Invasive Arten: Kleine Mücke erobert antarktische Natur
Eretmoptera murphyi sieht auf den ersten Blick harmlos aus: Die Mückenart ist sehr klein, saugt kein Blut und kann nicht einmal fliegen. Doch für Jesamine Bartlett von der University of Birmingham und ihr Team stellt das Insekt mittlerweile eine fundamentale Bedrohung für antarktische Ökosysteme dar. »Es erledigt die Arbeit von Regenwürmern – aber in einem Ökosystem, in dem es nie Regenwürmer gab«, so die Biologin.
Ursprünglich stammen die Tiere von der subantarktischen Insel South Georgia, wo sie endemisch sind. Doch in den 1960er Jahren wurde sie unbeabsichtigt während eines experimentellen Pflanzentransfers von dort auf Signy Island verschleppt, das mehrere hundert Kilometer weiter südlich liegt. Trotz der raueren Bedingungen dort – die Larven überleben Frost – vermehrten sich die Mücken prächtig: Ohne natürliche Feinde liegt ihre Biomasse in von ihr besiedelten Gebieten zwei- bis fünfmal über der Gesamtmasse aller anderen heimischen Arthropoden. Pro Quadratmeter Fläche leben demnach mehrere tausend Tiere.
Ökologisch nehmen die Sechsbeiner die Rolle von Verwertern ein; sie wandeln totes Pflanzenmaterial um. Dabei beeinflussen sie den Stickstoffkreislauf in großem Maßstab, wie Bartlett und Co gemessen haben: Durch ihre Tätigkeit setzen die winzigen Mücken so viel Stickstoff frei, wie Seelöwen an ihren Sammelplätzen über Kot und Urin eintragen. Insgesamt gelangt durch Eretmoptera murphyi in betroffenen Gebieten drei- bis viermal so viel Stickstoff in die Umwelt wie in Arealen, die sie nicht besiedelt haben. Dadurch wird der Untergrund gedüngt, was wiederum die Torfbildung der antarktischen Moore beeinflusst und die Bodenstruktur verändert.
Als Folge sacken die Moosbänke der Insel ab, wo die Mücken vorkommen, dafür werden die Böden mächtiger. »Das ist bedenklich, denn Signy Island besitzt die besten Beispiele von Moosbänken in der Antarktis. Und die Insel ist Heimat der einzigen beiden höheren Pflanzen der Region; die Antarktische Perlwurz (Colobanthus crassifolius) und die Antarktische Schmiele (Deschampsia antarctica), ein Gras«, sagt Bartlett.
Die Wissenschaftler warnen deshalb davor, dass durch den zunehmenden Tourismus in der Region und den Klimawandel mehr Arten verschleppt werden könnten und sich dann festsetzen. Die Mücken etwa können erwiesenermaßen auch die Bedingungen auf der noch weiter südlich gelegenen Antarktischen Halbinsel überleben. »Es ist also äußerst wichtig, dass wir das Ausbreitungsrisiko verringern«, warnt der Biologe Scott Hayward von der University of Birmingham. Doch das sei schwierig meint Peter Convey vom British Antarctic Survey: »Die Mückenlarven sind winzig und können mit bloßem Auge kaum erkannt werden. Touristen wie Wissenschaftler können sie versehntlich bei ihren Aufenthalten in der Subantarktis mitnehmen und rund um die Antarktis verschleppen – im Dreck an ihren Stiefeln.«
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