Klimaangst: »Chronische Unsicherheit muss unsere Psyche erst einmal verarbeiten«
»Spektrum.de«: Menschen sprechen heute viel von Klimaangst oder Klimawut. Sind das mediale Schlagwörter, oder ist die Klimakrise für unsere Psyche eine Bedrohung?
Katharina van Bronswijk: Der Kontext, in dem wir leben, wirkt sich immer auf die Psyche aus. Das wissen wir aus dem biopsychosozialen Modell. Die Klimakrise ist Teil dieses Kontextes, sie hat direkte und indirekte Auswirkungen auf unsere Psyche.
Können Sie das näher erklären?
Zu den direkten Folgen gehören etwa Traumatisierungen nach Extremwetterereignissen, wie wir sie nach einem Tsunami oder nun auch durch die Überflutung des Ahrtals kennen. Finanzielle Nöte, die durch die Überschwemmung entstehen, oder die Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen sind zusätzliche Stressoren, die verarbeitet werden müssen. Daneben hat die Klimakrise körperliche Folgen, und auch diese sind psychisch zusätzlich belastend. Psyche und Körper hängen ja eng zusammen.
Haben Sie ein Beispiel?
Die zunehmende Luftverschmutzung führt beispielsweise zu mehr Atemwegserkrankungen. Diese müssen psychisch bewältigt werden – manchmal auch mit der Unterstützung eines Psychotherapeuten. Hitze scheint uns außerdem aggressiver zu machen. Das zeigen zumindest einige Studien. Denn für den Körper ist die Verarbeitung sehr hoher Temperaturen anstrengend. Dadurch sinkt die Frustrationstoleranz und unsere »Zündschnur« wird kürzer. Zudem schlafen viele Menschen bei Hitze schlechter. Allerdings hebt das UV-Licht der Sonne natürlich die Stimmung. Der Zusammenhang ist komplex. Insgesamt scheint Hitze unsere psychische Gesundheit jedoch eher zu verschlechtern.
Was sind die indirekten Auswirkungen?
Die Klimakrise bringt viele Unsicherheiten: Was passiert, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen und sich die Welt weiter erwärmt? Wie wird unser Planet dann aussehen? So eine chronische Unsicherheit muss unsere Psyche erst einmal verarbeiten. Wie gut sie das schafft, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Ausreichend Forschung gibt es dazu bislang nicht. Was auch daran liegt, dass Gefühle wie Klimaangst oder Klimawut je nach Studie unterschiedlich definiert werden. Das macht Vergleiche schwierig. Eine Befragung innerhalb der EU zeigt jedoch, dass gut 80 Prozent der Menschen sich wegen der klimatischen Veränderungen Sorgen machen – und Sorgen sind ja eine gedankliche Komponente von Angst.
Welche Gefühle treten angesichts der Klimakrise noch auf?
Da die Klimakrise so komplex ist und so viele unterschiedliche Facetten hat, kann sie eigentlich alle Gefühle auslösen. Das reicht von Wut darüber, dass die Politik nicht handelt, über Flugscham oder die Schuld, dass man sich selbst nicht CO2-neutral ernährt, bis hin zur Freude über sein eigenes Engagement oder die Hoffnung, dass die Bewältigung der Klimakrise die Gesellschaft wieder näher zusammenschweißt. Ein sehr spezielles Gefühl ist auch die Solastalgie.
Das ist die Trauer um einem Ort, der einem Trost spendet und durch klimatische Veränderungen verloren geht.
Genau. Der Begriff geht zurück auf den australischen Nachhaltigkeitsforscher Glenn Albrecht. Er veröffentlichte 2007 einen Artikel mit dem Titel »Solastalgia: The Distress Caused by Environmental Change«. Damit verbunden ist die Annahme, dass Veränderungen des Ortes oder der Landschaft, in der wir leben, auch unsere Identität berühren.
Ein Mitglied der Inuit im nördlichen Kanada beschrieb dies einem Wissenschaftler gegenüber mit den Worten: »Wir sind Menschen des Meereises. Wenn es kein Meereis mehr gibt, wie können wir dann Menschen des Meereises sein?«
Etwas Ähnliches erleben wir auch in Deutschland. Denken Sie nur an die Menschen, die im Ruhrgebiet vom Kohleabbau leben. Für manchen ist sein Beruf als »Kohlekumpel« Teil seiner Identität. Schließt RWE immer mehr Betriebe, weil wir uns auf Grund der Klimakrise entschlossen haben, keine Kohle mehr abzubauen, verlieren die Arbeiter und Arbeiterinnen nicht nur ihre Anstellung, sondern mitunter ein Stück ihrer Identität. Die Klimakrise erfordert damit eine doppelte Resilienzleistung von uns.
»Wir müssen uns an die Folgen der Klimakrise anpassen sowie an die Transformation, die unsere Gesellschaft durch sie erlebt«
Was meinen Sie damit?
Wir müssen uns an die Folgen der Klimakrise anpassen sowie an die Transformation, die unsere Gesellschaft durch sie erlebt. Da muss unsere Psyche viel leisten – nicht nur auf individueller, sondern auch auf kollektiver Ebene.
Gefühle wie Klimaangst oder Solastalgie sollten wir also ernst nehmen?
Unsere Emotionen sollten wir immer ernst nehmen. Sie liefern Informationen über unsere Bedürfnisse und geben uns die nötige Handlungsenergie, um uns um diese Bedürfnisse zu kümmern. Wenn wir mit Gefühlen wie Angst, Wut oder Trauer auf eine Krise oder Unsicherheit reagieren, ist das also erst mal gesund. Bei Angst wird uns beispielsweise Flucht nahegelegt, bei Wut die Selbstverteidigung. Auch Trauer ist wichtig. Sie hilft uns, Verluste zu verarbeiten. Ich sage immer: »Trauer ist der Heilungsschmerz der Seele.«
Wann werden solche Gefühle pathologisch?
Ich würde sagen, pathologisch ist nicht das Gefühl an sich, sondern die Art, wie wir damit umgehen. Manche Menschen verarbeiten ihre Gefühle auf der gedanklichen Ebene. Im Extremfall verfangen sie sich dann in Grübelschleifen, machen sich den ganzen Tag Sorgen, können nicht mehr durchschlafen, werden gegebenenfalls depressiv oder entwickeln eine Angststörung. Andere reagieren mit ihrem Körper. Das nennen wir dann Somatisierung. Betroffene haben vielleicht ständig Kopfschmerzen, leiden unter Verspannungen, bekommen Verdauungsprobleme. An dieser Stelle kann Psychotherapie helfen. Wieder andere reden sich die Klimakrise schön – oder leugnen sie sogar.
Wer leidet besonders unter den psychischen Herausforderungen, die die Klimakrise mit sich bringt?
Studien zufolge sind das vor allem die jungen Menschen, also Teenager und Menschen bis Anfang 20. Das ist auch logisch: Der Klimawandel bedroht schließlich ihre Zukunft. Sie sehen die Diskrepanz zwischen dem, was wir eigentlich tun müssen, und dem, was tatsächlich getan wird. Das Gefühlserleben junger Menschen ist außerdem besonders intensiv – vor allem, wenn sie in der Pubertät sind. In dieser Phase lernen sie ja verstärkt, ihre Emotionen zu regulieren und mit ihnen umzugehen.
Zu Ihnen in die Praxis kommen also eher junge Menschen?
In meiner Praxis sehe ich diese Menschen selten – obwohl ich mich auf die Klimakrise spezialisiert habe. Mein Eindruck ist, dass viele Menschen diese Emotionen zwar haben, sie mit ihnen aber ganz gut umgehen. Ich begleite jedoch Engagierte aus der Klimabewegung und sprach letztens eine 15-jährige Aktivistin an. Sie erzählte mir, dass sie jetzt ein Jahr lang jeden Freitag auf die Straße gegangen sei – und das System habe sich immer noch nicht verändert. Es sei alles sinnlos. Diese junge Frau tendierte wirklich in eine depressive Richtung.
Wie konnten Sie ihr helfen?
Wir machten eine Art Realitätscheck. Mit ihren 15 Jahren kannte sie nur die Regierung unter Angela Merkel und weiß nicht, wie lange Politik braucht, um etwas zu verändern. Ich bin hingegen schon seit gut zwölf Jahren in der Klimabewegung aktiv und habe erfahren, wie sehr sich das Bewusstsein in den letzten Jahren geändert hat. Allein dass wir heute kaum noch von Klimawandel, sondern von Klimakrise sprechen, spiegelt das wider. In unserem Gespräch ging es allerdings nicht nur darum, zu reflektieren, was schon erreicht wurde. Es ging auch darum, welche Erwartungen sie an sich selbst hat und ob diese realistisch sind. An dieser Stelle würde ich mir von den Medien auch eine andere Berichterstattung wünschen.
»Lösungen schaffen Handlungsoptionen und können dabei helfen, mit Gefühlen wie Angst oder Frust umzugehen«
Wie meinen Sie das?
Die Informationen, die wir über die Klimakrise erhalten, sind meist negativ. Statt immer nur den Problemfokus zu bemühen und darüber zu berichten, wie schlimm die Krise ist, fände ich es hilfreich, verstärkt mögliche Lösungen zu zeigen. Denn Lösungen schaffen Handlungsoptionen und können dabei helfen, mit Gefühlen wie Angst oder Frust umzugehen. Lese ich hingegen immer nur, wie schlecht alles ist, kann das ein Ohnmachtsgefühl erzeugen. Nicht umsonst riet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Menschen, während der Hochphase der Covid-19-Pandemie ihren Medienkonsum zu beschränken. Begriffe wie Klimaangst und Klimafrust finde ich daher kritisch.
Warum?
Sie klingen so, als hätten Menschen, die unter diesen Gefühlen leiden, ein individuelles Anpassungsproblem – als seien sie einfach zu sensibel. Die Klimakrise wird dadurch zum Problem des Einzelnen, dabei handelt es sich hier um eine kollektive Menschheitsaufgabe. Es ist natürlich gut, wenn wir unser Verhalten ändern und versuchen, so wenig Emissionen wie möglich zu verursachen. Ein CO2-neutrales Leben ist in Deutschland momentan allerdings noch gar nicht möglich. Wer dies versucht, bleibt also immer hinter den eigenen Erwartungen zurück – und ja, das ist frustrierend.
Wie gehen Sie selbst, die sich so intensiv mit der Klimakrise beschäftigt, mit den Gefühlen um, die dadurch entstehen?
Zuallererst akzeptiere ich, dass diese Gefühle da sind, und gebe ihnen Raum, wenn die Situation es gerade zulässt. Wichtig ist mir aber, nicht beim Fühlen stehen zu bleiben, sondern entsprechend den Bedürfnissen, auf die sie mich hinweisen, zu handeln. Ganz konkret gehe ich etwa zu Klimastreiks, gebe Feedback zu Klimaprojekten aus psychologischer Sicht – versuche also an potenziellen Lösungen mitzuarbeiten und Fortschritte auch zu zelebrieren. Manchmal lasse ich die Krise aber auch mal Krise sein und gönne mir eine Auszeit, das ist wichtig.
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