen vorsichtig vor- und rückwärts tasten, um haargenau den Punkt zu bestimmen, an dem sich das Raster auf der Leinwand in eine erkennbare Nase verwandelte. Diese "kritischen Abstände" wurden für jeden Betrachter festgehalten. Pelli maß außerdem die Größe der Kästchen, aus welchen sich das Bild zusammensetzte und errechnete den Öffnungswinkel am Auge des Betrachters bei der kritischen Distanz. Zu seiner Überraschung lag dieser Winkel immer um die 0,3 Grad, obwohl die Gemälde in Kästchengröße, Gesichtsgröße und der Anzahl der einzelnen Kästchen pro Gesicht stark variierten ( Science vom 6. August 1999).

Mit diesen Ergebnissen widerlegt der New Yorker Wissenschaftler die sogenannte critical band theory aus den siebziger Jahren, die auf der Annahme gründete, daß eine bestimmte Anzahl von Kästchen gegeben sein muß, damit unser optischer Sinn aus den Informationen, die ihm die farbigen Kästchen liefern, ein Gesicht zusammensetzt. Porträts die aus weniger als zum Beispiel zehn Kästchen von Wange zu Wange bestehen, kann man gemäß dieser Theorie, nie als Gesichter erkennen. Pellis Forschung hat aber ergeben, daß Close seine Bilder immer aus unterschiedlich vielen Kästchen zusammensetzt. Die Gesichter werden ideal aus einer bestimmten Distanz erkannt, aus anderen hingegen nicht. Pelli schließt daraus, daß es allein von der scheinbaren Größe der einzelnen Farbpunkte und nicht von ihrer klaren Unterscheidbarkeit abhängt, ab wann der Betrachter ein Gesicht auf der Leinwand erkennt.

Zufall oder Absicht des Künstlers? Denis Pelli glaubt, daß Close die Ehre für diese Entdeckungen gebührt. "Man könnte meinen, er sei nur ein naiver Künstler gewesen mit einer Obsession für Raster, der unschuldig grob-rasterige Bilder produzierte... In der Tat hat Close aber in seiner ganze Karriere genau das untersucht... Er war sogar gründlicher als seine wissenschaftlichen Kollegen: Die Größe der Kästchen in seinen Mosaik-Porträts nahm von 1973 (0,4 Zentimeter) bis 1997 (neun Zentimeter) um 15 Prozent pro Jahr zu. Er bestand darauf, daß Ausstellungen seines Werks seine Idee unterstützten und sagte auch schon mal eine Retrospektive ab, wenn die Räume nicht genügend Betrachtungsabstand zuließen."

Zwar ist die Wissenschaft noch weit davon entfernt, plausible Erklärungen dafür zu finden, wie das Gehirn Bilder konstruiert, aber die Theorie hinter Close' Kunstwerken hat uns der Lösung ein Stück nähergebracht.

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