Klimawandel: Kommt La Niña künftig häufiger?
Ein anhaltendes La-Niña-Ereignis, das zu Überschwemmungen in Ostaustralien beigetragen und Dürreperioden in den Vereinigten Staaten und Ostafrika verschärft hat, könnte den jüngsten Prognosen nach bis 2023 anhalten. Zwei aufeinander folgende La-Niña-Winter sind in der nördlichen Hemisphäre nicht unüblich, aber drei sind relativ selten. Ein so genanntes »Triple-Dip«-La Niña – also drei Jahre in Folge – hat es seit 1950 nur zweimal gegeben.
Dieses besonders lang anhaltende La-Niña-Ereignis sei wahrscheinlich nur eine zufällige Schwankung im Klima, sagen Wissenschaftler. Einige Forscher warnen jedoch, dass durch den Klimawandel La-Niña-ähnliche Bedingungen in Zukunft häufiger werden: »Wir erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass diese dreifachen Ereignisse eintreten«, sagt etwa Matthew England, Ozeanograf an der Universität von New South Wales in Sydney, Australien. England arbeitet daran, die Diskrepanzen zwischen den Klimadaten und den Ergebnissen der großen Klimamodelle auszugleichen. Wie auch andere Forscher möchte er Klarheit darüber schaffen, was auf unseren Planeten künftig zukommt.
»Wir erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass diese dreifachen Ereignisse eintreten«Matthew England, Ozeanograf
Fest steht: Mehr La-Niña-Ereignisse würden die Wahrscheinlichkeit von Überschwemmungen in Südostasien erhöhen und das Risiko von Dürren und Waldbränden im Südwesten der Vereinigten Staaten steigern. Im Pazifik und Atlantik würden sie das Ereignismuster von Hurrikanen, Wirbelstürmen und Monsunen verändern sowie weitere regionale Veränderungen hervorrufen.
La Niña und El Niño
La Niña und sein Gegenstück, El Niño, sind Phasen der so genannten El Niño-Southern Oscillation (ENSO), die alle zwei bis sieben Jahre auftreten. Während El Niño schwächen sich die üblichen, entlang des Äquators von Osten nach Westen wehenden Pazifikwinde ab oder kehren sich um. Infolgedessen strömt warmes Wasser in den östlichen Pazifik, und die Regenmenge in der Region nimmt zu. Während La Niña werden diese Winde hingegen stärker. Das warme Wasser verlagert sich dadurch nach Westen und der östliche Pazifik wird kühler und trockener.
Die Auswirkungen sind weit reichend. »Der tropische Pazifik ist riesig. Wenn sich die Niederschläge verschieben, wirkt sich das auf den Rest der Welt aus«, sagt Michelle L'Heureux, Physikerin am Klimavorhersagezentrum der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) in College Park, Maryland, USA. In La-Niña-Jahren absorbiert der Ozean Wärme in seinen Tiefen, so dass die globalen Lufttemperaturen tendenziell niedriger sind.
Die derzeitige La-Niña-Periode begann im September 2020 und verlief seither meist mild bis mäßig. Im April 2022 verschärfte sie sich und führte zu einem Kälteeinbruch über dem östlichen äquatorialen Pazifik, wie er seit 1950 nicht mehr zu dieser Jahreszeit beobachtet wurde. »Das ist ziemlich beeindruckend«, findet England.
Gute Chancen, dass La Niña erstmal bleibt
Gemäß der jüngsten Prognose der Weltorganisation für Meteorologie vom 10. Juni 2022 besteht eine 50- bis 60-prozentige Chance, dass La Niña bis Juli oder September dieses Jahres anhalten wird. Dies führt wahrscheinlich zu mehr Hurrikanen im Atlantik, die den Osten Nordamerikas bis November heimsuchen, und zu weniger Hurrikanen im Pazifik, die hauptsächlich Mexiko betreffen. Das Climate Prediction Centre der NOAA hat für Anfang 2023 eine 51-prozentige Chance auf La Niña vorausgesagt. Das Merkwürdige daran ist, so L'Heureux, dass diese anhaltende La Niña im Gegensatz zu früheren Triple Dips nicht nach einem starken El Niño auftrat, der in der Regel den Ozean für ein, zwei Jahre erwärmt. »Ich frage mich immer wieder: Woher kommt nun die Dynamik dafür?«, sagt L'Heureux.
Starke El-Niño- und La-Niña-Ereignisse kommen seit 1950 häufiger vor
Die zentrale Frage ist, ob der Klimawandel das ENSO verändert und ob La-Niña-Bedingungen in Zukunft öfter auftreten werden. Forscher haben in den vergangenen Jahrzehnten eine Verschiebung des ENSO festgestellt: Der jüngste Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt, dass starke El-Niño- und La-Niña-Ereignisse seit 1950 häufiger vorkommen als in den Jahrhunderten davor. Allerdings konnte das Panel nicht erkennen, ob dies auf natürliche Schwankungen oder auf den Klimawandel zurückzuführen ist.
Insgesamt würden die IPCC-Modelle eigentlich darauf hindeuten, dass die Erwärmung der Ozeane durch den Klimawandel zu mehr El-Niño-ähnlichen Ereignissen führt, sagt der Klimamodellierer Richard Seager vom Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia University in Palisades, New York. Seltsamerweise, so Seager, hätten aber Beobachtungen in den letzten 50 Jahren das Gegenteil gezeigt: Während sich das Klima erwärmt hat, ist die Front des aufsteigenden Tiefenwassers im östlichen äquatorialen Pazifik kalt geblieben, wodurch mehr La-Niña-ähnliche Bedingungen entstanden sind.
Einige Forscher argumentieren, dass die Aufzeichnungen einfach zu spärlich sind, um klar zu zeigen, was vor sich geht. Oder es gebe schlichtweg zu viele natürliche Schwankungen im System, als dass die Forscher langfristige Trends erkennen könnten. Es könnte aber auch sein, dass die IPCC-Modelle etwas Großes übersehen, sagt L'Heureux, »etwas, was ein noch ernsteres Problem ist«. Seager glaubt, dass die Modelle tatsächlich falsch sind und dass der Planet in Zukunft mehr La-Niña-ähnliche Muster erleben wird. Die Modelle könnten verzerrt sein, da sie das kalte Wasser des Ostpazifiks nicht erfassen. Immer mehr Forscher würden diese Überlegung ernsthaft in Betracht ziehen, so Seager.
Die nordatlantische Umwälzbewegung schwächelt
England hat eine weitere mögliche Erklärung dafür, warum die IPCC-Modelle zukünftige La-Niña-ähnliche Bedingungen falsch darstellen könnten. Wenn sich die Erde erwärmt und daraufhin der Eispanzer Grönlands schmilzt, verlangsamt sich der kalte Frischwasserstrom. Infolgedessen wird ein wichtiger Treiber der Meeresströmungen schwächer: die Atlantic Meridional Overturning Circulation (zu Deutsch: nordatlantische Umwälzbewegung), kurz AMOC. Die Wissenschaftler stimmen weitgehend überein, dass sich die AMOC-Strömung in den letzten Jahrzehnten verlangsamt hat. Gleichwohl sind sie sich nicht einig darüber, warum oder wie stark sie in Zukunft zurückgehen wird.
In einer Studie, die nun im Juni 2022 in »Nature Climate Change« veröffentlicht wurde, modellieren England und seine Kollegen, wie ein Zusammenbruch der AMOC einen Wärmeüberschuss im tropischen Südatlantik verursachen würde. Dies löste eine Reihe von Luftdruckveränderungen aus, die letztlich die pazifischen Passatwinde verstärkten. Schließlich treiben diese Winde das warme Wasser nach Westen und sorgen so für weitere La-Niña-ähnliche Bedingungen. England meint, dass die aktuellen IPCC-Modelle diesen Trend nicht widerspiegeln, weil sie die komplexen Wechselwirkungen zwischen Eisschmelze, Süßwasserzufuhr, Meeresströmungen und atmosphärischer Zirkulation nicht berücksichtigen. »Wir fügen diesen Modellen immer mehr Schnickschnack hinzu. Aber wir müssen die Eisschilde einbeziehen«, moniert er.
Michael Mann, Klimatologe an der Pennsylvania State University in State College, argumentierte 2021 ebenfalls, dass der Klimawandel sowohl die AMOC verlangsamen als auch mehr La-Niña-ähnliche Bedingungen schaffen werde. Seiner Meinung nach zeige die neue Nature-Climate-Change-Studie, wie sich diese beiden Faktoren gegenseitig verstärken können. Es bleibe also eine sehr dringende Forschungsfrage, wie die Modelle angepasst werden müssen, damit sie genauer widerspiegeln, was im Ozean wirklich passiert, so Seager. L'Heureux stimmt zu: »Wir müssen besser verstehen, was vor sich geht.« Bis jetzt sei es noch ein Rätsel, ob, wie und warum sich ENSO verändern könnte.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.