News: Kleine Zähne mit großer Wirkung
Der Besitzer der Zähne gehörte zu einer Abstammungslinie der Säugetiere, die Tribosphenida genannt wird. Diese Tiere werden aufgrund besonderer Zahnformen von anderen fossilen Säugetieren abgetrennt. Sie sind die Vorfahren aller heute lebenden Beutel- und Plazentatiere – und damit auch unsere Ahnen.
Demnach gab es diese kleinen behaarten Gesellen bereits rund 25 Millionen Jahre früher auf der Erde als bisher angenommen – nämlich schon während des mittleren und späten Jura, der Blütezeit der großen Dinosaurier (Nature vom 2. September 1999). Der Fund legt so die Vermutung nahe, daß sich diese Gruppe der Säugetiere schon viel früher als bisher angenommen entfaltet hat. Doch Modelle, die auf der Basis von Aminosäure-Analysen entwickelt wurden und davon ausgehen, daß sich die Beutel- und Plazentatiere bereits im mittleren Jura aufgespalten haben, können dadurch nicht bestätigt werden.
Stattdessen aber gibt der kleine Kiefer ganz neue Anstöße für die Paläobiogeographie. Denn bisher glaubte die Fachwelt, daß sich die Tribosphenida auf der Nordhalbkugel entwickelten und erst im frühen Tertiär auf dem Südkontinent Gondwana einwanderten. Die Zähne von Madagaskar widersprechen dieser Annahme jedoch.
Die Forscher vermuten, daß das Kieferstück von einer mausgroßen Kreatur stammt, die schon vor etwa 165 Millionen Jahren auf Madagaskar den großen Dinosauriern durch die Beine geflitzt ist. "Unsere Vorfahren lebten mitten in der Glanzzeit der Dinosaurier – es ist nur so, daß sie klein und unscheinbar waren", sagt Wyss. "Die auffälligsten und daher auch die berühmtesten Landtiere des Mesozoikums waren natürlich die Dinosaurier. Doch auch die behaarten Tiere – die Säuger – bevölkerten etwa zur gleichen Zeit die Bühne der Evolution. Die beiden Gruppen lebten mehr als einhundert Millionen Jahre lang Seite an Seite zusammen."
Wyss sieht vor allem zwei Gründe für das verbreitete Mißverständnis, daß Säugetiere sich erst entwickelten, nachdem die Dinosaurier ausgestorben waren. "Erstens waren die frühen Säuger alle sehr winzig, gerade mal so groß wie Eichhörnchen oder noch kleiner, und regten die Phantasie natürlich nicht so an wie ihre gigantischen mesozoischen Zeitgenossen", sagt der Wissenschaftler. "Zweitens sind die Fossilienfunde von Säugern – abgesehen vom sehr späten Mesozoikum – nur sehr spärlich. Es ist unwahrscheinlich, daß man solche Fossilien mit bloßem Auge in der Landschaft erkennt, das ist mit ein Grund für den Mangel an Information."
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 2.3.1999
"Die Gene ticken nicht richtig" - Spektrum Ticker vom 5.5.1998
"Zur falschen Zeit am falschen Ort"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich)
Der Heidelberger Verlag Spektrum der Wissenschaft ist Betreiber dieses Portals. Seine Online- und Print-Magazine, darunter »Spektrum der Wissenschaft«, »Gehirn&Geist« und »Spektrum – Die Woche«, berichten über aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.