Sprachwissenschaft: Kleines Gesten-Esperanto
Sätze baut jede Sprache anders: Mal steht das Verb am Anfang, mal am Ende. Für Sprachenschüler ist das schwer zu durchschauen. Doch anders, wenn es ans Gestikulieren geht - dann verfügen wir offenbar über eine Art Universalgrammatik.
Machen Sie am besten selbst einmal den Test und stellen Sie sich folgende Mini-Szene vor: Eine Frau deckt mit einem Deckel ein kleines Kästchen ab. Beschreiben Sie diesen Vorgang nun wortlos, also nur mit Gesten.
Fertig? Gut! Erinnern Sie sich jetzt an die Reihenfolge, in der Sie dabei vorgegangen sind. Vielleicht haben Sie durch die Andeutung wallender Locken die Frau dargestellt, dann ein viereckiges Etwas in ihrer Hand und zuletzt gezeigt, wie sie es verschließt.
Warum ist die genaue Abfolge so bedeutsam? Sie ist es, weil sie beim Sprechen auch eine große Rolle spielt. Wie wir einen Gedanken in ein Nacheinander von Wörtern gießen müssen, schreibt die Syntax einer Sprache relativ genau vor. Im deutschen Hauptsatz: 1. "Eine Frau", 2. "schließt" und 3. "den Deckel eines Kästchens". Oder anders ausgedrückt, Subjekt – Verb – Objekt.
Kein Einfluss der Muttersprache
Trotzdem dürften Sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zuerst die Frau imitiert und zweitens gezeigt haben, wie sie etwas öffnet. Das Objekt der Handlung, das Kästchen, wird zwar von einer Vielzahl von Sprachen ans Ende verbannt, meint die Psychologin Susan Goldin-Meadow von der University of Chicago. "Die Überraschung ist jedoch, dass, wenn Menschen mit den 'Händen reden', sie diese Reihenfolge ignorieren." Ihr Experiment mit je zehn englischen, spanischen, türkischen und chinesischen Versuchspersonen, die über dreißig simple Filmsequenzen mit Händen und Füßen darstellen sollten, hat jetzt genau das ergeben: Die Syntax unserer Muttersprache hat nicht den geringsten Einfluss auf die Art und Weise, wie wir gestikulieren.
Wie die Satzteile S, V und O kombiniert werden, handhabt jede Sprache unterschiedlich, nahezu jede Variation ist belegt. Im Experiment entsprach nur bei den Türkischsprechern die kanonische Wortfolge der vermeintlich "natürlichen", alle anderen waren zumindest teilweise vom Typ S-V-O.
Die Gestenforscherin ist daher überzeugt, dass eine Art natürlicher Reihenfolge existiert, in der Menschen solche Aktionen präsentieren: Erst der Handelnde, dann das Objekt seiner Handlung und am Ende die Handlung selbst.
Gleiches Bild beim Bilder-Zusammensetzen
Goldin-Meadow ging noch einen Schritt weiter und gab einer ebenso zusammengestellten Gruppe eine Aufgabe, die mit Kommunikation rein gar nichts zu tun hatte. Dieselben Test-Szenen, die bereits zuvor abgefragt wurden, sollten nun grafisch dargestellt werden. Dazu lagen den neuen Probanden Sets aus je drei Transparent-Folien vor, auf denen jeweils das Subjekt, Objekt und Verb der Handlung abgebildet waren. Diese mussten dann übereinander gestapelt werden.
Es zeigte sich, dass die Versuchspersonen in praktisch allen Fällen die gleiche Reihenfolge wie beim Gestikulieren wählten. Sie griffen erst zum Subjekt, dann zum Objekt und zuletzt verbanden sie beides durch eine Darstellung der Handlung. Damit hatte Goldin-Meadow zwei Belege aus ganz unterschiedlichen Bereichen gefunden, die diese anscheinend universelle Reihenfolge der Dinge offenbarten.
Auch in der Deutschen oder Amerikanischen Gebärdensprache steht oft das Verb am Ende, doch die Grammatik dieser Sprachen kristallisierte sich über einen langen Zeitraum durch Konvention heraus – genau wie bei den Hörenden. Damit fehlt ihnen das intuitive Element spontanen Gestikulierens, in dem Goldin-Meadow diese natürliche Abfolge entdeckt haben will. Unterstützung erhält sie dagegen von der Gebärdensprache der Al-Sayyid-Beduinen im israelischen Negev. Sie entwickelten in den vergangenen siebzig Jahren ohne äußeren Einfluss eine eigenständige Grammatik. Ihre bevorzugte Wortfolge: Subjekt – Objekt – Verb. Ähnliches kennt man auch von gehörlosen Kindern, die sich eigene Gesten ausdenken. Goldin-Meadow glaubt daher, die universelle Reihenfolge könnte sich in neu entstehenden Sprachen niederschlagen.
Formt Sprache unser Denken?
Und eine noch weitergehende Interpretation ihres Befundes hält Goldin-Meadow parat. Es sei wohl generell nicht der Fall, dass unser Umgang mit einer Grammatik einen großen Einfluss darauf habe, wie wir denken, sagt sie. Zumindest nicht, was Syntax angehe.
Widerlegt hat sie diesen höchst strittigen Punkt damit allerdings noch nicht. Zwar ist S-V-O im Deutschen wie im Englischen die Grundreihenfolge, doch wann pressen wir Informationen schon einmal in einen einzigen Hauptsatz? Meist klingt eine tatsächliche Beschreibung dieser Szenen viel eher nach: "... da ist eine Frau, die ein Kästchen in der Hand hat. Und auf das macht sie gerade den Deckel drauf ..." Ob sich die natürliche Reihenfolge auch im Aufbau der alltäglichen Konversation niederschlägt – vielleicht eine interessante Frage für zukünftige Forschungen.
Fertig? Gut! Erinnern Sie sich jetzt an die Reihenfolge, in der Sie dabei vorgegangen sind. Vielleicht haben Sie durch die Andeutung wallender Locken die Frau dargestellt, dann ein viereckiges Etwas in ihrer Hand und zuletzt gezeigt, wie sie es verschließt.
Warum ist die genaue Abfolge so bedeutsam? Sie ist es, weil sie beim Sprechen auch eine große Rolle spielt. Wie wir einen Gedanken in ein Nacheinander von Wörtern gießen müssen, schreibt die Syntax einer Sprache relativ genau vor. Im deutschen Hauptsatz: 1. "Eine Frau", 2. "schließt" und 3. "den Deckel eines Kästchens". Oder anders ausgedrückt, Subjekt – Verb – Objekt.
Kein Einfluss der Muttersprache
Trotzdem dürften Sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zuerst die Frau imitiert und zweitens gezeigt haben, wie sie etwas öffnet. Das Objekt der Handlung, das Kästchen, wird zwar von einer Vielzahl von Sprachen ans Ende verbannt, meint die Psychologin Susan Goldin-Meadow von der University of Chicago. "Die Überraschung ist jedoch, dass, wenn Menschen mit den 'Händen reden', sie diese Reihenfolge ignorieren." Ihr Experiment mit je zehn englischen, spanischen, türkischen und chinesischen Versuchspersonen, die über dreißig simple Filmsequenzen mit Händen und Füßen darstellen sollten, hat jetzt genau das ergeben: Die Syntax unserer Muttersprache hat nicht den geringsten Einfluss auf die Art und Weise, wie wir gestikulieren.
Wie die Satzteile S, V und O kombiniert werden, handhabt jede Sprache unterschiedlich, nahezu jede Variation ist belegt. Im Experiment entsprach nur bei den Türkischsprechern die kanonische Wortfolge der vermeintlich "natürlichen", alle anderen waren zumindest teilweise vom Typ S-V-O.
Die Gestenforscherin ist daher überzeugt, dass eine Art natürlicher Reihenfolge existiert, in der Menschen solche Aktionen präsentieren: Erst der Handelnde, dann das Objekt seiner Handlung und am Ende die Handlung selbst.
Gleiches Bild beim Bilder-Zusammensetzen
Goldin-Meadow ging noch einen Schritt weiter und gab einer ebenso zusammengestellten Gruppe eine Aufgabe, die mit Kommunikation rein gar nichts zu tun hatte. Dieselben Test-Szenen, die bereits zuvor abgefragt wurden, sollten nun grafisch dargestellt werden. Dazu lagen den neuen Probanden Sets aus je drei Transparent-Folien vor, auf denen jeweils das Subjekt, Objekt und Verb der Handlung abgebildet waren. Diese mussten dann übereinander gestapelt werden.
Es zeigte sich, dass die Versuchspersonen in praktisch allen Fällen die gleiche Reihenfolge wie beim Gestikulieren wählten. Sie griffen erst zum Subjekt, dann zum Objekt und zuletzt verbanden sie beides durch eine Darstellung der Handlung. Damit hatte Goldin-Meadow zwei Belege aus ganz unterschiedlichen Bereichen gefunden, die diese anscheinend universelle Reihenfolge der Dinge offenbarten.
Auch in der Deutschen oder Amerikanischen Gebärdensprache steht oft das Verb am Ende, doch die Grammatik dieser Sprachen kristallisierte sich über einen langen Zeitraum durch Konvention heraus – genau wie bei den Hörenden. Damit fehlt ihnen das intuitive Element spontanen Gestikulierens, in dem Goldin-Meadow diese natürliche Abfolge entdeckt haben will. Unterstützung erhält sie dagegen von der Gebärdensprache der Al-Sayyid-Beduinen im israelischen Negev. Sie entwickelten in den vergangenen siebzig Jahren ohne äußeren Einfluss eine eigenständige Grammatik. Ihre bevorzugte Wortfolge: Subjekt – Objekt – Verb. Ähnliches kennt man auch von gehörlosen Kindern, die sich eigene Gesten ausdenken. Goldin-Meadow glaubt daher, die universelle Reihenfolge könnte sich in neu entstehenden Sprachen niederschlagen.
Formt Sprache unser Denken?
Und eine noch weitergehende Interpretation ihres Befundes hält Goldin-Meadow parat. Es sei wohl generell nicht der Fall, dass unser Umgang mit einer Grammatik einen großen Einfluss darauf habe, wie wir denken, sagt sie. Zumindest nicht, was Syntax angehe.
Widerlegt hat sie diesen höchst strittigen Punkt damit allerdings noch nicht. Zwar ist S-V-O im Deutschen wie im Englischen die Grundreihenfolge, doch wann pressen wir Informationen schon einmal in einen einzigen Hauptsatz? Meist klingt eine tatsächliche Beschreibung dieser Szenen viel eher nach: "... da ist eine Frau, die ein Kästchen in der Hand hat. Und auf das macht sie gerade den Deckel drauf ..." Ob sich die natürliche Reihenfolge auch im Aufbau der alltäglichen Konversation niederschlägt – vielleicht eine interessante Frage für zukünftige Forschungen.
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