Klimawandel: Die Weltmeere haben Fieber
Es begann um das Jahr 2011, als die Wellen mehr und mehr tote Fische an die Strände Westaustraliens spülten. Die Ursache war bald ausgemacht: Schuld war ein gigantischer Schwall ungewöhnlich warmen Wassers, der die Kelpwälder verwüstete und zahlreiche Meeresbewohner tötete; darunter auch wirtschaftlich bedeutende wie Seeohren- und Jakobsmuscheln oder Hummer. In den Wochen danach standen einige der lukrativsten Fischereibetriebe Westaustraliens vor dem Abgrund; einige haben sich bis heute nicht erholt.
Nach der Krise sammelten sich Wissenschaftler zur Schadensbewertung und um zu verstehen, was die ungewöhnliche Erwärmung verursacht hatte. »Das Ereignis hatte eindeutig verheerende Folgen für die marinen Ökosysteme«, sagt Jessica Benthuysen, die als Ozeanografin am Australian Institute of Marine Science in Perth arbeitet.
Seitdem haben Forscher weltweit Dutzende von ähnlichen Ereignissen in verschiedenen Ozeanen beobachtet. Das Phänomen hat nun einen Namen: marine Hitzewellen. Nicht alle Wissenschaftler benutzen dieselbe Definition, im Allgemeinen sind sie sich aber darüber einig, dass es sich hierbei um eine temporäre Erwärmungsphase des Oberflächenwassers im Ozean handelt, die mindestens fünf Tage andauert und eine Temperaturschwelle weit jenseits des Üblichen überschreitet.
Die Hitzewellen im Meer können Folgen für die marine Nahrungskette haben, sagt die Marineökologin Pippa Moore von der Newcastle University in Großbritannien. So hat die als »The Blob« bekannte Welle von 2013 bis 2016 mit ihrem warmen, nährstoffarmen Wasser das Wachstum des Phytoplanktons im nordwestlichen Pazifik gestoppt, was dann die Populationen des Chinook-Lachses (Oncorhynchus tshawytscha) einbrechen ließ. Im Golf von Alaska starben bis zu eine Million Seevögel. Andere marine Hitzewellen haben in den letzten Jahrzehnten massive Korallenbleichen in Riffen ausgelöst.
Marine Hitzewellen haben mit den Hitzewellen in der Atmosphäre etwas gemein: Angetrieben durch den Klimawandel werden sie schlimmer, treten häufiger auf, dauern länger und erreichen höhere Temperaturen. Gute Gründe, mit Hilfe von Ursachenforschung zu lernen, wie man sie vorhersagen kann.
Eine verlässliche Hitzewellenvorhersage steckt derzeit allerdings noch in den Kinderschuhen. Sie würde dem Fischereimanagement zugutekommen und Unsicherheiten abfedern: Soll die Fangmenge begrenzt werden, müssen vielleicht einige Gebiete ganz für die Fischerei gesperrt werden? Die Wissenschaftler hoffen darauf, dass die Öffentlichkeitswirksamkeit des Phänomens für neue Beobachtungsdaten und immer bessere Modelle sorgt, damit sie in den kommenden Jahren genauere Prognosen treffen können. Das wäre schon ökonomisch enorm wertvoll: Immerhin liefert der Ozean Nahrungsmittel und Ressourcen im Wert von Hunderten von Milliarden Dollar, der durch die marinen Hitzewellen bedroht wird. »Wir müssen wirklich ein Verständnis dafür entwickeln, wann und wo diese Ereignisse auftreten werden«, sagt Hillary Scannell, Ozeanografin von der Columbia University. So könne man dann besser planvoll gegen neu heranrollende marine Hitzewellen vorgehen.
Hochdrucksituation
Der Sommer 2013/14 war hart in Brasilien: Eine schwere Dürre verwüstete die Ernten und sorgte für Wasserknappheit in São Paulo. Gleichzeitig heizte sich der Ozean auf und die Chlorophyllkonzentration – ein Maß für die biologische Produktivität – sank drastisch. Die Ozeanografin Regina Rodrigues von der Staatlichen Universität von Santa Catarina in Brasilien analysierte die Daten und erkannte, dass die Dürre und die Erwärmung des Ozeans eine gemeinsame Ursache hatten: ein atmosphärisches Hochdrucksystem, das den Großteil des Sommers über dem südöstlichen Teil des Landes gelegen hatte.
Diese Art von lange stabilen Hochdrucksystemen hängt mit dem Phänomen der »atmosphärischen Blockierung« zusammen, der häufigsten Ursache für Hitzewellen im Meer und über Land. Atmosphärische Blockierung führt zu einer spärlichen Wolkendecke und relativ ruhigen Winden. Weil die Wolken fehlen, kann mehr Sonnenstrahlung den Ozean erreichen und ihn erwärmen; gleichzeitig hemmt die ruhige Luft die Durchmischung und Verdunstung. All diese Faktoren können zu einem Wärmestau in den oberen Schichten des Ozeans führen. Und das kann die Windmuster in einer Weise verändern, die die Erwärmung intensiviert oder verlängert.
In ihrer 2019 veröffentlichten Studie fand Rodrigues mit ihrem Team heraus, dass »The Blob« von 2013/14 – genauso wie etwa 60 Prozent der marinen Hitzewellenereignisse im südwestlichen Teil des Atlantiks – eine Folge von Hochdrucksystemen war, die irgendwo über dem Indischen Ozean in Tausenden von Kilometern Entfernung ihren Ursprung hatten. Diese Systeme bewegten sich dann durch die Atmosphäre in Richtung Südamerika. Es ist allerdings schwer, dies in einem Modell wirklich sicher nachzuvollziehen, weil das komplexe Geschehen einer atmosphärischen Blockade von vielen Faktoren abhängt: »So viele Aspekte des Klimasystems spielen hier hinein – wirklich kompliziert, das richtig hinzubekommen«, sagt Rodrigues.
Scheinbar nicht miteinander zusammenhängende, weil weit voneinander entfernte Regionen sind durch »Telekonnektionen« miteinander verbunden, erklärt Rodrigues und veranschaulicht das mit den Wellen, die sich nach außen ausbreiten, nachdem man einen Stein in die Mitte eines Sees geworfen hat. In ihrer Studie beschreibt sie den typischen Beginn des Prozesses: Luft erwärmt sich über der Erdoberfläche, steigt auf und bewirkt dann Konvektion über dem Indischen Ozean. Dadurch werden Turbulenzen in der Atmosphäre angestoßen und atmosphärische Wellen verursacht, die Südamerika erreichen und dort zu einer marinen Hitzewelle führen können.
Das vernetzte Klimageschehen macht Vorhersagen schwer: Anstatt nur eine bestimmte begrenzte Region im Ozean zu modellieren, müssen die Forscher global ablaufende Prozesse berücksichtigen. Es sei ein mühsames Unterfangen, die beim Entstehen einer marinen Hitzewelle beteiligten Prozesse aufzudröseln, sagt Robert Schlegel, Datenwissenschaftler von der Sorbonne Université in Frankreich. Wie einige andere Forscher bemüht sich auch Schlegel mit seinem Team, die Hauptursachen mit statistischen Methoden und maschinellem Lernen besser einschätzen zu können.
Tiefe Treiber
Gelegentlich findet sich die Ursache einer marinen Hitzewelle auch im Ozean selbst. So etwa bei einem Ereignis vor Westaustralien: Hier wurde der südwärts fließende Leeuwin-Strom stärker und förderte dann größere Mengen an warmem Wasser aus dem Indischen Ozean heran als üblich. Das sorgte für eine monatelange marine Hitzewelle an Hunderten von Kilometern Küste.
Ähnlich lief es 2015 und 2016 in der Tasmanischen See zwischen Australien und Neuseeland ab, was dort für eine rekordverdächtig lange und starke Hitzewelle sorgte. Eine Veröffentlichung von 2017 führt dieses Ereignis auf eine Verstärkung des ostaustralischen Stroms zurück, der warmes Tropenwasser an die Küsten transportiert. Solche ozeanisch getriebenen Ereignisse wirken in deutlich größeren Tiefen der Meere als die Treiber aus der Atmosphäre, sagt der Koautor der Studie, Neil Holbrook, Ozean- und Klimawissenschaftler an der australischen University of Tasmania.
Diese in der Tiefe ablaufenden Ereignisse stellen Klimaforscher vor ganz neue Herausforderungen. Denn fast alles, was man über marine Hitzewellen weiß, schlossen Forscher bislang aus den Vorgängen an der Meeresoberfläche, wo sie mit Hilfe von Satelliten die Temperatur kartieren und die Ereignisse nahezu in Echtzeit verfolgen können. Unter der Oberfläche befindet sich allerdings eine Welt mit komplexen Strömungen. »Wir können die Hitzewelle an der Oberfläche sehen und definieren«, sagt die Ozeanografin Sofia Darmaraki von der Dalhousie University in Halifax, Kanada. »Nur ist die Oberfläche bloß die Spitze des Eisbergs einer marinen Hitzewelle.«
Die Bedingungen weiter unten werden eher spärlich von Beobachtungsnetzwerken erfasst. Dazu gehören Schwimmer und Bojen, die aus einigen Regionen Daten liefern, in anderen aber völlig fehlen. So bleibt es eine der größten ungeklärten Fragen zu marinen Hitzewellen, wie die Wärmeanomalien unter der Oberfläche entstehen, andauern und sich entwickeln.
Benthuysen und andere Forscher in Australien versuchen, einige Wissenslücken durch eine »ereignisbasierte Probenahme« zu schließen. Dazu können das Integrated Marine Observing System (IMOS) des Landes und seine Partner auf eine Flotte von in Bereitschaft stehenden Ozeangleitern zurückgreifen. Diese ferngesteuerten Unterwasserinstrumente lässt das IMOS-Team schnell zu Wasser, sobald sich eine Hitzewelle auf dem Meer entwickelt – die Gleiter sammeln dann wichtige Daten über Temperatur und Salzgehalt.
»Wir können die marine Hitzewelle an der Oberfläche sehen und definieren. Nur ist das bloß die Spitze des Eisbergs«Sofia Darmaraki, Ozeanografin
Ein Test fand Anfang dieses Jahres statt, als sich die Gewässer vor Westaustralien wieder zu erwärmen begannen. Die Forscher verfolgten die Entwicklung der dort stärksten Hitzewelle seit dem verheerenden Ereignis vor einem Jahrzehnt mit einem Gleiter, der mehr als 500 Kilometer weit schwamm. Dabei sammelte er Daten über die abkühlende Wirkung eines tropischen Wirbelsturms, der Anfang Februar durch die Gewässer zog. Im März und April setzte das Team zwei weitere Gleiter vor der Küste Tasmaniens aus, um das Ausmaß einer anhaltenden Hitzewelle in der Tasmanischen See zu erfassen. Die Daten dieser beiden Gleiter zeigen, dass die Temperaturanomalien unten im Ozean stärker ausfallen als weiter oben.
Begrenzte Vorhersagen
Trotz der Fortschritte: Die globalen Prognosen sind derzeit nicht gut genug, um die Extreme sehr weit im Voraus vorherzusagen, sagt Alex Sen Gupta, Klimawissenschaftler und Ozeanograf an der University of New South Wales in Sydney. »Die Wissenschaft der Ozeanvorhersage hinkt der Wettervorhersage ziemlich hinterher.«
Zwar seien einige Modelle vielleicht in der Lage, ein einzelnes Ereignis ein paar Tage oder eine Woche im Voraus vorherzusagen, sagt Sen Gupta. Darüber hinaus aber erschwert es die chaotische Natur des Klimasystems, einzelne Ereignisse zu prognostizieren. Und für viele Beteiligte sind die aktuellen Modelle nicht ausgereift genug oder nicht fein genug skaliert, um die Art von politischen Entscheidungen zu treffen, die sie treffen müssen, um sich auf eine mögliche Hitzewelle vorzubereiten.
Anschaulich macht das Jahson Alemu I., Meeresökologe an der National University of Singapore und Direktor der Nichtregierungsorganisation SpeSeas: Die heutigen Vorhersagemodelle lassen Prognosen für Bereiche zu, die nicht viel kleiner sind als die Insel Tobago. Das macht es schwer, Entscheidungen zu treffen und der Öffentlichkeit die Risiken zu vermitteln, sagt Alemu I.
»Die Wissenschaft der Ozeanvorhersage hinkt der Wettervorhersage ziemlich hinterher«Alex Sen Gupta, Klimawissenschaftler und Ozeanograf
Derzeit stützt die Forschung sich auf Modelle, die vergangene Muster statistisch auswerten, um die Wahrscheinlichkeit einer Hitzewelle in einem bestimmten Zeitraum abzuschätzen. Dies ist eine Übergangslösung, bis die dynamischen Modelle für Prognosen ausgereift genug sind. »Statistische Methoden verlassen sich auf sich wiederholende Muster, die man zuvor beobachtet hat«, sagt Alistair Hobday, Meereswissenschaftler bei der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO) in Hobart, Australien. In einer Welt mit einem sich schnell verändernden Klima werden solche Modelle versagen, sagt er.
Hobday leitet am CSIRO ein Projekt zur Vorhersage mariner Hitzewellen. Im Dezember 2020 veröffentlichte die Gruppe erste mit maschinellem Lernen erstellte Prognosen, in die sowohl historische Daten als auch Modelle der Meeresoberflächentemperaturen und der im oberen Ozean gespeicherten Wärmemenge einflossen. Die Vorhersage warnte vor einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass sich vor der Küste Westaustraliens zwischen Januar und April eine marine Hitzewelle entwickeln würde. Und tatsächlich stiegen die Temperaturen vor der Küste zu Beginn des Jahres auf ungewöhnliche Höchstwerte.
Die Vorhersage für diese Saison war eine Art Proof of Concept, sagt Hobday – das Team wählte absichtlich eine große Region und einen langen Zeitraum, in dem eine Hitzewelle zu erwarten war. Für das nächste Jahr plant sein Team nun eine dynamische regionale Vorhersage, die einen feineren Einblick in die Risiken einer Hitzewelle im Meer geben wird.
Verschlimmerung der Zukunft
In einer Sache sind Klimaforscher sich in puncto marine Hitzewellen recht sicher: Der Klimawandel wird sie intensivieren und verschlimmern. Die Menschheit wird weiter Treibhausgase in die Atmosphäre pumpen, und Klimamodelle sagen voraus, dass die global steigenden Temperaturen jeden Aspekt mariner Hitzewellen drastischer werden lassen. Sie dürften häufiger werden, sagt Holbrook, und generell einfach schlimmer.
Zum Teil geschieht dies schon. Zwischen 1925 und 2016 stieg die Anzahl der jährlichen Hitzewellentage rund um den Globus um mehr als 50 Prozent. Und seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen im Jahr 1982 haben die Hitzewellen auf fast zwei Dritteln der Ozeanfläche an Intensität zugenommen. Diese Trends dürften sich nach Prognosen der Forschung fortsetzen: Studien haben gezeigt, dass selbst bei moderaten Klimaerwärmungsszenarien marine Hitzewellen in den kommenden Jahren häufiger werden und länger andauern.
Die Klimakrise hat die marinen Hitzewellen aber auch schon in den vergangenen Jahrzehnten verschlimmert. Eine Studie aus dem Jahr 2020 hat die sieben stärksten marinen Hitzewellen seit 1981 untersucht und offenbarte, dass sie bis auf eine Ausnahme sämtlich zumindest zum Teil auch auf die vom Menschen verursachte Erwärmung zurückzuführen sind. Die Forscher kommen zu diesem Schluss, nachdem sie Klimamodell-Simulationen mit vorindustriellen Kohlendioxid-Konzentrationen in der Atmosphäre und Modellläufe mit den heutigen Konzentrationen verglichen haben.
Die Ergebnisse zeigten, dass einige der Ereignisse so stark waren, dass sie vollständig auf den anthropogenen Klimawandel zurückzuführen sind, sagt Charlotte Laufkötter, Klimaforscherin an der Universität Bern in der Schweiz, die diese Arbeit leitete. »In vorindustrieller Zeit hätten sie nicht auftreten können.« Und irgendwann im nächsten Jahrhundert, so prognostizieren die Wissenschaftler, werden sich große Teile des Ozeans über die Temperaturschwelle hinaus erwärmt haben, die diese Ereignisse definiert – und damit viele Teile der Welt in einen Zustand permanenter mariner Hitzewellen stürzen. »Wenn wir eine derart starke Erwärmung haben«, sagt Laufkötter, »ist das kein extremes Ereignis mehr. Das ist dann immer da.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.