Klimawandel: Das große Schmelzen
Das Jahr 2023 war für das antarktische Meereis kein gutes: Selbst mitten im Winter der Südhalbkugel froren große Teile des Südpolarmeers nicht zu; insgesamt lag die durchschnittliche Eisbedeckung deutlich unter dem langjährigen Mittel. Neben dem vergleichsweise dünnen Meereis geht es auch den mächtigen Paketen des Schelfeises an den Rändern der Antarktis schlechter. 40 Prozent dieser Gebiete verloren in den Jahren zwischen 1997 und 2021 mächtig an Volumen, wie eine Analyse von Benjamin Davison von der University of Leeds und seinem Team in »Science Advances« zeigt.
Laut den Daten der Arbeitsgruppe waren 71 von 162 Schelfeisgebieten vom Schwund betroffen, wodurch netto insgesamt 7,5 Billionen Tonnen Eis verschwanden und als Schmelzwasser ins Meer gelangten. Der Verlust fand fast ausschließlich auf der Westseite der Antarktis statt, während das Schelfeis auf der Ostseite teilweise sogar noch zulegen konnte. Einem Export von 67 Billionen Tonnen Eis in den Ozean stand eine Zufuhr von 59 Billionen Tonnen gegenüber, was insgesamt zu einer negativen Bilanz führte.
Das hängt eng mit den ozeanischen Bedingungen rund um den Kontinent zusammen. »Die westliche Seite ist relativ warmen Bedingungen ausgesetzt, während der östliche Teil durch ein Kaltwasserband vor der Küste abgeschirmt ist«, sagt Benjamin Davison. Meeresströmungen und vorherrschende Winde drücken demnach warmes Wasser unter das Schelfeis der Westantarktis, wo es von unten her das Paket angreift und schmilzt. Im Extremfall zerfällt das Schelfeis auch, wie es in den letzten Jahren mehrfach passiert ist.
»Wir sind davon ausgegangen, dass die meisten Eisschelfe der Antarktis Zyklen mit schnellem, aber kurzlebigem Schrumpfen durchlaufen und danach langsam wieder wachsen. Stattdessen sehen wir nun, dass fast die Hälfte davon schrumpft, während es keine Anzeichen einer Erholung gibt«, so Davison, der die Erderwärmung dafür verantwortlich macht.
Eisschelfe bilden mächtige Eispakete, die auf dem Meer rund um den Südkontinent aufschwimmen: Sie bilden quasi das ozeanseitige Ende der antarktischen Eisschilde und wirken wie eine Barriere, welche die landeinwärts liegenden Gletscher in ihrem Fluss bremsen oder blockieren. Wenn die Schelfeise dünner werden oder sich verkleinern, werden diese Pfropfen schwächer. Die Gletscher können schneller in die See strömen und dort zerfallen, was (im Gegensatz zur Schelfeisschmelze) deutlich zum Meeresspiegelanstieg beiträgt.
Einige der größten Verluste beobachtete die Arbeitsgruppe auf dem Getz-Schelfeis, wo im 25-jährigen Untersuchungszeitraum 1,9 Billionen Tonnen Eis verloren gingen. Nur fünf Prozent davon ließen sich auf das Kalben zurückführen, bei dem sich große Eisbrocken vom Schelf lösen und ins Meer stürzen. Der Rest ging auf das Konto von Schmelze an der Basis. Das Pine-Island-Schelfeis reduzierte sich um 1,3 Billionen Tonnen Eis. Hier trug das Kalben immerhin zu einem Drittel bei. Im Gegensatz dazu gewann das Amery-Schelfeis auf der östlichen Seite der Antarktis 1,2 Billionen Tonnen Eis dazu. Es ist von deutlich kälterem Wasser umgeben.
Wasser, das von den Eisschelfen und Gletschern in den Ozean gelangt, ist Süßwasser. Zwischen 1997 und 2021 sind mindestens 67 Billionen Tonnen Süßwasser ins Südpolarmeer gelangt, schätzen die Forscher, was Folgen für die Zirkulation haben könnte: Im Südpolarmeer sinkt dichtes Salzwasser als Teil des globalen Meeresströmungen in die Tiefsee, was als einer der Motoren dieses Förderbandes gilt. Durch das Aussüßen wird das Meerwasser leichter und weniger salzhaltig, wodurch das Absinken länger dauert. Auf Dauer dürfte dies den Motor und damit den Transport von kaltem Tiefenwasser schwächen. Erste Anzeichen dafür zeigen sich bereits, wie eine Studie ergab.
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