Asteroidenmission »Mascot«: Kleiner Hüpfer mit großer Mission
Es wird ein kleiner Sprung für eine kleine Sonde. Doch sollte er gelingen, dann wird es ein großer Schritt für die Menschheit – ein Schritt hin zum besseren Verständnis einer Klasse von Himmelskörpern, die das Leben womöglich auf die Erde gebracht haben, die es aber ganz sicher auslöschen können.
»Mascot« heißt die kleine Sonde, die Großes leisten soll. Verläuft alles wie geplant, dann wird sich der Kasten von der Größe eines Schuhkartons am Mittwoch, dem 3. Oktober, von seiner Muttersonde »Hayabusa 2« trennen, die ihn mehr als 3,2 Milliarden Kilometer durchs Universum geschleppt hat. »Mascot« wird auf die Oberfläche eines nur 1000 Meter großen Asteroiden fallen. Er wird hoppeln, rollen, hüpfen. Und er wird dem Himmelskörper – hoffentlich – das ein oder andere Geheimnis entlocken.
Es ist ein großer Plan. Aber schließlich geht es auch um große Geheimnisse: Asteroiden – Klumpen aus Gestein, Metall und womöglich auch Eis – gelten als Überbleibsel aus den Anfangstagen des Sonnensystems. Mehr als 750 000 solcher Brocken sind bekannt, die meisten drehen ihre Bahnen zwischen Mars und Jupiter.
17 000 Brocken auf potenziellem Kollisionskurs
Etwa 17 000 Asteroiden haben allerdings stark elliptische Umlaufbahnen eingeschlagen, die sie ins Innere Sonnensystem führen und auf denen sie mitunter die Erdbahn kreuzen. Womöglich, so eine unter Astronomen beliebte Theorie, kam auf diesem Weg einst das Wasser auf den Blauen Planeten, vielleicht sogar primitives Leben.
Heute, mehr als vier Milliarden Jahre später, werden die Brocken dagegen eher gefürchtet: Rund 1000 Asteroiden mit einem Durchmesser von mehr als einem Kilometer kommen auf ihrem Weg durchs Sonnensystem auf mindestens 45 Millionen Kilometer Entfernung an die Erde heran, der 117-fachen Distanz zwischen Erde und Mond. Das ist nahe genug, um sie im Auge zu behalten, denn eine Kollision wäre verheerend.
»Ich habe schon viele Asteroiden gesehen, aber so etwas noch nicht«
Ralf JaumannDeutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Genau hier kommt »Mascot« ins Spiel: »Für den Fall, dass sich solch ein Asteroid der Erde nähert und wir Gegenmaßnahmen ergreifen müssen, will man natürlich wissen, wie die Zusammensetzung dieser Himmelskörper ist«, sagt Ralf Jaumann, Planetenforscher beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin und wissenschaftlicher Leiter der »Mascot«-Mission.
Um mehr über Asteroiden zu erfahren, um mehr zu lernen über die Vergangenheit der Erde und über künftige Bedrohungen, haben sich die Wissenschaftler einen würfelförmigen Brocken namens Ryugu ausgesucht. Genauer gesagt: Der Brocken wurde »Mascot« vorgesetzt, denn die Sonde ist zu klein, um auf eigene Faust zu einem Asteroiden zu fliegen. Stattdessen reist sie huckepack auf der japanischen Raumsonde »Hayabusa 2«.
Sie ist Nachfolgerin einer gleichnamigen Sonde aus dem Jahr 2003, die damals den Asteroiden Itokawa besucht hatte und sogar ein paar Staubkörner zurück zur Erde bringen konnte. Dieses Mal haben sich die Japaner Ryugu ausgesucht, und dieses Mal wollten sie nicht allein unterwegs sein. Daher ist »Mascot« mit an Bord, ein deutsch-französischer Asteroidenentdecker.
Ein sanfter Schubs in Richtung Asteroidenoberfläche
Das kleine Gerät steht vor einem kurzen, aber stressigen Einsatz. Am 3. Oktober, so die bisherigen Planungen, soll die »Hayabusa 2«-Raumsonde ihre Parkposition in 20 Kilometer Entfernung von Ryugu verlassen und langsam absinken. Etwa 60 Meter über der Asteroidenoberfläche beginnt schließlich die heiße Phase: »Hayabusa 2« drückt »Mascot« langsam aus einer Haltevorrichtung, in der die knapp zehn Kilogramm schwere Tochtersonde fast vier Jahre lang ausharren musste.
Es wird ein äußerst sanfter Schubs, schließlich soll »Mascot« mit einer Geschwindigkeit von maximal fünf Zentimetern pro Sekunde auf die Reise gehen, umgerechnet weniger als 0,2 Kilometer pro Stunde. »Mascot« fällt, nimmt etwas Fahrt auf und trifft schließlich, nur zehn Minuten später, auf die Oberfläche des Asteroiden. So zumindest der Plan. Bei Mascots Schwestermodulen MINERVA IIa und b ist ein ähnliches Mannöver vor einer Woche bereits geglückt.
Geht die Landung bei Mascot ebenfalls gut aus? Im Vorfeld der Annäherung an den Asteroiden war die Unsicherheit groß: »Wir wissen nicht, wie die Oberfläche beschaffen ist«, sagte »Mascot«-Projektleiterin Tra-Mi Ho. »Ist es eine feine Staubschicht? Oder ist es dort eher hart?« Davon hängt allerdings ab, wie stark »Mascot« von der Oberfläche abprallt, wie oft die Sonde wieder aufschlägt und wie lange es dauert, bis sie schließlich ihre Bewegungsenergie abgebaut hat.
Nur eines scheint sicher: Obwohl die Anziehungskraft des kleinen Asteroiden extrem gering ist – sie liegt bei lediglich einem Zehntausendstel des irdischen Werts –, wird »Mascot« nicht wieder zurück ins All geschleudert. Dazu wäre eine, wie Astronomen es nennen, Fluchtgeschwindigkeit von etwa 30 Zentimetern pro Sekunde nötig. »Mascot« soll allerdings, selbst im ungünstigsten Fall, mit maximal der Hälfte dieses Werts von Ryugu abprallen.
Eine halbe Stunde nach dem ersten Bodenkontakt, vielleicht auch eine Stunde, dürfte die Landesonde schließlich zur Ruhe gekommen sein. Nur: Wie herum liegt sie? Wo ist oben, wo ist unten? Lagesensoren sollen die Orientierung ermitteln und notfalls – sofern »Mascot« auf dem Kopf aufgekommen ist – einen Schwungarm anwerfen.
An dessen Ende sitzt eine kleine Masse, die zusammen mit dem Arm rotiert. Wird das System abrupt gestoppt, überträgt es seinen Impuls auf die Kohlefaserhülle von »Mascot«. Die Landesonde beginnt daraufhin zu rotieren. Sie springt, womöglich rollt sie auch über die Asteroidenoberfläche – so lange, bis sie wieder zur Ruhe kommt, dieses Mal hoffentlich in einer anderen Position. Liegt »Mascot« erneut kopfüber, wird das Mobilitätssystem nochmals aktiviert, dieses Mal mit etwas weniger Kraft.
Angst vor Steinen und Spalten
All das setzt jedoch voraus, dass »Mascot« sich überhaupt bewegen kann. »Ein Risiko, das wir schwer abschätzen und auch nicht beeinflussen können, sind Hindernisse auf der Asteroidenoberfläche«, sagt Ho. Aktuelle Aufnahmen deuten zum Beispiel darauf hin, dass dort viele Gesteinsbrocken verteilt sind – meist mit Abmessungen von fünf Metern oder mehr. Was aber, wenn auch kleinere Felsbrocken darunter sind und »Mascot« in einer Spalte zwischen zwei solchen Steinen zur Ruhe kommt? So erging es 2014 dem Landemodul »Philae« bei seiner eher unsanften Landung auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko.
»Das Mobilitätssystem wird auch dann eingeschaltet, keine Frage«, sagt Ho mit Blick auf die Mascot-Landung. »Aber je nachdem, wie ›Mascot‹ liegt, kann so etwas natürlich zur Falle werden.« Zumal die Sonde keine Hilfe von der Erde erwarten kann: Etwa 280 Millionen Kilometer werden zum Zeitpunkt der Landung zwischen Ryugu und der Erde liegen. Ein Kommando aus dem Kontrollzentrum wäre daher mehr als 15 Minuten unterwegs, bis es »Mascot« erreichen könnte. Eine Antwort würde genauso lange auf sich warten lassen. Zu lange. »Mascot« muss autonom agieren.
Bloß nicht zu viel Zeit mit Herumhüpfen verbringen
Der dafür entwickelte Schwungarm soll die Sonde aber nicht nur aufrichten. Er soll sie, nach getaner wissenschaftlicher Arbeit an der Landestelle, auch zu einem weiteren Ort hüpfen lassen. Die Forscher erhoffen sich davon unterschiedliche Messwerte, die sie anschließend vergleichen können. Bis zu 70 Meter weite Sprünge waren ursprünglich geplant, jetzt soll es lediglich ein Ein-Meter-Hüpfer werden. »Jede Sekunde auf dem Asteroiden zählt«, sagt Tra-Mi Ho. »Da sich die Hüpfphasen eine Stunde lang hinziehen können, bevor Mascot ruht und seine wissenschaftliche Arbeit wieder aufnehmen kann, wollen wir möglichst wenig Zeit durch Herumhüpfen verlieren.«
Bei der Entscheidung hat die Erkenntnis geholfen, dass Ryugus Oberfläche einen gleichförmigen Eindruck macht und wenig lokale Unterschiede aufzuweisen scheint. Auch ein Blick auf »Mascots« Datenblatt zeigt, dass spaßige Hüpfer eher die Ausnahme bleiben sollten: Lediglich 16 Stunden wird die Batterie der Sonde durchhalten, dann ist Schluss. Immerhin: Dank Ryugus Rotationsperiode von etwa 7,6 Stunden reicht das für zwei Asteroidentage und -nächte – und für Temperaturschwankungen zwischen minus 60 und plus 50 Grad Celsius.
»Ich habe schon viele Asteroiden gesehen, aber so etwas noch nicht«, sagt Ralf Jaumann mit Blick auf Ryugus Oberfläche. Besonders die vielen großen Brocken, die auf ersten Bildern von »Hayabusa 2« deutlich zu erkennen sind, haben es dem Planetengeologen angetan: Wo kommen sie her? Stecken die Brocken im Boden, oder liegen sie auf der Oberfläche? Stammen sie aus dem Innern des Asteroiden, oder ist vor Ort etwas zerbrochen?
Mit vier Messinstrumenten soll »Mascot« diesen Fragen nachgehen. Neben einem Magnetometer, das ein mögliches Magnetfeld erkunden soll, vermisst ein Radiometer die Oberflächentemperaturen sowie den Wechsel zwischen Tag und Nacht. Ein Spektralmikroskop kümmert sich um die mineralogische Zusammensetzung der Gesteine, sucht aber auch nach organischen Materialien und nach Wasser.
Eine Weitwinkelkamera liefert schließlich die Bilder, auf die alle warten. »Der Himmelskörper ist auf jeden Fall extrem interessant, und ich freue mich darauf, wenn wir mit der Kamera endlich auf der Oberfläche sitzen«, sagt Ralf Jaumann. Erste Aufnahmen werden allerdings auf sich warten lassen: Erst zwei bis fünf Tage nach der Landung sollen sie zur Erde gefunkt werden.
Mit an Bord: Fünf Kilo Plastiksprengstoff
»Mascot« wird aber nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse liefern. Der kleine Hüpfer soll auch das Terrain erkunden für die nächste große Aktion seiner Muttersonde, denn die Japaner haben mit »Hayabusa 2« noch viel vor: Ende Oktober, so zumindest der Plan, wird der Asteroidenjäger erneut seine Parkposition verlassen, dieses Mal aber nicht in 60 Meter Höhe über der Oberfläche umdrehen. Stattdessen soll er mit einem zylinderförmigen Rohr auf Ryugu aufsetzen und eine fünf Gramm schwere Metallkugel aus Tantal abfeuern. Der dabei aufgewirbelte Staub steigt im Rohr empor und wird an dessen Ende in einer Probenkammer gefangen. Das Manöver soll später an einer zweiten Stelle wiederholt werden.
Beim dritten Versuch fahren die japanischen Ingenieure dann schweres Geschütz auf: »Hayabusa 2« wird, so die Pläne, eine kleine Bombe mit fast fünf Kilogramm Plastiksprengstoff auf Ryugus Oberfläche abwerfen, sich hinter dem Asteroiden verstecken, zwei Wochen warten, bis sich der Staub der Detonation gelegt hat, und dann Material aus dem neuen Krater aufsaugen. Im November oder Dezember 2019 soll es schließlich zurück zur Erde gehen, wo die Probenkapsel Ende 2020 an einem Fallschirm landen wird – sofern alles klappt.
Das wiederum ist noch mit vielen Fragezeichen versehen. Schließlich hatte bereits »Hayabusa«, die Vorgängermission, eine ganz ähnliche Aufgabe. Nach unzähligen Problemen, nach defekten Drallrädern und ausgefallenen Batterien, kamen schließlich, mit viel Glück und noch mehr Ausdauer, 1500 winzige Asteroidenpartikel auf der Erde an. Nicht nur das soll dieses Mal anders werden.
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