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Machtkampf um Ägypten: Kleopatra und das mysteriöse Grab von Ephesos

Ein achteckiger Bau, mitten in Ephesos und angeblich das Grab einer ägyptischen Prinzessin? In dem Oktogon entspinnt sich ein historischer Krimi um Kleopatra, ihre römischen Liebhaber und einen Machtkampf in Ägypten auf Leben und Tod.
Zentrum des antiken Ephesos mit der Celsus-Bibliothek.
Die wieder aufgerichtete Fassade der Celsus-Bibliothek hat die antike Stätte von Ephesos berühmt gemacht. Unweit der Bibliothek stand auch ein kleiner Bau aus der Zeit um 30 v. Chr. War es das Grab einer ägyptischen Prinzessin?

Auch dem mächtigsten Mann im Römischen Reich blieb nichts anderes übrig, als auf die Knie zu fallen. Und dann – auf Knien – Stufe um Stufe das Kapitol zu erklimmen, ganz wie es die Traditionen verlangten. Der Dank an die Götter gehörte schließlich zu den Pflichten, die jeder erfolgreiche Feldherr bei einem Triumphzug zum Ausdruck bringen musste. Selbst dann, wenn er wie Gaius Julius Cäsar (100–44 v. Chr.) als Abkömmling der Götter galt, der die Feinde in allen Himmelsrichtungen besiegt hatte. Ob in jahrelangen Kriegen die Gallier oder innerhalb eines kurzen Augenblicks – »Ich kam, ich sah, ich siegte« – König Pharnakes II. an der Schwarzmeerküste. Ob den numidischen König Juba in Nordafrika oder unbotmäßige Ägypter. In sein purpurnes Triumphgewand gehüllt, mit Lorbeer und Blumen bekränzt, ließ sich Cäsar nach zwölf Jahren der Kämpfe im Jahr 46 v. Chr. für diese Erfolge feiern. Volle vier Tage lang.

Das Volk nahm begierig die Getreide-, Öl- und Geldgeschenke entgegen, die Cäsar verteilen ließ. Zum Abschluss der Festlichkeiten begleitete die ausgelassene Menschenmenge den »Diktator auf Lebenszeit« vom Forum zu seinem Privathaus. Den Weg beleuchteten Fackeln tragende Elefanten, wie der Geschichtsschreiber Cassius Dio am Anfang des 3. Jahrhunderts in seiner »Römischen Geschichte« begeistert notierte.

Nicht allen war an diesen Tagen zum Feiern zu Mute. Am Triumphzug mussten auch Cäsars Kriegsgefangene teilnehmen. Gefesselt und gedemütigt wurden sie zum Vergnügen der Massen durch die Straßen getrieben. Darunter befanden sich prominente Persönlichkeiten: der gallische Fürst Vercingetorix etwa und die ägyptische Prinzessin Arsinoë IV. Sie hatte versucht, sich zur Pharaonin ausrufen zu lassen – war aber rasch an ihrer Schwester Kleopatra VII. (69/68–30 v. Chr.) und deren Geliebtem Cäsar gescheitert.

Nun litt sie wohl quälende Todesangst. Denn häufig fanden bei Gelegenheiten wie dieser die Gefangenen den Tod – Vercingetorix etwa würde die Feierlichkeiten nicht überleben. Vielleicht war es das drohende Schicksal, verbunden mit dem noch jungen Alter der Prinzessin, das eine unerwartete Reaktion beim Volk auslöste. Die Zuschauer »nahmen heftig Anstoß am Anblick der Ägypterin Arsinoë«, berichtete Cassius Dio. Eine Frau in Ketten gelegt, die gar als Königin galt, erregte großes Mitleid, so Dio. Doch die Massen waren machtlos. Allein Cäsar bestimmte, wer sterben und wer leben würde.

Ein Sarkophag voller Wasser

Rund 2000 Jahre später, im Jahr 1982, musste der junge Archäologe Ernst Rudolf kurz die Luft anhalten. In den Ruinen von Ephesos, die sich unweit der heutigen Stadt Selçuk in der Westtürkei befinden, war jüngst der Eingang eines ungewöhnlichen Baus achteckiger Form, eines Oktogons, geöffnet worden. Nun zwängte sich Rudolf durch eine schmale Lücke im Mauerwerk ins Innere. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe hüpfte durch den dunklen Raum. Asseln und Spinnen, allerlei Ungeziefer kroch über den Boden. Die Luft roch modrig. Rudolf erkannte im Dunkel einen schlichten Sarkophag, der bis zum Rand mit Wasser gefüllt war.

Bauteile | Die Reliefs des Oktogons zeigen Stierschädel und Girlanden mit Wollbinden. Die geknoteten Wollschnüre sollten womöglich an die Göttin von Ephesos, Artemis, erinnern, deren Kultbild ebenfalls solche Binden trug. Über dem Säulenbau erhob sich ein Gebälk und ein pyramidales Dach.

Nur einmal war die Kammer bis dahin geöffnet worden, im Jahr 1929. Auch damals hatten Archäologen den Sarkophag voll Wasser aufgefunden und es abgelassen, doch eindringende Feuchtigkeit hatte den antiken Steinkasten im Lauf der Zeit wieder gefüllt. Knochen, die die Ausgräber damals aus dem Sarkophag gehoben hatten, lagen noch aufgeschichtet in Wandnischen. »Ein sinistrer Anblick«, erinnert sich Rudolfs Kollege Peter Scherrer, der kurze Zeit später die Kammer betrat.

Der achteckige Bau in Ephesos hat Scherrer, der bis zu seiner Emeritierung 2023 an der Universität Graz lehrte und jahrelang stellvertretender Grabungsleiter in Ephesos war, seither nie mehr losgelassen. Das Oktogon stellt die Wissenschaft vor Rätsel. »Es liegt gewissermaßen am zentralen Platz von Ephesos, nur wenige Meter entfernt von einem großen Artemisaltar und der heiligen Dreiwegkreuzung, die das Zentrum der Stadt bildet«, sagt Scherrer. Archäologen war deshalb klar, dass es sich um ein herausgehobenes Bauwerk handeln musste. Allerdings fehlt an dem Gebäude eine Inschrift, die über seinen einstigen Zweck oder Eigentümer Auskunft geben könnte. Wissenschaftler hielten es zunächst für einen Siegestempel.

Mit dem Fund der Knochen im Jahr 1929 waren sie dann sicher, das Grab eines als Helden verehrten Menschen entdeckt zu haben. Denn nur Heroen bestattete man damals innerhalb der Ortsmauern. Umso größer die Überraschung, als Untersuchungen an den Knochen ergaben, dass hier kein altgedienter Krieger oder Stadtgründer beigesetzt worden war, sondern eine Frau von nur 16 oder 17 Jahren.

Das Oktogon, ein ägyptisches Monument?

Mit seinem Kollegen, dem Archäologen, Mediziner und Forensiker Ernst Rudolf, hat Scherrer in dem Buch »The Octagon of Arsinoë IV in Ephesos« von 2024 versucht, das Geheimnis des Oktogons zu lüften. Sie stützten sich dabei auf eine These, die ihre Kollegin Hilke Thür in einem kurzen Fachaufsatz im Jahr 1990 vorstellte: Sie brachte das Gebäude mit dem Schicksal Arsinoës in Verbindung.

Die Prinzessin und ihre Geschwister – neben Kleopatra waren da noch eine Schwester Berenike IV. sowie die beiden Brüder Ptolemaios XIII. und Ptolemaios XIV. – hatten das Pech, in eine Familie geboren zu werden, deren Mitglieder in ihrer Gier nach Macht und Reichtum weder vor Verrat noch Mord im engsten Kreis zurückschreckten. Schon Arsinoës Vater Ptolemaios XII. ließ seine erste Ehefrau sowie die gemeinsame Tochter Berenike IV. hinrichten, nachdem die beiden ihren Ehemann und Vater ins Exil nach Rom und Ephesos getrieben hatten, um selbst zu herrschen.

Kleopatra VII. | Die drei Marmorköpfe, hier in einer Hamburger Ausstellung aufgereiht, stellen die ägyptische Königin Kleopatra dar. Die Bildnisse entstanden um 34 und 31 v. Chr.

Im Gegensatz zu den meisten seiner Familienangehörigen starb Ptolemaios im Jahr 51 v. Chr. einen natürlichen Tod. In seinem Testament bestimmte er seine damals 18-jährige Tochter Kleopatra gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder Ptolemaios XIII. zur Herrscherin. Sein Vermächtnis vollstrecken sollte die größte Militärmacht jener Zeit – das Römische Reich.

Damit bewies Ptolemaios Weitblick, denn von geschwisterlicher Eintracht konnte keine Rede sein. Stattdessen stritten die junge Kleopatra und ihre Geschwister um die Vorrangstellung in Ägypten. Arsinoë und den Brüdern kam dabei zupass, dass Kleopatra bei den Bewohnern der Hauptstadt Alexandria ausgesprochen unbeliebt war. In diese angespannte, von Intrigen und Machtspielen bestimmte Lage platzte Cäsar. Er jagte seinem Gegner im Bürgerkrieg hinterher, Pompeius, der allerdings wenige Tage vor Cäsars Ankunft ermordet worden war. Sofort versuchten die verschiedenen Parteien, den Römer für ihre Zwecke einzuspannen.

Machtkampf um Ägypten

Cäsar indes bekräftigte das Testament und setzte, wohl um die Situation zu entspannen, Arsinoë und den jüngeren Ptolemaios als Herrscher über das eigentlich längst römische Zypern ein. Eine auf den ersten Blick elegante Lösung, die jedoch schon binnen kürzester Zeit brüchig wurde. Arsinoë und ihre Berater gierten nach mehr als nur der Macht über Zypern. Die chaotische Situation in Alexandria begriffen sie als ihre Chance, wie der Althistoriker Christoph Schäfer von der Universität Trier in seiner Monografie über Kleopatra analysiert: »Alles andere als harmlos, ergriff Arsinoë die Gelegenheit beim Schopf, ihre Schwester abzulösen und selbst Königin zu werden.« Kurz darauf tat es Ptolemaios XIII. seiner Schwester gleich und erhob die Waffen. Doch obwohl Kleopatra und der mit ihr politisch wie mittlerweile auch privat verbundene Cäsar in heftige Bedrängnis gerieten, setzten sie sich letztendlich durch. Ptolemaios kam im Verlauf der Kämpfe ums Leben, Arsinoë geriet in Gefangenschaft.

Was danach genau geschah, geben die Schriftquellen nicht preis. Als Nächstes tauchte die Prinzessin gefesselt und zur Schau gestellt als Teil des Triumphzugs in Rom auf, der unweigerlich in ihren Tod zu führen schien. Doch das Schicksal zeigte sich gnädig. Cäsar ließ sie am Leben. Arsinoë zog sich nach Ephesos zurück, in den Schutz des dortigen Tempels der Göttin Artemis.

Zwischen Ruinen | Im Hintergrund steht die Säulenfassade der Celsus-Bibliothek, links davon befinden sich die Überreste des Hadrianstors. Links im Bild (bei dem Wellblechdach) liegen die Reste des Oktogons.

Das Asyl im Artemis-Heiligtum verlieh Arsinoë Sicherheit, denn die mächtige Priesterschaft erklärte sie damit als unantastbar. Für Kleopatra blieb Arsinoë allerdings weiterhin eine Bedrohung. Immerhin war ihre jüngere Schwester bereits einmal zur Gegenkönigin ausgerufen worden. Wer konnte garantieren, dass dies kein zweites Mal geschehen würde?

Nachdem Kleopatra den 44 v. Chr. ermordeten Cäsar durch den römischen Feldherrn Mark Anton als Liebhaber und Verbündeten ersetzt hatte, überzeugte sie diesen, die Schwester in bester Familientradition beseitigen zu lassen. »Habgierig von Natur, wie sie war, schreckte sie vor keiner noch so großen Ungerechtigkeit zurück, wenn sie ihre Zwecke dadurch fördern konnte«, berichtete im 1. Jahrhundert der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus. »So hatte sie ihren 15 Jahre alten Bruder, von dem sie wusste, dass er ihr auf dem Thron folgen sollte, mit Gift aus dem Weg geräumt, und ihre Schwester Arsinoë, als diese sich zu Ephesos in den Dianatempel (Artemistempel) geflüchtet hatte, mit Hilfe des Antonius umbringen lassen.« Selbst der kultische Schutzstatus half offenbar wenig, Kleopatra hatte sich im Familienstreit endgültig durchgesetzt.

Ein Leuchtturm als Grab?

Eine prominente junge Prinzessin aus Ägypten, die in Ephesos ermordet wurde, und ein rätselhaftes Grabmal, in dem die Gebeine einer jungen Frau lagen – in gewisser Weise drängt es sich auf, beides in Beziehung zu setzen und wie Hilke Thür das Oktogon als Grabmal Arsinoës zu interpretieren. Thür stützte ihre These auf die Datierung des Monuments: So sei das Oktogon ungefähr zum Zeitpunkt des Todes von Arsinoë errichtet worden. Die außergewöhnliche achteckige Form verstand sie als einen Verweis auf den ebenfalls achteckigen Leuchtturm von Alexandria, den Pharos, eines der sieben Weltwunder der Antike.

Thürs These fand bei den Fachkollegen Zustimmung, aber auch Kritik. So sei die im Oktogon Bestattete bei ihrem Tod viel jünger gewesen als Arsinoë. Die Prinzessin sei mindestens Mitte 20 gewesen, als sie starb – das Skelett stamme aber von einer Jugendlichen. Zudem sei das Oktogon, anders als von Thür angenommen, erst einige Jahre oder ein Jahrzehnt nach dem Tod Arsinoës erbaut worden. Das ergebe sich aus dem Baustil des Gebäudes. Und schließlich überzeuge die Idee, das Oktogon sei in Anlehnung an den Pharos gestaltet worden, nur bedingt. »Das geht für mich nicht auf«, kommentierte 2009 die britische Althistorikerin Mary Beard von der University of Cambridge in der »Times Online«. Warum auch sollte ein Leuchtturm, ein durch und durch funktionaler Bau, Vorbild für ein Mausoleum sein, fragten andere Fachleute. Augenscheinlich führte »der Wunsch, in der Toten eine Ptolemäerprinzessin zu sehen«, dazu, den Pharos als Inspiration für das Oktogon zu deuten, überlegte 2007 die Archäologin Hadwiga Schörner.

Unscheinbare Reste | Wer heute im antiken Ephesos spazieren geht, kann die verbliebenen Teile des Oktogons leicht übersehen. Weitere Säulen, Reliefblöcke und Architekturteile werden heute im Ephesos Museum in Wien aufbewahrt.

Für Scherrer und Rudolf dagegen war die Spur zu Arsinoë nach wie vor heiß. Mehr als vier Jahrzehnte nach ihrem Abstecher in die Kammer des Grabmals sichteten sie erneut die antiken Quellen und die Ergebnisse der Ausgrabungen in Ephesos – und gewannen neue Erkenntnisse.

Wie jung war die Prinzessin bei ihrem Tod?

Wichtig war zunächst, mehr über Arsinoës Sterbealter herauszufinden. Denn keine Schriftquelle der Antike nennt explizit ihr Geburtsjahr. »Man hatte bisher das Geburtsdatum der Arsinoë um etwa die Mitte der 60er Jahre v. Chr. angenommen«, sagt Scherrer. Die These entwickelte der Althistoriker Max Leberecht Strack (1867–1914). Er ging davon aus, die Prinzessin habe 48 v. Chr. ihre Rolle als proklamierte Königin nur annehmen können, wenn sie bereits eine junge Frau gewesen wäre. Für Thürs These ergab das ein Problem. Arsinoë wurde 41 v. Chr. ermordet. Demzufolge wäre sie bei ihrem Tod rund 25 Jahre alt gewesen. Die Überreste im Oktogon stammten aber von einer knapp zehn Jahre jüngeren Person.

Bei ihrer Lektüre der antiken Texte stießen Scherrer und Rudolf jedoch auf Ungereimtheiten. So war die Prinzessin um das Jahr 48 v. Chr. noch einem Vormund unterstellt. Das wäre damals für eine beinahe 20-jährigen Frau sehr ungewöhnlich gewesen. Bei Mädchen endete die Vormundschaft ungefähr im Alter von zwölf Jahren. Arsinoë wäre demnach frühestens um 60 v. Chr. zur Welt gekommen. Das Skelett aus dem Oktogon könnte somit von ihr stammen. Es wäre sogar möglich, dass die Prinzessin in Ephesos geboren wurde, wo ihr Vater und mutmaßlich auch seine zweite Frau – Arsinoës Mutter – in jenen Jahren ihr Exil verbrachten. Dieser Gedanke wiederum liefert eine Erklärung, warum sich die Ptolemäerin später ausgerechnet dorthin zurückzog. Es war ihre Heimstatt.

Thürs ursprüngliche Annahme, das Grabmal sei unmittelbar nach dem Tod Arsinoës erbaut worden, lässt sich nach Meinung der beiden Forscher tatsächlich nicht halten. »Die Bauornamentik und Funde im Fundament deuten darauf hin, dass es erst einige Jahre später entstanden ist«, erklärt Scherrer. Das sei allerdings kein Gegenbeweis, sondern passe sogar besser zur politischen Lage jener Zeit, argumentiert der Archäologe. Mark Anton und Kleopatra hätten wohl kaum einen repräsentativen Grabbau gebilligt, der unweigerlich an ein von ihnen beauftragtes Attentat erinnerte. Ihr Gegenspieler konnte aus einem solchen Grabmal jedoch politisch Profit schlagen: Octavian, der spätere Kaiser Augustus (er regierte von 27 v. Chr. bis 14 n. Chr.), der das römisch-ägyptische Paar 31 v. Chr. im Bürgerkrieg besiegt hatte, bestätigte damit den Artemiskult und dessen Asylfunktion. Beides war durch den Mord entehrt worden.

Arsinoë, die im Heiligtum vermutlich zur Welt und ums Leben kam, könnte zur Symbolfigur geworden sein, ihr Grab zum Staatsdenkmal. Und »erst als Marcus Antonius und Kleopatra tot waren und Augustus den großen Frieden ausrief, waren die Bedingungen gegeben, um solche Bauten zu errichten«, sagt Scherrer. »Während der Bürgerkriegszeit fehlten die Ruhe und das Geld.«

Acht ergab die perfekte Geometrie

Die mögliche Anspielung des Oktogons auf den Leuchtturm von Alexandria, das Hauptargument Thürs, erscheint Scherrer und Rudolf hingegen weniger bedeutsam. »Wir würden diese Assoziation nicht überbewerten«, findet Scherrer. »Vielleicht spielt die Form auch auf die Zahl Acht an, die als perfekte Zahl galt.«

Handelt es sich bei dem rätselhaften Grabmal in Ephesos also tatsächlich um das Grab Arsinoës IV., der Schwester und Rivalin Kleopatras, die dieser im Machtpoker unterlag? Die im Asyl des Artemistempels in Ephesos scheinbare Sicherheit fand, bevor Häscher im Auftrag Kleopatras und Mark Antons sie aufspürten und ihrem kurzen Leben ein Ende machten? »In der Archäologie haben wir nur selten harte Fakten zur Hand«, gibt Scherrer zu bedenken. Doch die Indizienlage deute stark darauf hin, dass die ägyptische Prinzessin im Oktogon bestattet lag.

Rekonstruktion | Der achteckige Bau, der von korinthischen Säulen umgeben war, erhob sich auf einem Podium. Vom Boden bis zum Dach dürfte das Oktogon zirka 14 Meter hoch gewesen sein. Der Säulenbau war nicht zugänglich, im Sockel (siehe Profil) hingegen befindet sich eine Kammer mit einem Sarkophag.

Größere Sicherheit könnte es geben, wenn sich die Identität der Toten noch auf andere Art bestätigen ließe. Beispielsweise mit einer DNA-Analyse, bei der das Erbgut der Bestatteten mit dem Genom anderer Mitglieder der ptolemäischen Königsfamilie verglichen würde. Dafür stehen die Chancen allerdings denkbar schlecht. Immer wieder sickerte Wasser durch kleine Ritzen und Fugen in das Grabmal. Im Lauf der Jahrtausende wurden die Knochen durchtränkt und die darin enthaltene DNA ausgewaschen. Fachleuten gelang es deshalb nicht, Erbgut zu extrahieren. Die letzte Hoffnung ruht auf den härtesten und widerstandsfähigsten Knochen im menschlichen Körper. Dazu zählt das Felsenbein, eine Schädelpartie im Bereich der Ohren. Den Schädel aber hatte 1929 ein Archäologe für weitere Untersuchungen an die Universität Greifswald geschickt. Dort verlor sich seine Spur.

Jagd auf den Prinzessinnenschädel

Scherrer und Rudolf haben sich auf die Suche nach dem Schädel aus dem Oktogon gemacht. Sie folgten dazu dem Weg jener Wissenschaftler, die ihn zuletzt in Händen hielten. Die Fährte führt bis ins Jahr 1953. Damals publizierte der Wiener Anthropologe Josef Weninger (1886–1959) einen Fachartikel über den Schädel, erwähnte aber nicht, wie er an das Skelettteil kam und wo er es untersucht hatte. Er dürfte aber mit Josef Keil (1878–1963) in Verbindung gestanden haben, dem Archäologen und Ausgräber von Ephesos der 1920er und 1930er Jahre. Kontakte zwischen den beiden gab es. Und offenbar hatte Keil den Schädel aus Ephesos mitgenommen und Weninger zur Untersuchung überlassen.

Aus den Biografien der beiden Männer und ihres akademischen Umfelds rekonstruierten Scherrer und Rudolf, was danach geschah. Weninger, der auf Grund seiner Ehe mit einer Jüdin unter Repressalien der Nazis litt, analysierte den Schädel zwischen 1944 und 1945, als er in einem Museum außerhalb Wiens tätig sein musste. Seine Erkenntnisse veröffentlichte er aber erst in der Nachkriegszeit. Damals war er bereits wieder an der Universität Wien beschäftigt. Der Schädel sollte also entweder dort oder in dem Museum, in dem Weninger zeitweise arbeitete, zu finden sein.

Tatsächlich konnten Scherrer und Rudolf das Skelettteil in den Sammlungen der Universität Wien aufspüren. Dort lag ein Schädel im Depot, der mit den Worten »Ephesos Heroengrab« beschriftet war. Keil hatte das Oktogon als Heroengrab bezeichnet. Zudem hatte jemand einen Notizzettel in den Schädel gestopft: Darauf stand nicht nur »Schädel aus Ephesos« geschrieben, sondern Schreibmaschinenzeilen auf der Rückseite führten in das damalige Umfeld von Weninger. Der Schädel war somit zweifelsfrei identifiziert: Er musste aus dem Oktogon stammen. Damit besteht jetzt zumindest die Chance, doch noch DNA zu finden.

Die Naturwissenschaft könnte Arsinoës Identität bestätigen

Dennoch bliebe damit ein weiteres Problem ungelöst. Es fehlt bislang an Vergleichsmaterial von anderen Mitgliedern der ptolemäischen Königsfamilie. Erst wenn beispielsweise das Grab Kleopatras gefunden würde, ließe sich die Verwandtschaft der beiden Frauen per Genanalyse überprüfen.

Im Podium | Der schlichte Sarkophag ist heute fest verschlossen. Als Archäologen 1929 erstmals die Grabkammer betraten, war der Deckel verschoben. Im Lauf der Jahrhunderte hatten vermutlich Erdbeben den Marmorblock bewegt.

Kurzfristig scheinen andere Methoden daher vielversprechender zu sein. Etwa eine Strontiumisotopenanalyse der Zähne. Denn das Verhältnis der Strontiumisotope im Boden unterscheidet sich je nach geografischer Lage. Über das Trinkwasser und die Nahrung nehmen Lebewesen das chemische Element auf und lagern es während des Wachstums in die Zähne ein. Die spezifischen Isotopenwerte zeigen also an, wo ein Mensch seine Kindheit und Jugend verbracht hat.

Sollte sich nun herausstellen, dass die Bestattete nicht in Ephesos oder Alexandria lebte, wäre es unwahrscheinlich, dass es sich bei ihr um Arsinoë IV. handelte. Umgekehrt wäre eine positive Isotopenanalyse ein weiteres starkes Indiz für die Identität der Toten als Arsinoë.

Die gescheiterte ägyptische Prinzessin wird die Nachwelt also noch eine Weile beschäftigen – nicht nur als Protagonistin in einem Drama voll Gier, Macht, Sex und Mord, sondern vor allem als Wissenschaftskrimi.

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