Klimawandel: Katastrophales Jahr für den Hintereisferner
Der Hintereisferner im hinteren Ötztal der Tiroler Alpen wird seit rund 100 Jahren wissenschaftlich überwacht und gehört zu den bestuntersuchten Gletschern des Alpengebiets. Noch nie seit Beginn des Erhebungszeitraums habe es jedoch einen derart massiven Eisverlust wie 2022 gegeben, berichtet eine Arbeitsgruppe um Rainer Prinz von der Universität Innsbruck in einer Mitteilung. In diesem Jahr hat die Eiszunge bislang fünf Prozent ihrer verbliebenen Masse verloren, schreiben Prinz und Co. Seit 2016 erfassen die Wissenschaftler sogar tagesaktuelle Messdaten.
Bereits am 22. Juni hatte der Gletscher seine gesamten winterlichen Zuwächse wieder verloren gehabt und rutsche die Massenbilanz ins Negative: Der »Glacier Loss Say« wurde seit Beginn der Messungen noch nie so früh erreicht. »In den Wintermonaten sammelten sich im Mittel nur zwei Meter Schnee an, normalerweise sind es mindestens drei. Im Juni, Juli und August wurden zudem in diesem Gebiet die zweithöchsten je gemessenen Temperaturen verzeichnet«, sagt Prinz. Die Kombination aus mangelnden Niederschlägen im Winter und einer ausgeprägten Hitzewelle im Sommer sorgte für eine rasche, stetige und hohe Schmelzrate, die früh an die Substanz des Hintereisferners ging.
»Um die Dimension deutlicher zu machen: Der Eisverlust entspricht knapp 20 Millionen Kubikmeter Wasser, etwa so viel wie die Stadt Innsbruck in 20 Monaten an Trinkwasser verbraucht«, sagt Prinz. Das bisherige Rekordjahr 2003 wurde zudem schon am 25. August übertroffen, und die Schmelzperiode wird sich vorerst noch fortsetzen.
»Es handelt sich um eindeutige Signale des menschengemachten Klimawandels. Die Folgen unserer Treibhausgasemissionen treffen uns bereits heute voll«, sagt Prinz. In den nächsten 10 bis 20 Jahren könnte der Hintereisferner deswegen bis zur Hälfte seines Volumens einbüßen. Und der Gletscher bildete 2022 keine Ausnahme: Auch andere Gletscher im Alpenraum büßten große Mengen Eis ein; in den bayerischen Alpen etwa rechnet man eigentlich nur noch dem Höllentalferner auf der Zugspitze Chancen ein, bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts zu überdauern.
Neben den fehlenden Schneefällen im Winter und den seit Monaten herrschenden hochsommerlichen Bedingungen führte vielerorts noch ein dritter Faktor zur starken Schmelze: Im Frühling lagerten sich wiederholt größere Mengen Saharastaub auf den Eis- und Schneemassen ab. Der rötliche Staub erniedrigte die Albedo, die Rückstrahlung ins All, und erwärmte den Untergrund dadurch zusätzlich. Welche katastrophalen Folgen die Gletscherschmelze haben kann, zeigte sich zudem an der Marmolate in Südtirol, wo ein Teil des Gletschers kollabierte und mehrere Menschen mit in den Tod riss.
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