Ökosystem Tibet-Hochland : Klima und traditionelle Medizin bedrohen Körperfresserpilze
Der Tibetische Raupenpilz lebt in über 3000 Metern an den Hängen des Tibetischen Hochlands von den Eingeweiden seiner Opfer – der Raupen von Wurzelbohrer-Schmetterlingen, deren lebende Körper er nach und nach von innen auffrisst und mit einem schlauchartigen Myzel durchzieht. Danach erst beginnt aber seine eigentliche Karriere als Medizinprodukt: Die zurückbleibenden wurzelähnlichen Insektenfresserfruchtkörper werden mindestens seit Jahrzehnten massenhaft von den Tibetern gesammelt, in einen lukrativen und aufnahmehungrigen chinesischen Markt verkauft und als Zutaten der lokalen traditionellen Medizin recycelt. Schon lange raunen Besorgte allerdings von einem möglichen baldigen Ende des »Sommergras-Winterwurms«, wie der Pilz wörtlich aus dem Tibetischen »Jartsa Gunbus« übersetzt wird – einfach weil Generationen von Suchern ihn allmählich bis zum Aussterben gesammelt haben. Stimmt nicht ganz, meinen nun Forscher in einer »PNAS«-Veröffentlichung: Zwar gehen die Bestände des Pilzes zurück, zumindest mit schuld ist daran aber wohl der Klimawandel im Himalaja.
Die Forscher um Eric Lambin von der Stanford University haben unter anderem Daten aus zehn Jahren Feldforschung vor Ort ausgewertet, um die Entwicklung des Wirtschaftszweigs und die Bestände des gesammelten Ophiocordyceps sinensis in Tibet zu analysieren. Tatsächlich ist das Pilzsammeln die wichtigste Einnahmequelle in den höher gelegenen Regionen, wobei die rund 800 interviewten Sammler unter dem Strich von zunehmend geringeren Ernteerträgen pro Kopf bei anhaltender Nachfrage berichten. Die Ursache sehen die Pilzsammler selbst in wachsender Konkurrenz. Tatsächlich herrschten vor Ort aber in den letzten Jahren auch klimatisch ungünstige Bedingungen vor, so die Forscher. Die Durchschnittstemperaturen im Winter sind im Zuge des Klimawandels angestiegen – die Pilze bevorzugen allerdings hoch gelegene Habitate, in denen zumindest im Winter Temperaturen unter dem Gefrierpunkt vorherrschen. Gleichzeitig vermehrt sich der Raupenpilz aber nicht in Permafrostgebieten. Das für den Pilz optimale Areal zwischen »ab und an zu warm« und »immer zu kalt« scheint in der letzten Dekade deswegen immer schmaler geworden zu sein, was die Populationen verkleinert haben dürfte. Dazu kommt dann der anhaltende Druck durch die Sammlungstätigkeit – eine doppelte, am Ende womöglich wirklich existenzielle Herausforderung für die einzigartige Spezies, so die Wissenschaftler.
Die Nachfrage nach dem Pilz dürfte erwartungsgemäß in der nahen Zukunft zumindest in China nicht abflauen, da Ophiocordyceps sinensis dort allerlei unterschiedliche Wirkungen zugeschrieben werden: Er soll gegen Lungen-, Leber-, Nieren- und Herz-Kreislauf-Beschwerden, Rückenschmerzen, Tumoren und Viren wirken, das Immunsystem stärken, den Cholesterinspiegel regulieren und Ausdauer und Libido fördern. Große medizinische Studien in westlichen Ländern, die dies überprüft haben, fehlen allerdings. Gut dokumentiert ist dagegen, dass die Nachfrage von Anhängern der chinesischen Medizin andere Spezies vom Schnee-Lotus bis zum Nashorn wirklich stark bedroht.
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