Klimageschichte: So heiß kann die Erde werden
Die Dinosaurier lebten in einer warmen Welt. Typische Illustrationen zeigen sie in tropisch anmutenden Savannen oder vor dem Hintergrund sumpfiger Urwälder. Doch woher weiß man, wie hoch die Temperatur vor 100 oder auch 200 Millionen Jahren genau war, wie viel Grad wärmer als unsere Welt? Diese Frage ist heute aktueller denn je: Denn sie ist eng verknüpft mit der Rolle des Kohlendioxids für das Klima, und damit auch mit dem Klima der nahen Zukunft. Unserer Zukunft.
Kennt man die Temperaturkurve der Erdgeschichte, kann man daraus nämlich eine entscheidende Zahl berechnen: die Klimasensitivität. Sie beschreibt, wie hoch die Temperatur auf der Erdoberfläche steigt, wenn sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre verdoppelt. Eine Arbeitsgruppe um die Klimaforscherin Emily J. Judd vom Smithsonian National Museum of Natural History in Washington hat in jahrelanger Arbeit solch eine Fieberkurve der Erdgeschichte erstellt – mit einem erschreckend erscheinenden Ergebnis. Demnach liegt die Klimasensitivität bei rund sieben bis acht Grad. Das ist fast dreimal so hoch wie der heute weithin angenommene Wert.
Die Erde würde demnach durch den Klimawandel deutlich heißer werden als vermutet, erklärt die Hauptautorin der Studie gegenüber der »New York Times«. Die nun präsentierte Zahl ist zwar nur vorläufig. Große Unsicherheiten behaften die Rekonstruktion, die Judd und ihr Team im September 2024 in der Fachzeitschrift »Science« veröffentlicht haben. Dennoch ist die Temperaturkurve ein Meilenstein. Mit ihr zeichnet das Forschungsteam nicht weniger als die globalen Durchschnittstemperaturen der letzten 485 Millionen Jahre nach. Die Kurve deckt nahezu das gesamte Phanerozoikum ab, jene Epoche der Erdgeschichte, in der Tiere und Pflanzen die Erde bevölkern.
Die Heißzeiten waren wohl heißer
»Das ist ein sehr guter Schritt zu einer echten Rekonstruktion des Klimas in diesem Zeitraum«, sagt der Paläoklimaforscher Nathan Steiger von der Hebrew University of Jerusalem. »Praktisch alle bisherigen Rekonstruktionen waren eher wie grob gezeichnete Cartoons – nichts, was wirklich belastbar war. Aber etwas Besseres hatten wir einfach nicht.« Die neue Kurve basiert auf Modellen und physikalischen Daten, und sie ist detailliert genug, um konkrete Schlussfolgerungen über das Erdsystem aus ihr zu ziehen. So stützt die Rekonstruktion jüngere Ergebnisse, wonach das Erdklima langfristig ungefähr konstant ist. Lange Zeit gingen Fachleute hingegen gingen davon aus, dass es auf der Welt einst viel wärmer war und sich seither abkühlt.
Das auffälligste Merkmal der Fieberkurve ist jedoch, dass sie im Vergleich zu bisherigen Rekonstruktionen stärker zwischen warmen und kalten Perioden schwankt. Besonders die Warmphasen waren demnach deutlich heißer als bisher angenommen, mit einem Höchstwert von rund 36 Grad Celsius vor rund 90 Millionen Jahren. Daraus resultiert auch der neue Wert für die Klimasensitivität, der erheblich höhere Temperaturanstiege durch den menschengemachten Klimawandel ankündigen würde.
Allerdings sind die Zahlen mit Vorsicht zu genießen, denn ob die Temperaturen tatsächlich so hoch waren, ist unklar. Das zeigt beispielsweise ein Blick auf das Klima im Ordovizium vor rund 450 Millionen Jahren. Die Fieberkurve beziffert die Temperatur für dieses früheste Eiszeitalter der Untersuchungsperiode auf rund fünf Grad wärmer als heute. Außerdem sollen die Tropen über lange Zeiten der Erdgeschichte lebensfeindlich heiß gewesen sein, obwohl das Leben dort nachweislich blühte.
Überraschend sind solche Diskrepanzen nicht. Die Temperaturen der Vergangenheit zu rekonstruieren, gehört zu den ausgesprochen schwierigen Aufgaben in der Klimaforschung. »Was die Autorinnen und Autoren gemacht haben, ist außerordentlich herausfordernd«, befindet auch Nathan Steiger. »Das ist vermutlich die schwierigste Rekonstruktion, die jemals mit diesem Ansatz durchgeführt wurde.« Das Team um Emily Judd nutzte erstmals Klimasimulationen, um aus geochemisch gewonnenen Temperaturdaten das globale Klima zu errechnen. Dazu stellte die Arbeitsgruppe so genannte Proxydaten zusammen – physikalische und chemische Indikatoren, die direkt von der Temperatur abhängen. Die Verhältnisse zweier Sauerstoffisotope in Phosphaten und Karbonaten, das Verhältnis von Magnesium und Kalzium in den Schalen von einzelligen Algen sowie Fettmoleküle aus Zellmembranen geben Hinweise auf das einstige Klima.
Mit Modellen gegen den Mangel an Daten
Allerdings gibt es aus der fernen Vergangenheit nur sehr wenige dieser Temperaturdaten – viel zu wenige, als dass man daraus einen Durchschnitt berechnen könnte. Dazu kommt, dass die geochemischen Indikatoren Meerestemperaturen widerspiegeln und eben nicht die gewünschte Lufttemperatur an der Oberfläche. Deswegen fasste Judds Team die wenigen Datenpunkte aus Zeitfenstern von jeweils fünf Millionen Jahren zusammen und speiste damit ein computergestütztes Klimamodell. Dieses berechnete aus den Wassertemperaturen für jeden dieser Zeiträume die durchschnittliche globale Lufttemperatur. »Dazu braucht man auch geologische Daten, um zu erfahren, wie die Kontinente angeordnet sind und dergleichen«, erklärt Steiger. Die Simulationen des Klimamodells näherte die Gruppe dann den physikalischen Werten aus den Proxydaten an. Dafür kombinierten die Forschenden Modell und Messwerte über ein spezielles statistisches Verfahren.
Dabei waren sie jedoch mit etlichen Schwierigkeiten konfrontiert, allen voran mit den Unsicherheiten in den physikalischen Daten. »Meistens müssen wir davon ausgehen, dass die Proxys von mehreren Klimavariablen gleichzeitig beeinflusst werden«, erläutert Cecile Blanchet vom Geoforschungszentrum Potsdam. «Das Verhältnis der verschiedenen Sauerstoffisotope zum Beispiel kann entweder durch die Temperatur moduliert werden oder aber durch Veränderungen von Niederschlägen und Verdunstung. Und das ist etwas, was wir für jeden Datenpunkt herausfinden müssen.« Deswegen müsse man auch jeden einzelnen Datenpunkt überprüfen und idealerweise mit unabhängigen Daten vergleichen. »Wenn man ein früheres Klima rekonstruiert oder die Temperaturkurve veröffentlicht, dann braucht man einiges an Vorwissen, um das Ergebnis interpretieren zu können. Um die Proxydaten zu verstehen, muss man beispielsweise wissen, wie Ökosysteme oder Ozeane reagieren.«
Doch dieses Wissen ist oft lückenhaft, wie die Debatten über eine früher möglicherweise viel wärmere Erde demonstrieren. Daten aus Sauerstoffisotopen schienen zu zeigen, dass die Meere Temperaturen von bis zu 70 Grad erreichten. Doch Gesteine aus der gleichen Zeit legen nahe, dass manche Regionen der Welt vergletschert waren. Erst in jüngster Zeit hat sich eine andere Auffassung durchgesetzt: Nicht die Temperatur hat sich über die Jahrmillionen systematisch verändert, sondern die Verteilung der Isotope.
Aus diesem Grund braucht man Steiger zufolge eine gute Vorstellung von solchen Unsicherheiten in den Proxydaten, bevor man mit den rekonstruierten Temperaturen weiterarbeitet. »Ein Kritikpunkt, den ich habe, ist, dass die Unsicherheiten der Temperaturen aus den Proxydaten sehr niedrig angesetzt sind.« Die vom Team um Judd genutzten Unsicherheiten seien um Größenordnungen kleiner als jene, die andere Gruppen in vergleichbaren Rekonstruktionen nutzten. »Das finde ich sehr überraschend. Es führt dazu, dass ihre Rekonstruktion extrem stark von diesen Proxys kontrolliert wird.«
Der Ansatz enthält noch viele Fehlerquellen
Das könne zu Problemen mit den Computermodellen führen, erklärt der Forscher weiter. Darauf gebe es auch Hinweise in der Veröffentlichung. Zum Beispiel hätten die Modelle in manchen Zeiträumen Klimazustände ergeben, die physikalisch unplausibel seien – kühle Tropen und heiße Polargebiete. »Das deutet für mich ganz klar darauf hin, dass es Probleme gab, weil man sich zu stark auf die Proxydaten gestützt hat.« Solche unrealistischen Ergebnisse entstünden nur, wenn man äußerst geringe Spielräume für Unsicherheit in den Proxydaten habe.
Außerdem setzte die Arbeitsgruppe für die Modelle lediglich auf ein einzelnes Klimamodell. Üblicherweise würden für solche Rekonstruktionen aber mehrere unterschiedliche verwendet. Für diese Entscheidung gibt es gute Gründe – mehr Modelle machen mehr Arbeit und kosten mehr Geld und Rechenzeit –, aber es schränkt die Aussagekraft der Fieberkurve weiter ein. Darum betrachten Fachleute die Studie der Arbeitsgruppe um Judd bisher nur als ersten Schritt.
»Es ist eine wichtige Neuerung, in diesem Ausmaß Klimamodelle zusammen mit Proxys zu benutzen«, sagt Cecile Blanchet. Es sei offensichtlich, dass dieser neue Ansatz ein wichtiger Schritt nach vorn ist. Mit den gewonnenen Ergebnissen könne man sowohl die Klimamodelle verbessern als auch die Proxydaten besser verstehen. »Zwischen Modellen und Daten hat man immer eine Art Pingpong«, führt die Forscherin aus. »Wir nutzen die Modelle, um die Physik hinter den Prozessen zu verstehen, die unsere physikalischen Daten erzeugen. Und dadurch bekommen wir bessere Daten, die dann wieder in bessere Modelle einfließen.«
Der allgemeine Ansatz des Teams um Judd sei absolut sinnvoll, sagt auch Nathan Steiger. »Ich denke, sie haben Großes geleistet. Hinter der Rekonstruktion steckt enorm viel Arbeit.« Aber das sei keineswegs das Ende der Geschichte. Der nächste Schritt müsse sein, an den möglichen Fehlerquellen der Analyse anzusetzen. »Wenn ich eine überarbeitete Version dieser Kurve produzieren sollte, würde ich zuerst sehr sorgfältig auf die Unsicherheiten in den Proxydaten gucken. Und als Nächstes wäre es dann wichtig, verschiedene Modelle zu nutzen«, erklärt er. Zudem sei es womöglich sinnvoll, auch auf Temperaturdaten vom Land zurückzugreifen statt nur aus dem Ozean wie in der bisherigen Untersuchung. »Zukünftige Rekonstruktionen, selbst mit dem gleichen Ansatz wie in der aktuellen Veröffentlichung, werden in verschiedener Hinsicht andere Aussagen machen.«
Hat die Erde einen Thermostaten?
Wie zuverlässig solche Rekonstruktion der globalen Durchschnittstemperatur und damit des Weltklimas mit Hilfe von Proxys und Modellen wirklich sind, wird deshalb auf Jahre hinaus für heftige Diskussionen sorgen. Denn die möglichen Schlussfolgerungen sind sehr weit reichend. Die starken Ausschläge der neuen Fieberkurve der Erdgeschichte werfen zuerst die Frage nach der Zukunft des Menschen im selbst verschuldeten Klimawandel auf. Waren die Heißzeiten heißer, dann wird auch die Zukunft wärmer – und damit für uns Eiszeitwesen deutlich ungemütlicher.
Doch die gemessene Klimasensitivität von rund acht Grad lässt sich keineswegs einfach auf die nahe Zukunft übertragen. Die Temperaturrekonstruktion setzt sich aus Zeitfenstern von je fünf Millionen Jahren Länge zusammen. Das ist 20-mal so lang, wie die Menschheit überhaupt existiert – und weit länger, als das von ihr ausgestoßene Kohlendioxid in der Atmosphäre bleiben wird. Langfristige Rückkopplungseffekte spielen dabei eine viel größere Rolle als auf der Zeitskala von Jahrzehnten, so dass die gemeinhin verwendete Gleichgewichts-Klimasensitivität von zwei bis fünf Grad damit nicht vergleichbar ist. Die Arbeitsgruppe um Judd weist jedoch darauf hin, dass der Wert von acht Grad gut zu unabhängig errechneten Klimasensitivitäten der letzten zehn Millionen und 800 000 Jahre passt.
Sollten sich die nun vorgestellten Ergebnisse grundsätzlich bestätigen, würde das allerdings nicht nur auf eine deutlich heißere Zukunft hindeuten. Es würde auch die Existenz eines von manchen Fachleuten vermuteten, über hunderte Millionen Jahre wirksamen Regulationsmechanismus nahelegen, der die globalen Temperaturen in einem lebensfreundlichen Bereich hält. Die Existenz eines solchen Erd-Thermostaten würde nicht nur unser Verständnis der Erdgeschichte verändern, sondern womöglich auch darauf hindeuten, dass ferne Welten ebenfalls über sehr lange Zeit lebensfreundlich sein können.
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