Klimaschutz: Ausgaben der EU für emissionsarme Technologien müssen steigen
Wenn die Europäische Union die Treibhausgasemissionen bis 2050 wie geplant auf netto null bringen will, muss sie nach einer neuen Studie sofort massiv in emissionsarme Technologien und Infrastruktur investieren. Nötig seien dafür bis 2025 pro Jahr mindestens 302 Milliarden Euro, schreiben Lena Klaaßen und Bjarne Steffen von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich im Fachjournal »Nature Climate Change«. Das sind rund 87 Milliarden Euro, beziehungsweise 40 Prozent mehr, als von 2016 bis 2020 pro Jahr investiert worden ist. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt der EU-Staaten lag der Anteil der Investitionen in die betrachtete Infrastruktur im vergangenen Jahrzehnt zwischen 1,3 und 1,5 Prozent und müsste im laufenden Jahrzehnt voraussichtlich auf 1,5 bis 1,8 Prozent steigen. Nicht berücksichtigt sind dabei Kosten, die zusätzlich anfallen, um etwa den Gebäudesektor, Fahrzeuge und Industrieanlagen klimafreundlicher zu machen.
Der größte Investitionssprung sei bis 2025 nötig, um das richtige Tempo für das Erreichen des Ziels vorzugeben, sagt Ökonomin Lena Klaaßen: »Die wichtigsten Investitionsbereiche für kohlenstoffarme Infrastrukturen in Europa sind erneuerbare Kraftwerke, Stromnetze und Eisenbahninfrastrukturen.« Das werde durch die Bestrebungen, von russischen Gasimporten unabhängig zu werden, sogar noch verstärkt.
Die EU verspricht im Rahmen ihrer nationalen Selbstverpflichtung, auf die sich die Mitgliedsländer im Anschluss an den Pariser Klimavertrag geeinigt haben, bis 2030 eine Minderung der klimarelevanten Emissionen von 55 Prozent gegenüber 1990. Bis 2050 soll das Netto-null-Ziel erreicht sein. Netto null bedeutet, dass die klimaschädlichen Emissionen so weit wie möglich zurückgefahren und unvermeidbare Emissionen aus der Atmosphäre entfernt werden, etwa indem Bäume gepflanzt werden, die Kohlenstoffdioxid aufnehmen können, oder mit Hilfe von unterirdischen Speichermethoden.
Die Finanzierung solcher Maßnahmen sei definitiv möglich, sagte Felix Creutzig vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change dem Science Media Center (SMC). »Wenn es 200 Milliarden Euro für eine Gas- und Strompreisbremse gibt – zu großem Teil eine Subvention für fossile Treibstoffe – dann kann es auch 87 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr für Zukunftsinvestitionen geben.« Statt mehrere Milliarden Euro jährlich in den Neubau von Fernstraßen und Autobahnen zu stecken, könne das Geld in den Schienen- und Fahrradverkehr investiert werden. Er fordert unter anderem eine orts- und zeitabhängige Pkw-Maut.
Mehr Investitionen bedeuteten jedoch höhere Preise für Verbraucher, sagte Michael Pahle vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Politik müsse »klar kommunizieren, dass die Transformation teuer wird – auch wenn das politisch natürlich eine bittere Pille ist«. Statt einer Prämie für Elektrofahrzeuge sei es effizienter, Verbrenner-Autos durch einen höheren CO2-Preis teurer zu machen. Das mache E-Autos finanziell attraktiver und koste den Staat nichts.
Martin Weibelzahl vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik in Bayreuth sagte dem SMC, die Studie unterstreiche erneut, dass der Klimawandel nicht auf uns warte. »Wir müssen unsere Infrastruktur schnell und zukunftsgerichtet umbauen. Nur so schaffen wir das notwendige Fundament einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft.« Er warnte aber auch davor, den nötigen Ausbau der erneuerbaren Energien zu unbedacht voranzutreiben. »Da diese im Gegensatz zu konventionellen Kraftwerken eine verstärkte Wetterabhängigkeit mit sich bringen, braucht es bei einem Umbau unserer Infrastruktur besonders auch Investitionen in Flexibilität«, sagte er. »Wir riskieren sonst unsere Versorgungssicherheit – und damit unsere Wettbewerbsfähigkeit sowie letztlich unseren Wohlstand.«
Bei der Studie handelt es sich um eine Metaanalyse. Das ETH-Team hat dafür 56 Studien herangezogen, darunter 18 akademische, die nach üblichen Peer-Review-Verfahren von unabhängigen Gutachtern geprüft worden sind, 15 von Regierungen oder internationalen Organisationen wie der EU-Kommission und 23 aus der Industrie. (dpa/kmh)
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