Klimawandel: Erwärmung trifft Europas Skigebiete hart
Etwa der Hälfte der Skigebiete in Europa wird es bei einer globalen Erwärmung von zwei Grad Celsius an Schnee mangeln. Das zeigt eine umfassende Analyse von 2234 Skigebieten in 28 europäischen Ländern. Das französisch-österreichische Team um die Ingenieurin Raphaëlle Samacoïts und den Agrar- und Umweltwissenschaftler Hugues François von der südfranzösischen Universität Grenoble hat außerdem untersucht, wie gut sich mit künstlicher Beschneiung gegensteuern ließe.
Wintertourismus ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für viele Regionen in Europa. Oft ist die gesamte Infrastruktur darauf ausgerichtet. Klar ist: Mit dem Klimawandel kommt es immer öfter zu Schneemangel. Künstliche Beschneiung kann Abhilfe schaffen, die Herstellung benötigt aber große Mengen an Energie und Wasser und ist aus Naturschutzsicht umstritten. Der Aufwand wird sich für immer weniger Pisten lohnen – aber wer ist besonders betroffen? Modellierungen für die Zukunft haben bisher keinen konsistenten gesamteuropäischen Überblick geliefert, so dass Vergleiche zwischen einzelnen Regionen schwierig waren. Genau so eine Analyse liefert nun die Forschungsgruppe mit ihrer Publikation im Fachjournal »Nature Climate Change«. Damit lässt sich besser beurteilen, wo sich welche Maßnahmen lohnen, wenn man die Skibetriebe erhalten will.
Die Fachleute betrachteten bei ihrer Analyse mehrere Szenarien, darunter eine weltweite Erwärmung von zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau sowie eine von vier Grad. Unter optimistischen Annahmen steuert die Welt auf ersteren Wert zu, und selbst dramatischere Entwicklungen von vier Grad oder sogar mehr verdienen Aufmerksamkeit. Auch den Aspekt der künstlichen Beschneiung mit Schneekanonen und anderen technischen Maßnahmen bezog das Team ein. Die Berechnungen zeigen, wie groß der Aufwand dafür mancherorts wäre und welche Folgen er hätte.
François und Samacoïts kombinierten in ihren Simulationen verschiedene Daten und Modelle. So ergänzten sie einen »Mountain Tourism Meteorology and Snow Indicators« genannten überregionalen Datensatz mit genauen geografischen Informationen zu 2234 einzelnen Skiorten, um für diese individuelle Risikoabschätzungen zu treffen. Die Analyse ist dabei außerordentlich detailliert und bezieht sogar Karten der frei nutzbaren OpenSkiMap ein, um aus der Lage einzelner Skilifte die genauen hydrologischen Bedingungen der Pisten zu errechnen.
Wenn selbst Schneekanonen wirkungslos sind
Das Ergebnis: Je nach Szenario liegt in 53 (bei zwei Grad) beziehungsweise 98 Prozent (bei vier Grad) von Europas Skigebieten in Zukunft nicht mehr genügend natürlicher Schnee für den Wintersport. Dabei galt eine Schneedecke von 20 Zentimetern als ausreichend dick. Das Team ermittelte für jedes Skigebiet, an wie vielen Tagen im wichtigsten Teil der Saison zwischen Dezember und Februar solche Bedingungen erfüllt sind. Das lieferte einen Schneesicherheits-Index, anhand dessen sich die Entwicklungen in unterschiedlichen Regionen erkennen lassen. Um solche Trends abzulesen, blickte das Team einerseits in die Vergangenheit zwischen den Jahren 1961 und 1990 sowie zwischen 1991 und 2015 und andererseits in die mögliche Zukunft entsprechend den verschiedenen Szenarien der globalen Erwärmung.
Auf Grund der heterogenen lokalen Klimabedingungen und topografischen Lagen der Skiorte gibt es große Unterschiede bei den Trends für die einzelnen Regionen. Ebenso variiert das Ausmaß, in dem künstliche Beschneiung den teils dramatischen Folgen entgegenwirken und noch Wintersport ermöglichen könnte. In der Gesamtschau wird deutlich, dass technisch herbeigeschaffter Schnee kein Allheilmittel ist. Selbst wenn man die Hälfte der Fläche eines Skigebiets damit bedeckt, wäre trotzdem noch bei 27 Prozent (bei einer Erwärmung von zwei Grad) beziehungsweise 71 Prozent (bei vier Grad) der Wintersportorte das Risiko eines Schneemangels in der Saison sehr hoch.
Unterdessen steigen die für eine solche Beschneiung nötigen Energie- und Wassermengen – abhängig von der globalen Erwärmung und den lokalen Gegebenheiten um jeweils grob 20 Prozent. Für die entsprechenden Abschätzungen dienten in der Studie die zwölf Länder, in denen sich 95 Prozent der Fläche aller europäischen Skiorte befinden. Allein für die technische Beschneiung kommt die Forschungsgruppe auf mehr als 300 Gigawattstunden jährlich. Legt man die Besuchszahlen von 2019 zu Grunde, entfielen auf jeden Skitouristen rein rechnerisch knapp zwei Kilowattstunden. Allerdings macht der Energiebedarf eines Skiorts nur einen sehr kleinen Teil von dessen ökologischem Fußabdruck aus. Weitaus mehr Klimawirkung entfalten die Menschen durch ihre massenhafte An- und Abreisetätigkeit. Beides ist eng miteinander verknüpft, wie die Forschungsgruppe schreibt: »Wintersport ist oft der Haupttreiber für touristische Besuche.« Die Branche sei deswegen für die Gesamtemissionen mit verantwortlich, selbst wenn der Betrieb vor Ort nur wenig davon verursache.
Immergrüne Mittelgebirge
Die Stärke der Studie liegt nicht nur in dem von ihr gezeichneten Gesamtbild, sondern gerade in der differenzierten regionalen Betrachtung. So zeigt sie, in welchen weniger hoch gelegenen Gebieten Beschneiung mitunter sinnlos wird, weil die Temperaturen dort ohnehin so stark steigen, dass sich eine Schneedecke nicht zuverlässig hält. In den deutschen Alpen wurden beispielsweise 91 Skigebiete modelliert. In einer um zwei Grad wärmeren Welt wird bei mehr als der Hälfte von ihnen das Risiko für natürlichen Schneemangel zu hoch, eine um vier Grad wärmere Welt verschont kein einziges. Mit Beschneiung fallen immerhin lediglich 21 beziehungsweise 78 Orte für den Wintersport aus. Bei deutschen Mittelgebirgen wie dem Schwarzwald oder der Rhön helfen nicht einmal Schneekanonen. Hier bleibt in einer Zwei-Grad-Welt kaum ein Zehntel der Skigebiete und bei vier Grad gar keines mehr übrig – selbst für technisch erzeugten Schnee ist es dann zu warm.
In höher oder weiter nördlich gelegenen Regionen kann künstlich hergestellter Schnee aber selbst in einer dramatisch wärmeren Welt den entscheidenden Unterschied machen. In den französischen Alpen werden bei einer Vier-Grad-Erwärmung zwar ebenfalls 100 Prozent der modellierten Skigebiete ausfallen, mit Maschinenunterstützung aber nur knapp die Hälfte.
Die Frage, wie sich der Wintersport an sich verändern wird, untersucht die Studie nicht. Werden skibegeisterte Deutsche, die bislang in nahe gelegene Gebirge gereist sind, in Zukunft schneesichere Gipfel in Frankreich stürmen oder sogar nach Norwegen fliegen – was die CO2-Bilanz noch weiter verschlechtern würde? Oder wird sich der Tourismus insgesamt verändern, auch angesichts seines Beitrags zur Zerstörung der Natur, auf deren intakten Zustand er eigentlich angewiesen ist? Hier können die Fachleute nur mahnen: »Es erscheint fraglich, dass die weit reichenden Maßnahmen, die zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf zwei Grad nötig sind, mit Tourismus in seiner heutigen Form vereinbar sind«, schreiben sie. Selbst wenn im günstigeren Fall einer Erwärmung um nur zwei Grad ein bedeutsamer Teil der europäischen Skigebiete weiter bestehen könnte, werde es eine große Herausforderung für diese Regionen, »ihren Teil dazu beizutragen, die Treibhausgasemissionen auf das dafür nötige Maß zu reduzieren«.
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