Klimakonferenzen: »Die Pariser Klimaziele sind auch nicht vom Himmel gefallen«
Mehr als 70 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer reisen zur diesjährigen Weltklimakonferenz COP28 nach Dubai. Eine von ihnen ist die Biologin und Moorforscherin Franziska Tanneberger. Sie lehrt an der Universität Greifswald, leitet das Greifswald Moor Centrum und berät die Bundesregierung in Klima- und Nachhaltigkeitsfragen. Tanneberger hat als Wissenschaftlerin an zahlreichen COPs teilgenommen. In Dubai wird sie erstmals auch als Mitglied der deutschen Regierungsdelegation dabei sein. Mit ihr sprach Thomas Krumenacker.
Spektrum.de: Es ist schon ein Ritual: Von COP zu COP werden die Mahnungen dringlicher, die Appelle pathetischer und die Lücke zwischen dem Nötigen und dem Erreichten größer. Was motiviert Sie, überhaupt noch Arbeit in die Vorbereitung zu stecken und hinzufahren?
Franziska Tanneberger: Für mich ist eine COP immer ein Wechselbad der Gefühle. Wenn wir uns ansehen, wo wir im Kampf gegen den Klimawandel stehen, kann sich schon eine gewisse Hoffnungslosigkeit breitmachen. Aber gerade die COPs lenken ja für zwei Wochen die Blicke der Welt auf das Problem und suchen nach Auswegen. Die Tatsache, dass so viele Menschen so intensiv darum ringen, dass wir doch noch auf einen besseren Weg einschwenken, ist für mich dann doch auch Anlass zur Hoffnung.
Prognosen zeigen, dass der CO2-Ausstoß in absehbarer Zeit maximal stagnieren wird. Wir bräuchten aber eine Halbierung. Was erwarten Sie von dieser COP?Jede COP fängt erst mal damit an, dafür zu kämpfen, dass wir nicht hinter das Erreichte zurückfallen. Diese Gefahr besteht immer, gerade in Zeiten wie diesen – mit Krieg in Europa, mit der Wahl von Regierungen, die den Klimawandel leugnen. In Dubai wird vor allem der »Stocktake« dominieren. Die weltweite Bestandsaufnahme, wo wir auf dem Weg zu den Paris-Zielen stehen. Das kann der Ausgangspunkt für stärkere Verpflichtungen im Klimaschutz werden. Er ist so etwas wie die Stunde der Wahrheit.
Es gibt Beobachter, die von der wichtigsten COP seit der Konferenz von Paris sprechen, auf der das 1,5-Grad-Ziel beschlossen wurde. Sehen Sie das auch so?
Nein, das wäre eine Überhöhung. Paris war eine zentrale COP, und jetzt haben wir eine weitere wichtige, die uns hoffentlich einen Schritt voranbringt. Dubai kann ein großer Schritt werden, aber die Chancen dafür sind nicht die Besten.
Braucht es überhaupt in jedem Jahr eine solche Mammutveranstaltung mit immer neuen Rekordzahlen an Teilnehmern, von denen fast alle mit dem Flugzeug anreisen und dabei viele Emissionen verursachen?
Ich bin davon überzeugt, dass es ohne diese Treffen nicht geht. Bei fast jeder COP geht es einen Schritt in Richtung auf das Ziel. Leider waren die Schritte bei zu vielen COPs zu klein, aber nur der internationale Prozess unter dem Dach der Vereinten Nationen kann überhaupt einen Rahmen dafür bieten, dass die Staaten der Erde miteinander über diese Menschheitsfrage sprechen. Was wäre denn die Alternative? Wo sonst soll es möglich sein, dass selbst Länder in einem Raum sind, die gerade Krieg miteinander führen? Das macht den Wert der COPs aus.
Die 28. Weltklimakonferenz (COP28)
Vom 30. November bis zum 12. Dezember 2023 treffen sich die Vertreter von Regierungen, Unternehmen und NGOs in Dubai, um zum 28. Mal über den Klimaschutz zu beraten. Alle Infos zur Konferenz finden Sie in unserem Blog und auf unserer Themenseite.
Aber diese Veranstaltungen müssen sich immer an ihren Ergebnissen messen lassen. Täuscht der Eindruck, dass seit dem Pariser Klimagipfel von 2015 kein wirklich großer Schritt mehr im Klimaschutz gelungen ist?
Paris war ein zentraler Moment, weil dort mit dem 1,5-Grad-Ziel eine klare Marschrichtung vorgegeben wurde. Darüber sollten wir aber nicht vergessen, dass solche Durchbrüche ohne die Arbeit bei vielen anderen COPs nicht möglich sind. Paris ist auch nicht vom Himmel gefallen.
»Es braucht keine COP mehr, um einem Land zu sagen, was es jetzt für den Klimaschutz zu tun hat«
Was hat den Erfolg des historischen Abkommens möglich gemacht?
Das war die intensive, oft kleinteilige Arbeit bei Konferenzen davor, bei denen Teillösungen und einzelne Komponenten für den großen Wurf ausgehandelt wurden. Das Kyoto-Protokoll von 1997 gab erstmals klare Regeln, wie die Treibhausgase reduziert werden sollen. Bei aller Kritik an mangelnden Fortschritten: Klimapolitik auf die COPs abzuschieben und hinterher zu beklagen, dass bei einer Konferenz nicht der große Wurf gelungen ist, ist der falsche Weg. Klimaverhandlungen sind ein kontinuierlicher Prozess, der einmal im Jahr in die großen Meetings mündet. Dann kommt mal mehr und mal weniger heraus. Aber man muss auch sagen: Für viele Fragen braucht es die COPs gar nicht mehr.
Für welche Fragen?
Kein Land der Welt muss heute noch auf eine COP warten, die ihm erklärt, was es in Sachen Klimaschutz unternehmen soll. Auch Deutschland nicht. Unsere Aufgabe liegt glasklar auf dem Tisch: Wir müssen unseren Fahrplan zur Emissionsminderung in allen Sektoren einhalten, um bis 2045 klimaneutral zu sein. Wir müssen sehr schnell sehr stark unsere Emissionen reduzieren. Das sollten wir mittlerweile auch ohne Klimakonferenzen begriffen haben. Wir haben genug Informationen, um daraus Entscheidungen ableiten zu können für alle Lebensbereiche: wie wir Strom erzeugen wollen, wie wir künftig produzieren wollen oder wie wir uns fortbewegen wollen.
Sie sind als Wissenschaftlerin selbst mit dafür verantwortlich, die Politik mit Informationen zu versorgen. Wie stark werden die Stimmen aus der Wissenschaft bei Entscheidungsträgern gehört?
Es gibt starke Mechanismen, um die Politik mit den Erkenntnissen der Wissenschaft zu versorgen. Die Berichte des Weltklimarats sind die wichtigste wissenschaftliche Grundlage und sie bringen wesentliche Impulse zur Lösung der Krise ein. Ob seitens der Entscheidungsträger auch auf die Wissenschaft gehört wird, da bin ich skeptischer. Die Konsequenzen, die aus diesen Erkenntnissen gezogen werden, sind nach meiner Meinung deutlich zu schwach.
Das alte Motto der Klimabewegung »Listen to the Scientists« verfängt also nicht?
Wenn ich mit hochrangigen Politikern und Politikerinnen auch in Deutschland zu tun habe, frage ich mich schon des Öfteren, ob sie vom letzten Bericht des Weltklimarates auch nur die Zusammenfassung für die Politik gelesen haben. Ich bin mir relativ sicher, dass die meisten das nicht getan haben oder sie schnell wieder ins Regal gestellt haben. Die darin aufgeführten Fakten spielen leider bei vielen Entscheidungen nicht die Rolle, die sie spielen müssten. Von jemandem, der in dieser Zeit politische Verantwortung trägt, erwarte ich aber schon, dass er oder sie wenigstens diese 35 Seiten gelesen und verstanden hat.
Sie sind international gut vernetzt. Schaut die Welt auf Deutschland beim Klimaschutz?
Es wird durchaus darauf geschaut, ob Deutschland seinem Anspruch gerecht wird, im Klimaschutz weit vorne zu sein. Der gelegentlich kritische Blick ist auch berechtigt, etwa vor dem Hintergrund, dass Deutschland zuletzt seine Unterschrift unter eine wichtige Erklärung der High Ambition Coalition verweigert hat, das ist eine Gruppe von Staaten, die sich für besonders ehrgeizige Klimapolitik starkmacht. In der Erklärung wurde gefordert, möglichst rasch aus der Nutzung aller fossilen Brennstoffe auszusteigen.
Wir beklagen alle, dass es so schwer ist, einen Konsens unter allen Ländern der Erde zu finden. Den kann man aber dadurch vorantreiben, dass einige Staaten vorangehen. Deshalb sollten wir dabei sein. Und im Vergleich zu vielen Ländern haben wir insgesamt noch Spielräume, wie wir mehr Klimaschutz machen könnten. Daraus entsteht auch eine internationale Erwartungshaltung gegenüber Deutschland.
»Von jemandem, der politische Verantwortung trägt, erwarte ich schon, dass er oder sie wenigstens diese 35 Seiten gelesen und verstanden hat«
Die COP28 findet in Dubai statt, bei einem großen Ölproduzenten. Zuletzt gab es Berichte, nach denen das Herrscherhaus die Konferenz auch dazu nutzen wolle, neue Fossil-Deals abzuschließen. Fühlen Sie sich unwohl mit dem Gastgeberland?
Mir ist da schon etwas unwohl. Es ist ein Land mit einer problematischen Menschenrechtssituation, in das ich sonst nie gereist wäre. Auch die Berichte über Absprachen und Deals zu Projekten mit Öl während der Konferenz machen es nicht glaubwürdiger. Aber klar ist auch, dass man bei solchen Veranstaltungen alle an einen Tisch bringen muss, die man für den Klimaschutz braucht – und das sind alle. Ich finde es deshalb nicht grundsätzlich problematisch, dass auch in Ländern wie den Emiraten über Klimaschutz verhandelt wird. Aber es müssen Regeln eingehalten werden, und eine davon ist, dass die Gastgeber nicht ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen dürfen.
Die diesjährige COP bricht wahrscheinlich erneut den Teilnehmerrekord. Es werden 70 000 Menschen erwartet, die allermeisten reisen mit dem Flugzeug an. Fragen Sie sich selbst, ob es das allein aus ökologischen Gründen wert ist?
Natürlich. Ich prüfe für mich persönlich sehr kritisch ab, ob das gerechtfertigt ist, dass ich da hinreise. Auch weil es eine Flugreise beinhaltet. Um Emissionen zu vermeiden, fliege ich seit fast 15 Jahren nicht mehr. Nur die Klima-COP in Scharm el-Scheich war die Ausnahme. Emissionen müssen wir alle reduzieren. Und mit ein paar weniger Menschen vor Ort kann eine Konferenz auch ihren Zweck erfüllen, das ist sicher richtig.
Es geht bei den COPs um das große Ganze, um politische Weichenstellungen. Wie wichtig ist es, dass die Konferenzen selbst einigermaßen ökologisch und klimaneutral veranstaltet werden?
Das gehört zur Glaubwürdigkeit von solchen Veranstaltungen unbedingt dazu. Ich habe gehört, dass in Dubai für jeden Teilnehmer zehn Mangrovensetzlinge gepflanzt werden sollen. Aber diese Setzlinge binden nicht das, was die Reisen an Emissionen ausgelöst haben. Im besten Fall bringt das eine sehr zeitversetzte Wirkung. Gleichzeitig ist es wichtig, den Veranstaltungsort auch zwischen den Kontinenten zu wechseln. Wir stehen vor einem gewissen Dilemma.
Vielleicht ist es ja sogar ein Ansporn für manche, die Klimakosten dadurch zu kompensieren, dass wir inhaltlich möglichst viel erreichen.
Sie bringen diesmal die Sicht des Rates für Nachhaltige Entwicklung in die Regierungsdelegation ein. Sie haben aber auch schon als Wissenschaftlerin und als eine Art Botschafterin für das Ökosystem Moor an vielen COPs teilgenommen. Wie schafft man es, unter zehntausend anderen Aufmerksamkeit für sein Anliegen zu gewinnen?
Neben der Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen, Panels und Meetings mit Delegierten spielt tatsächlich wie bei einer normalen Messe eine wichtige Rolle, gut sichtbar zu sein. Bei der Klimakonferenz in Glasgow hatten wir eine riesige Karte drucken lassen, die die Verbreitung aller Moore auf der Erde zeigt. Jeder konnte sein Land darauf finden und nachsehen. Das kam extrem gut an und war für manches Land ein Augenöffner – auch mit politischen Konsequenzen.
Manchmal braucht man auch Glück. Das hatten wir dort, weil wir für unseren Stand einen Platz am Notausgang zugewiesen bekamen, vor dem die VIP-Limousinen vorfuhren. Für viele Politiker war unsere Karte also der erste Eindruck von der Klimakonferenz. Auch Michelle Obama hat sie interessiert studiert.
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