Klimaneutrales Fliegen: Abheben mit Wasserstoff und Biofuel
Das kleine weiße Flugzeug, das am 7. September vom Flughafen Maribor in Slowenien abhob, wirkte schon von außen ungewöhnlich: Die Piloten saßen nicht wie üblich mittig, ihre Kapsel mit den beiden Sitzen war vielmehr weit außen am rechten Flügel angebracht. Das wirklich Besondere versteckte sich aber am linken Flügel. Dort hatten die Ingenieure und Mechaniker von H2Fly, einem Stuttgarter Start-up, einen Tank mit minus 253 Grad Celsius kaltem Flüssigwasserstoff eingebaut und über eine Brennstoffzelle mit einem Elektromotor und dem Propeller verbunden. Insgesamt mehr als drei Stunden lang kreiste das Flugzeug an diesem Tag über der hügeligen Region.
»Mit Wasserstoff sind wir schon oft geflogen, aber jetzt konnten wir zeigen, dass wir über einen längeren Zeitraum hinweg ein Wasserstoffflugzeug mit kryogenem Flüssiggas, Brennstoffzelle und Elektromotor betreiben können«, sagt Josef Kallo. Der Elektroingenieur ist seit 2015 Leiter des Instituts für Energiewandlung und -speicherung an der Universität Ulm, Koordinator einer Forschungsgruppe am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik (DLR) und Geschäftsführer von H2Fly.
»Wir konnten die gesamten Abläufe, die für einen mehr als 1000 Kilometer weiten Flug nötig sind, mit flüssigem Wasserstoff demonstrieren«, sagt Kallo stolz. Besonders wichtig sei dafür die Technologie gewesen, immer nur so viel von dem ultrakalten Treibstoff zu verdampfen, wie zur Stromerzeugung an Bord nötig war. Den Flug über Maribor sieht der Forscher als wichtigen Meilenstein auf dem Weg zum eigentlichen Ziel an – dem klimaneutralen Fliegen. »Wasserstoff ist der effizienteste Treibstoff, den man mit erneuerbaren Energien herstellen kann«, sagt Kallo.
Immer mehr Menschen fliegen
Die Nervosität, ob und wie es gelingt, den Flugverkehr ohne negative Wirkung auf das Klima zu organisieren, ist groß. Die Flugindustrie und alles, was mit ihr zu tun hat, hat für Deutschland eine große wirtschaftliche Bedeutung.
Zwar zeigten die flugfreien Zeiten während der Coronapandemie, dass es für viele Menschen auch ohne geht. Doch der wirtschaftliche Schaden war erheblich. Im vergangenen Jahr verzeichneten die großen deutschen Verkehrsflughäfen schon wieder 155 Millionen Passagiere. Schnell kehrte die alte Popularität bei Urlaubern und Geschäftsreisenden zurück. Lieferketten ganzer Firmen hängen inzwischen von Frachtflügen ab. Allein am Flughafen Frankfurt wurden 2022 knapp zwei Millionen Tonnen Fracht umgeschlagen. Im Mai 2023 meldete das Portal Flightradar24 zwei neue Weltrekorde: Mehr als 22 000 Flugzeuge befanden sich gleichzeitig in der Luft, innerhalb von 24 Stunden fanden weltweit mehr als 253 000 Flüge statt. Alle Prognosen besagen, dass der Flugverkehr in den kommenden Jahren weltweit stark zunehmen wird. Nicht deutsche Urlaubsflieger treiben den Trend, sondern die steil wachsende Nachfrage aus Schwellenländern.
Der Aufwärtstrend kollidiert frontal mit den Klimazielen. Das energieintensive Fliegen gilt als Paradebeispiel für klimaschädliche Praktiken. Global verursacht die Luftfahrtbranche bereits heute rund zwei Prozent der CO2-Emissionen. Die sollen weltweit bis 2050 gegen null gehen – die Zahl der Flüge nimmt aber zu. Der Klimavertrag von Paris schreibt zur Mitte des Jahrhunderts globale »Klimaneutralität« vor, was bedeutet, dass die Menschheit die Erde nicht mehr zusätzlich erwärmt. Deutschland will dieses Ziel sogar schon bis 2045 erreicht haben – auch beim Fliegen.
Aber wie? Die Nationale Luftfahrtkonferenz in Hamburg wird vor allem deutlich machen, wie viel noch zu tun ist und wie viele offene Fragen es gibt.
Bei Autos gelingt der Umstieg auf erneuerbaren Strom hauptsächlich mit Hilfe von Batterien. Die sind angesichts des hohen Energiebedarfs größerer Flugzeuge aber zu schwer. Heute bringt das Erdölprodukt Kerosin fast alle Flugzeuge in die Höhe und an ihre Ziele. Für den fossilen Treibstoff werden nun im Wesentlichen drei Alternativen entwickelt. Sie haben auf unterschiedliche Weise alle mit Wasserstoff zu tun.
Am einfachsten ist synthetisches Kerosin
Wasserstoff soll mit Hilfe von Strom aus erneuerbaren Quellen durch Wasserspaltung produziert werden und dann
- direkt in neuartigen Flugzeugmotoren verbrannt werden,
- wie bei H2Fly über Brennstoffzellen Propeller elektrisch betreiben oder
- in Fabriken mit Kohlenstoff aus Biomasse, Altölen oder Kohlendioxid zu synthetischem Kerosin verarbeitet werden.
Die Option des synthetischen Kerosins gilt als technisch am einfachsten, weil dafür das bewährte Fischer-Tropsch-Verfahren aus der Chemie und bestehende Motoren genutzt werden können. Sie wird deshalb von vielen in Politik und Luftfahrtindustrie bevorzugt und für die am besten machbare Lösung gehalten. Experten wie Josef Kallo warnen aber unter anderem wegen des geringeren Wirkungsgrads vor horrenden Kosten synthetischer Treibstoffe im Vergleich dazu, Wasserstoff direkt zu verbrennen. Wenn als Kohlenstoffquelle Biomasse genutzt wird, könnte das Kerosin außerdem der Nahrungsmittelproduktion Konkurrenz machen.
»Man muss das gesamte System Flugverkehr betrachten«Björn Nagel, Luftfahrtingenieur beim DLR
Am Institut für Systemarchitekturen in der Luftfahrt des DLR in Hamburg untersucht Gründungsdirektor Björn Nagel seit 2017 mit einem großen Team und zahlreichen Partnerinstituten, welche Strategien für klimaneutrales Fliegen die besten sind. Dazu haben sich die DLR-Forscher in den vergangenen Jahren in einem Großprojekt namens »Exakt« deutlich mehr angeschaut als nur Antriebssysteme. »Man muss das gesamte System Flugverkehr betrachten, von der Herstellung der Treibstoffe über die Technik im Flugzeug bis zur Organisation des Fliegens«, sagt Nagel.
Zu den ersten Erkenntnissen des Exakt-Projekts gehörte nämlich, dass man die Hälfte der Klimawirkung des Fliegens mit gegenwärtigen Technologien eliminieren kann. Denn das Kohlendioxid trägt dazu weniger als die Hälfte bei. Der Großteil entsteht dadurch, dass entstehender Wasserdampf zusammen mit Rußpartikeln zu Kondensstreifen führt, die vor allem bei Nachtflügen in großer Höhe sehr stark zum Klimawandel beitragen.
Nicht die eine Standardlösung
»Wenn die Flugzeuge statt in elf Kilometer in nur neun Kilometer Höhe fliegen und ihr Tempo um 10 bis 15 Prozent reduzieren würden, wäre für das Klima schon enorm viel gewonnen«, sagt Nagel – auch dann, wenn nicht mehr Kerosin, sondern der deutlich teurere und auf unbestimmte Zeit sehr knappe Wasserstoff zum Einsatz komme. Einzelnen Fluglinien könne man solche Änderungen aber wegen des großen Wettbewerbsdrucks nicht abverlangen. »Hier bräuchte es möglichst europäische oder am besten globalen Vorgaben für alle Unternehmen, damit keines einen Wettbewerbsnachteil hat«, sagt er.
Nagel nennt als wichtige Erkenntnis aus seiner jahrelangen Forschung zudem, dass es nicht eine einzige technische Standardlösung für klimaneutrales Fliegen geben wird. Vielmehr müssten unterschiedliche Ansätze sinnvoll ergänzt werden. Das Team des Exakt-Projekts hat deshalb verglichen, welche Art der Wasserstoffverwendung für unterschiedliche Flugdistanzen und Weltregionen am besten geeignet wäre. »Das war ein regelrechtes Shootout der Technologien und Konfigurationen«, sagt Nagel.
Zu seiner eigenen Überraschung kam dabei heraus, dass für Kurzstrecken von einigen hundert Kilometern sogar batteriebetriebene Flugzeuge zum Einsatz kommen könnten, obwohl dies oft wegen des Gewichts der Batterien als unmöglich bezeichnet wird. Auf mittleren Entfernungen, wie sie heute etwa der Airbus A320 bedient, hält der Flugzeugexperte eine Kombination aus Direktverbrennung von Wasserstoff und Brennstoffzellen für besonders interessant. »Mit einer starken Brennstoffzelle an Bord könnte man nicht nur die Klimaanlage betreiben, sondern bei Bedarf als Ergänzung zum Beispiel zwei von vier Propellern über Elektromotoren betreiben«, sagt Nagel.
Solche hybriden Antriebskonzepte würden es auch erlauben, den Wasserstoff an Bord effektiv einzusetzen. Das ist deshalb wichtig, weil der Treibstoff mit einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt getankt wird und durch gute Isolation auf dieser Temperatur gehalten werden muss. »Beim Kerosin ist das egal, aber ein mit Flüssigwasserstoff betanktes Flugzeug will man nicht eine Woche auf einem brüllend heißen Rollfeld in Katar stehen lassen«, sagt Nagel. Vielmehr werde es wichtig werden, den Wasserstoff möglichst vollständig einzusetzen oder Flugzeuge möglichst konstant im Einsatz zu halten. »Mit einer Brennstoffzelle an Bord kann man dafür sorgen, dass der Wasserstoff auch wirklich genutzt wird«, sagt Nagel, »und bei einem solchen hybriden Antriebskonzept kann man dann bei der Isolierung des Tanks und damit beim Gewicht sparen.«
Futuristische Designs
Kritikern, die Wasserstoff als Kerosinersatz für ungeeignet halten, weil er pro Energieeinheit ein vierfaches Volumen braucht, hält Nagel Ersparnisse beim Gewicht um den Faktor drei entgegen. »Unseren Berechnungen zufolge gleicht sich das weitgehend aus«, sagt er. Zudem brauche die Herstellung von synthetischem Kerosin 75 Prozent mehr Energie als die von reinem Wasserstoff.
Anhand von zwölf Referenzflughäfen weltweit – darunter Tokio, Frankfurt und Dubai – hat das DLR-Team durchgespielt, wie gut in Zukunft entweder synthetisches Kerosin oder Wasserstoff verfügbar sein dürften. »In Sachen Energieeffizienz hatte der direkte Einsatz von Wasserstoff durchweg einen Vorteil von 30 bis 40 Prozent«, sagt Nagel. Bei den Kosten sei die Rechnung dagegen noch offen. Der Transport von Wasserstoff sei aufwändig, Bauteile könnten spröde werden und Tanks vielleicht während der Betriebszeit eines Flugzeugs ausgetauscht werden müssen. »Das wird ein enges Rennen«, sagt der Forscher.
Zur Nationalen Luftfahrtkonferenz in Hamburg, bei deren Abschlusspanel er mitdiskutiert, nimmt Nagel Entwürfe mit, wie die Flugzeuge der Zukunft aussehen könnten. Darunter befindet sich ein so genannter »Nurflügler«, wie ihn das US-Militär als Teil seiner Klimastrategie in Auftrag gegeben hat, zudem eine Maschine mit zehn Propellern und andere ungewöhnlich wirkende Modelle mit zwei Flügelpaaren. »Politiker und Publikum setzen gerne auf die futuristischen Modelle, ich glaube aber, dass das Flugzeug der Zukunft eher konventionell aussehen wird«, sagt der Wissenschaftler.
Ob beim klimaneutralen Fliegen Wasserstoff direkt verbrannt oder über das so genannte Fischer-Tropsch-Verfahren zu synthetischem Kerosin verarbeitet wird – das entscheidende Nadelöhr wird sein, ob das kleinste Element überhaupt in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht. Derzeit gibt es in Deutschland und auch weltweit nur vergleichsweise winzige Kapazitäten für den riesigen Bedarf. Nicht nur die Luftfahrtbranche braucht, um klimaneutral zu werden, grünen Wasserstoff, auch die Stahl- und Chemieindustrie und der Schwerlastverkehr. Laut Ampelkoalition sollen private Hausbesitzer ebenfalls damit heizen, was eine sichere und bezahlbare Versorgung noch schwieriger macht.
Die Ampelkoalition hat als Ziel ausgegeben, die deutschen Kapazitäten für synthetisches Kerosin von heute nahe null auf 200 000 Tonnen bis 2030 zu steigern. Das werden aber nur zwei Prozent des nationalen Bedarfs für das Fliegen sein. Experten gehen davon aus, dass ein erheblicher Teil des Bedarfs an Wasserstoff und synthetischem Kerosin importiert werden muss.
Es fehlen vor allem Produktionskapazitäten
Umso wichtiger sind die beiden Vorzeigeprojekte, die gerade in Deutschland speziell für die Flugzeugindustrie entstehen. So will die Firma EDL Anlagenbau in einem Industriegebiet in Böhlen südlich von Leipzig bis Ende 2026 eine der weltweit ersten Fabriken für nachhaltigere Flugzeugtreibstoffe namens »HyKero« in Betrieb nehmen. Dort sollen im ersten Schritt 50 000 Tonnen PtL-Kerosin pro Jahr erzeugt werden – hauptsächlich mit Biomasse als Quelle für den benötigten Kohlenstoff.
Das zweite Leuchtturmprojekt befindet sich derzeit in Jülich bereits im Bau. In der Nähe von Forschungseinrichtungen des DLR will die Firma Synhelion im Jahr 2025 eine Solaranlage in Betrieb nehmen, bei der Spiegel die Sonnenstrahlen in einem Turm bündeln. Mit den entstehenden 1500 Grad Celsius Prozesshitze kann Wasserstoff aus Wasser und Kohlenstoff zum Beispiel aus industriellem oder atmosphärischem Kohlendioxid abgespalten und anschließend zum Kohlenwasserstoff Kerosin verbunden werden. Noch sind die Dimensionen bescheiden: Die Anlage in Jülich ist für eine Produktion von einigen tausend Litern pro Jahr ausgelegt. In Spanien ist eine Anlage mit 1250 Tonnen Kapazität in Vorbereitung. Bereits 2030 will Synhelion mehrere hunderttausend Tonnen produzieren.
Doch wird der Sprung von kleinen Demonstrationsflugzeugen wie dem von H2Fly zu den Passagiermaschinen der Zukunft gelingen? Und gleichzeitig ebenfalls die Skalierung von ersten Anlagen wie in Böhlen und Jülich auf eine großindustrielle Erzeugung von grünem Wasserstoff und synthetischem Kerosin? Experten und Firmenchefs fahren mit verhaltenem Optimismus zur Nationalen Luftfahrtkonferenz nach Hamburg. Sie erkennen die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung an, sehen aber einen erheblichen Bedarf an weiteren Maßnahmen, um alternative Antriebe und Treibstoffe einsatz- und wettbewerbsfähig zu machen. Nötig seien vor allem einheitliche Regeln dafür, dass neue Treibstoffe verlässlich billiger würden als fossile und auch nachgefragt werden.
Fortschritte gibt es aber durchaus. Nach dem erfolgreichen Testflug von Maribor nimmt H2Fly-Chef Josef Kallo das nächste große Ziel ins Visier: Die Zeit sei reif, um nun eine wasserstoffgetriebene Passagiermaschine zu bauen. Partner dafür ist der Flugzeughersteller Deutsche Aircraft. »Bis 2026 wollen wir die Technologie in einer 40-sitzigen Dornier 328 mit Flüssigwasserstoff demonstrieren«, sagt er.
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