Anthropologenstreit: Kleiner Mann ganz groß
"Ja." "Nein!" "Doch." "Stümper!!" "Selber!!!" So weit, kaum zugespitzt, die Zusammenfassung des Anthropologendiskurses um den Artstatus des "Hobbit"-Menschen von der Insel Flores. Der neueste nette Vorschlag der einen an die andere Seite: Erstmal genau hinschauen, wenn man schon keine Ahnung hat.
Zunächst – der Teil der Geschichte geht ganz schnell – zu den wenigen Fakten, die von wirklich keinem bestritten werden: Im Jahr 2004 ist auf der Insel Flores ein irgendwie menschliches Skelettexemplar – "LB1" – ausgegraben worden. Seine Knochen sind extrem zwergenhaft gewachsen. Zudem tragen sie ein paar sehr schwer zu deutende, im Wortsinne eigenartige Merkmale.
Von den Fakten zur Interpretation, dem deutlich ausholbedürftigeren Abschnitt der Flores-Mensch-Saga. Gehört das Wesen, so die initiale Streitfrage, überhaupt zur Spezies der Homo sapiens? Ist es nicht vielmehr das erste gefundene Exemplar einer ganz eigenen Menschenart, die, bislang sensationell unentdeckt, einst auf ihrer Insel neben unseren Vorfahren existiert hatte? Eine Gruppe von Forschern – und damit zu den wissenschaftlichen Kombattanten – glaubt fest an letzteres.
Und streitet sich heftig mit anderen, die denken, dass das einzige vollständige Skelett "LB1" ein absonderliches Homo-sapiens-Exemplar ist, dessen Besitzer zu Lebzeiten an irgendeiner merkwürdigen degenerativen Krankheit gelitten hatte. Vielleicht, so eine weitere Erklärung der Skeptikerfraktion, handelt es sich bei den kleinen Menschen nur um durch das Inselleben verzwergte Menschen unserer Art. In dieser Ecke der Verzwergungstheoretiker ist auch Lee Berger von der Universität Witwatersrand gelandet. Spätestens seit dieser Woche steht er nun im feindseligen Hagel gegnerischer Argumente.
Andere Eigenheiten aber, so Bergers Team in einem Beitrag vor einigen Monaten weiter, teilen die Palau-Skelette auch mit dem umstrittenen Flores-Menschen: deutliche Oberaugenwülste, relativ große Zähne, kleine Oberschenkelgelenke und winzige Gesichtspartien im Verhältnis zur Schädelgröße sowie merkwürdig verdrehte Zahnstellungen im Ober- und Unterkiefer. Die Vertreter der Menschenformen von Flores und Palau seien als Folge extremen menschlichen Kleinwuchses ähnlich. Vielleicht, so die biologische Theorie zur Spekulation, eine Reaktion der lokalen Population auf die besonderen Umweltbedingungen ihrer isolierten Inselumgebung, die kaum von außen aufgefrischt wird, den Genpool weniger durchmischt, kaum räuberische Feinde kennt und ein nur enges Nahrungsangebot bietet.
Man könne nicht, so Nelson, "einfach in Cowboymanier auftauchen, Zeug aus dem Boden klauben und daraus dann Schlussfolgerungen ziehen, ohne Ahnung vom Gesamtzusammenhang vor Ort zu haben." Diese Ahnung schreiben sich Nelson und Fitzpartick schon eher zu, womöglich zu Recht, forschen sie doch schon seit Jahren auf Palau an alten Skeletten. Ihre Arbeit sei von Berger leider offenbar nicht ausreichend beachtet worden, wie sie etwas irritiert feststellen. Fitzpatrick sekundiert: "Jemand mit besseren Kenntnissen von den prähistorischen lokalen Gegebenheiten sollte die Arbeit von Berger dringend kritisch unter die Lupe nehmen."
Die angeblich so großen Zähne des nur vermeintlich so kleinen Palauers seien schließlich ganz einfach typisch für die auf Jagderfolge angewiesenen Wildbeuter-Gemeinschaften aller frühen pazifischen Kulturen. Und das hätte man nun wirklich vielleicht zuerst einmal nachrecherchieren und statistisch vergleichen können, so Nelson, bevor man übertrieben eilig eine Publikation veröffentlicht: "einer der größten Fehler" Bergers. Könne ja durchaus vorkommen, so der letzte Seitenhieb, wenn man sich außerhalb seiner eigentlichen Kernkompetenz bewege. In der Tat seien Bergers Spezialgebiet ja die deutlich älteren Knochen menschlicher Vorfahren.
Endgültig dürfte allerdings auch das vernichtende Verdikt von Nelson, Fitzpatrick und Clark nicht sein: Zu unversöhnlich bestreiten seit dem Fund des Flores-Menschen die einen Experten die Kompetenz der anderen. Und zwar forschen die drei Wissenschaftler schon lange in und um Palau, haben die von Berger beschriebenen Funde selbst aber nicht gesehen und beschäftigten sich ohnehin vorwiegend mit den frühen Migrationsbewegungen auf den pazifischen Eilanden sowie den Kulturen der Urbevölkerung. Vielleicht haben sie dabei genug alte Knochen vermessen, um ein kompetenteres Urteil abzugeben als Berger.
Völlig missachtet hat dieser ihre Arbeiten übrigens nicht: In seiner Publikation zitiert er immerhin fünf Veröffentlichungen seiner heute heftigsten Kritiker, einmal mit dem verstecktem Seitenhieb, die Daten seien nicht völlig überzeugend. Alle Querverweise dienten ihm allerdings nur zur Einordnung der kulturellen historischen Zusammenhänge vor Ort – von Knochen war nicht die Rede.
Von den Fakten zur Interpretation, dem deutlich ausholbedürftigeren Abschnitt der Flores-Mensch-Saga. Gehört das Wesen, so die initiale Streitfrage, überhaupt zur Spezies der Homo sapiens? Ist es nicht vielmehr das erste gefundene Exemplar einer ganz eigenen Menschenart, die, bislang sensationell unentdeckt, einst auf ihrer Insel neben unseren Vorfahren existiert hatte? Eine Gruppe von Forschern – und damit zu den wissenschaftlichen Kombattanten – glaubt fest an letzteres.
Und streitet sich heftig mit anderen, die denken, dass das einzige vollständige Skelett "LB1" ein absonderliches Homo-sapiens-Exemplar ist, dessen Besitzer zu Lebzeiten an irgendeiner merkwürdigen degenerativen Krankheit gelitten hatte. Vielleicht, so eine weitere Erklärung der Skeptikerfraktion, handelt es sich bei den kleinen Menschen nur um durch das Inselleben verzwergte Menschen unserer Art. In dieser Ecke der Verzwergungstheoretiker ist auch Lee Berger von der Universität Witwatersrand gelandet. Spätestens seit dieser Woche steht er nun im feindseligen Hagel gegnerischer Argumente.
Der Forscher hatte in Küstenhöhlen des Palau-Archipels einige auffällige, höchstens dreitausend Jahre alte Skelettreste entdeckt und vermessen – so gut das eben ging, denn die Gebeine waren über Jahrhunderte vom Hochwasser erst umgewühlt und schließlich durch einen tropfsteinähnlichen Sinterüberzug teilweise fest mit dem Untergrund verbacken. Trotzdem meinte Bergers Team, typische anatomische Details der bestatteten Urbevölkerung von Palau ermittelt zu haben. Die älteren Exemplare waren demnach durchschnittlich metergroß und wogen wohl zu Lebzeiten gerade einmal zwischen 32 und 41 Kilo. Der Form von Gesichtspartie und Hüftknochen nach handelte es sich aber eindeutig um kleine Homo sapiens [1].
Andere Eigenheiten aber, so Bergers Team in einem Beitrag vor einigen Monaten weiter, teilen die Palau-Skelette auch mit dem umstrittenen Flores-Menschen: deutliche Oberaugenwülste, relativ große Zähne, kleine Oberschenkelgelenke und winzige Gesichtspartien im Verhältnis zur Schädelgröße sowie merkwürdig verdrehte Zahnstellungen im Ober- und Unterkiefer. Die Vertreter der Menschenformen von Flores und Palau seien als Folge extremen menschlichen Kleinwuchses ähnlich. Vielleicht, so die biologische Theorie zur Spekulation, eine Reaktion der lokalen Population auf die besonderen Umweltbedingungen ihrer isolierten Inselumgebung, die kaum von außen aufgefrischt wird, den Genpool weniger durchmischt, kaum räuberische Feinde kennt und ein nur enges Nahrungsangebot bietet.
Bergers Idee richtete sich nur indirekt gegen die Apologeten des Floresmenschen als eigene Art – was diese nun nicht daran hindert, heftig zurückzuschlagen, vertreten durch das Forschertrio Greg Nelson, Scott Fitzpatrick und Geoffrey Clark. Die Forscher von den Universitäten von Oregon und North Carolina State sowie der Australian National University haben sich zwar nicht die Funde von Berger, aber seit Jahren schon viele weitere Knochen aus Palau angesehen und kommen zu einem eindeutigen Schluss: Berger hat Unrecht. Genauer habe er, in den erfrischend deutlichen Worten von Nelson, keine Ahnung von seinem Forschungsgegenstand.
Man könne nicht, so Nelson, "einfach in Cowboymanier auftauchen, Zeug aus dem Boden klauben und daraus dann Schlussfolgerungen ziehen, ohne Ahnung vom Gesamtzusammenhang vor Ort zu haben." Diese Ahnung schreiben sich Nelson und Fitzpartick schon eher zu, womöglich zu Recht, forschen sie doch schon seit Jahren auf Palau an alten Skeletten. Ihre Arbeit sei von Berger leider offenbar nicht ausreichend beachtet worden, wie sie etwas irritiert feststellen. Fitzpatrick sekundiert: "Jemand mit besseren Kenntnissen von den prähistorischen lokalen Gegebenheiten sollte die Arbeit von Berger dringend kritisch unter die Lupe nehmen."
"Ohne Ahnung vom Gesamtzusammenhang sollte man keine Schlussfolgerungen ziehen"
(Greg Nelson)
Angestachelt von Bergers Studie und Missachtung machten Nelson, Fitzpatrick und Clark schon einmal den Anfang. Dazu warfen sie einige ältere Datensätze zusammen und versuchten nachzuvollziehen, ob auffällige Merkmale der von Berger untersuchten Knochen auch bei den von ihnen auf Palau gefundenen Knochenresten auftreten [2]. Wie schon zuvor bestätigen sie dabei zunächst eine enorme Variabilität der Insulaner: Auch extrem winzige Einzelknochen könnten zum Beispiel durchaus Bestandteile von Skeletten sein, die insgesamt eine typische menschliche Normalgröße aufweisen. Aus Einzelknochen – noch dazu deformierten Fragmenten, wie in den Küstenhöhlen – sollte niemals leichtfertig auf die Durchschnittsgröße von Individuen einer Population rückgeschlossen werden, so die Forscher. (Greg Nelson)
Auch andere Erkenntnisse von Berger überzeugen seine drei aktuellen Kritiker nicht. Die Gelenkkugeln der Oberschenkel etwa, von denen Berger einige als Beleg für den zwergenhaften Wuchs der alten Palauer herangezogen hatte, seien zwar durchaus von fragilem Bau. Ganz ähnlich große Exemplare finden sich aber durchaus auch bei normalgroßen Menschen, vor allem wenn diese schlecht ernährt waren. Die Oberaugenwülste, von denen Berger gesprochen habe, habe er sich außerdem wohl gar nicht genau genug angesehen – oft bilden sich Formen wie diese, wenn Wasser über die Schädel von Bestatteten rinnt und Kalksteinstrukturen in typischen Formen ausfallen.
Die angeblich so großen Zähne des nur vermeintlich so kleinen Palauers seien schließlich ganz einfach typisch für die auf Jagderfolge angewiesenen Wildbeuter-Gemeinschaften aller frühen pazifischen Kulturen. Und das hätte man nun wirklich vielleicht zuerst einmal nachrecherchieren und statistisch vergleichen können, so Nelson, bevor man übertrieben eilig eine Publikation veröffentlicht: "einer der größten Fehler" Bergers. Könne ja durchaus vorkommen, so der letzte Seitenhieb, wenn man sich außerhalb seiner eigentlichen Kernkompetenz bewege. In der Tat seien Bergers Spezialgebiet ja die deutlich älteren Knochen menschlicher Vorfahren.
Endgültig dürfte allerdings auch das vernichtende Verdikt von Nelson, Fitzpatrick und Clark nicht sein: Zu unversöhnlich bestreiten seit dem Fund des Flores-Menschen die einen Experten die Kompetenz der anderen. Und zwar forschen die drei Wissenschaftler schon lange in und um Palau, haben die von Berger beschriebenen Funde selbst aber nicht gesehen und beschäftigten sich ohnehin vorwiegend mit den frühen Migrationsbewegungen auf den pazifischen Eilanden sowie den Kulturen der Urbevölkerung. Vielleicht haben sie dabei genug alte Knochen vermessen, um ein kompetenteres Urteil abzugeben als Berger.
Völlig missachtet hat dieser ihre Arbeiten übrigens nicht: In seiner Publikation zitiert er immerhin fünf Veröffentlichungen seiner heute heftigsten Kritiker, einmal mit dem verstecktem Seitenhieb, die Daten seien nicht völlig überzeugend. Alle Querverweise dienten ihm allerdings nur zur Einordnung der kulturellen historischen Zusammenhänge vor Ort – von Knochen war nicht die Rede.
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