Klimawandel: Fiebrige Seen
Grünbraunes Wasser, fester Algenteppich, fauliger Geruch – wenn ein See aus dem Gleichgewicht gerät, enthält sein Wasser zu viele Nährstoffe und zu wenig Sauerstoff. Was im Sommer immer mal wieder für einige Wochen passiert, könnte in Zukunft häufiger und länger vorkommen. Denn auch in Deutschland wird es durch den Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten wärmer und trockener werden. Wie wirkt sich das auf die Qualität deutscher Gewässer aus? Wie auf die Tiere und Pflanzen, die in ihnen leben? Und was bedeuten die Veränderungen für die Trinkwasserversorgung?
Deutschlands größte Trinkwassertalsperre, die Rappbode-Talsperre im Harz, erlaubt einen Blick in die Zukunft. »Die Wassertemperatur an der Oberfläche ist im Sommer bereits drei bis vier Grad höher als noch vor 40 Jahren«, sagt Karsten Rinke. Der Hydrobiologe forscht seit mehr als zehn Jahren am Observatorium Rappbode, wie sich das Ökosystem in den Wassermassen, die das gigantische Bauwerk zurückhält, verändert. Regelmäßig nimmt er mit einem Team Proben aus dem Stausee und sammelt Daten zur Temperatur, dem Sauerstoff- und Nährstoffgehalt oder der Algenmenge. Der Stausee an der Rappbode-Talsperre zählt dank seiner Arbeit zu einem der am besten wissenschaftlich beobachteten Gewässern in Deutschland.
»Noch haben die klimabedingten Veränderungen keinen dramatischen Einfluss auf unsere Trinkwasserversorgung oder die Ökosysteme, aber in 50 oder 100 Jahren könnte das anders sein«, sagt Rinke. Bis zum Jahr 2100 könnte die Wassertemperatur im Stausee im schlimmsten Erwärmungsszenario des Weltklimaberichts um rund vier Grad ansteigen. Damit wäre der Stausee so warm wie der Gardasee. Für ein Ökosystem im nördlichsten Mittelgebirge Deutschlands wäre das verheerend.
- Die Rappbode-Talsperre
Die Rappbode-Talsperre liegt im Harz, im Westen Sachsen-Anhalts, und ist die größte Trinkwassertalsperre und mit 106 Metern Mauerhöhe auch die höchste Talsperre Deutschlands. Sie ging 1959 in Betrieb. 113 Millionen Kubikmeter können maximal aufgestaut werden, damit gehört sie zu den zehn größten deutschen Talsperren nach Volumen. Bewirtschaftet wird die Talsperre vom Land Sachsen-Anhalt. Der Talsperrenbetrieb kümmert sich zum Beispiel darum, die Staumauer in Stand zu halten, und stellt die Infrastruktur, um Wasser zu entnehmen. Die Sperre dient als Hochwasserschutz, wird zur Energiegewinnung genutzt, stabilisiert den Wasserstand tiefer gelegener Flüsse und versorgt knapp eine Million Menschen aus der Region Halle und dem südlichen Sachsen-Anhalt mit Trinkwasser.
- Talsperren in Deutschland
In Deutschland gibt es insgesamt 371 große Talsperren und viele weitere kleine Stauanlagen. Bereits im Mittelalter wurden die ersten Stauanalagen in Deutschland gebaut. Erste Talsperren entstanden gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Eine der ältesten ist die Eschbachtalsperre in Nordrhein-Westfalen, die 1891 fertig gestellt wurde.
Heute ist die größte Talsperre in Deutschland die Bleilochtalsperre in Thüringen mit einem Stauinhalt von 215 Millionen Kubikmetern. Damit ließen sich mehr als 71 000 olympische Schwimmbecken füllen.
Talsperren werden bewirtschaftet; der jeweilige Betrieb entscheidet beispielsweise, wie viel Wasser angestaut oder an die darunter liegenden Flüsse abgegeben wird. Besonders wichtige Funktionen sind der Hochwasserschutz, die Energieerzeugung durch Wasserkraft, die Trinkwasserversorgung und die Wasserabgabe an Flüsse, Industrie und Landwirtschaft.
Weniger Sauerstoff, dafür mehr Algen und Schadstoffe
Seen sind komplexe Gefüge. Das Verhältnis von Temperatur, Sauerstoff, Nähr- und Schadstoffen bedingt, welche Tiere und Pflanzen in welchen Bereichen des Gewässers leben. Je nach Jahreszeit verändert sich die Zusammensetzung, warmes und kaltes Wasser trennt und vermischt sich (siehe Infobox »Schichtung im See«). Der Klimawandel führt jedoch dazu, dass sich einige Prozesse ändern. Mit Folgen.
Die erste: Der Sauerstoffgehalt verändert sich. Physikalisch bedingt kann warmes Wasser weniger Sauerstoff aufnehmen als kaltes. Forschende unter Leitung des US-amerikanischen Rensselaer Polytechnic Institute haben knapp 400 Seen weltweit untersucht. Im Zeitraum von 1980 bis 2017 war die Wassertemperatur pro Jahrzehnt um 0,38 Grad Celsius gestiegen, die Sauerstoffkonzentration sank im gleichen Zeitraum um 0,11 Milligramm pro Liter.
Das Wasser in einem See ist nicht immer durchmischt. Je nach Jahreszeit und bedingt durch Licht, Wind sowie Temperatur kann es geschichtet sein. Die Schichtung entsteht im Frühling, ist im Sommer stabil und löst sich im Herbst wieder auf.
Unterschieden wird im Sommer in drei Zonen:
- Warmes Wasser hat eine geringere Dichte als kaltes und sammelt sich daher im oberen Bereich. Man nennt diese Lage auch Oberflächenwasser, Nährschicht oder Epilimnion.
- Das kalte Wasser wiederum sammelt sich wegen seiner vergleichsweisen größeren Dichte am Grund und bildet das Tiefenwasser (Hypolimnion).
- Eine Sprungschicht, auch Metalimnion, trennt die beiden.
Doch der Sauerstoff wird nicht nur an der Oberfläche, sondern auch am Grund knapper. Auf Grund der steigenden Temperaturen entstehen früher als sonst im Jahr Schichten, die zudem länger halten. Der im Tiefenwasser gespeicherte Sauerstoff muss also für einen größeren Zeitraum ausreichen. Organismen im Sediment verbrauchen diesen Sauerstoff nach und nach, um Biomasse wie abgestorbene Algen oder Fische zu zersetzen. Je länger das warme Wasser über dem kaltem liegt, desto knapper wird der Sauerstoff. Ist er aufgebraucht, bleiben sauerstofffreie Zonen im Tiefenwasser zurück.
Hans-Peter Grossart vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei hat an der globalen Studie mitgearbeitet. Er sieht schon jetzt erste Folgen des Sauerstoffschwunds in den Ökosystemen. »Im Stechlinsee – früher einer der schönsten Klarwasserseen Nordostdeutschlands – dehnt sich die sauerstofffreie Zone an der tiefsten Stelle des Sees seit etwa zehn Jahren kontinuierlich aus und führt dazu, dass der See im Herbst ab einer Tiefe von 40 Metern keinen Lebensraum für Tiere wie die endemische Fotanemaräne mehr bietet«, kommentiert er die Studie.
Die zweite Folge: Algen vermehren sich. Zu viele dieser kleinen Lebewesen trüben jedoch das Wasser, weniger Sonnenlicht gelangt auf den Grund. Ohne ausreichend Licht wiederum können Wasserpflanzen keine Fotosynthese betreiben, sie gehen ein. Besonders gefährlich ist es, wenn sich Blaualgen (Zyanobakterien) in großen Mengen vermehren. Sie produzieren verschiedene Gifte, die beim Menschen zu Übelkeit, Erbrechen oder Hautreizungen führen.
Das dritte Problem: Zusätzliche Nähr- und Schadstoffe gelangen ins Wasser. Das Tiefenwasser am Grund zeichnet sich normalerweise durch seine über das Jahr konstant kühle Temperatur von ungefähr fünf Grad aus. Ist es besonders lange heiß und der See relativ flach oder der Wasserstand schon deutlich gesunken, kann sich jedoch auch das Tiefenwasser erwärmen. Dadurch sind Organismen, die Biomasse wie abgestorbene Algen oder tote Fische am Grund zersetzen, aktiver – mehr Nährstoffe werden frei und noch mehr Sauerstoff wird in Kohlendioxid umgesetzt. Unter diesen Bedingungen können sich weitere im Sediment gebundene Metalle und Nährstoffe lösen und verschlechtern die Wasserqualität zusätzlich.
Was ist gutes Wasser?
Für die Wasserqualität gibt es kein einheitliches Maß. Entscheidend ist, wofür das Wasser genutzt wird. Bei Seen lässt sich aus der Wasserqualität ableiten, wie gesund und funktionsfähig das Ökosystem ist. Man spricht von Gewässerqualität. Diese wird laut der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie an drei unterschiedlichen Faktoren gemessen: an der Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft – Algen, Fische, Wasserpflanzen – im Wasser, chemischen Schadstoffen wie Nitrat und physikalisch-chemischen Komponenten wie Nährstoffen, Wassertemperatur und Sauerstoffgehalt. Auch die Wassertemperatur spielt im intakten Ökosystem eine Rolle. Für Trinkwasser gelten die höchsten Qualitätsstandards, die in der deutschen Trinkwasserversorgung geregelt sind. Um diese zu erreichen, werden in Aufbereitungsanlagen Schadstoffe und Verunreinigungen aus dem Wasser gefiltert.
Erste Anzeichen von Veränderungen haben die Forschenden an der Rappbode-Talsperre bereits beobachtet. Rinke und sein Team stellten beispielsweise fest, dass der Sauerstoffgehalt in den letzten Jahren leicht zurückging und Blaualgen früher und häufiger vorkommen als zuvor. Die Entwicklungen seien allerdings noch zu neu und zu gering, um belastbare Prognosen für die Zukunft abzuleiten, erklärt Rinke. Die Schichtungsdauer im Sommer hat sich jedoch im Vergleich zu 1980 schon deutlich verändert: »Inzwischen beginnt die Schichtung teilweise im März und hält bis Dezember. Insgesamt ist das Tiefenwasser so drei bis vier Wochen länger von der Oberfläche abgeschnitten«, sagt der Hydrobiologe weiter.
Wie stark sich das Tiefenwasser mit dem Klimawandel erwärmen wird, kann das Team ebenfalls abschätzen: »Gehen wir vom schlimmsten Szenario aus, in dem weiter ungebremst Treibhausgase ausgestoßen werden, könnte sich die Schichtung bis zum Ende des Jahrhunderts letztlich insgesamt um acht Wochen verlängern«, sagt Rinke. »Dann könnten zunehmend Teile des Tiefenwassers an der Rappbode ohne Sauerstoff sein.«
Anders ablassen, um die Erwärmung des Tiefenwassers zu verhindern
Doch jedes Gewässer ist einzigartig, deshalb lassen sich die Berechnungen nur bedingt auf andere Seen und Talsperren in Deutschland übertragen. Grob gilt: Je größer und tiefer ein See, desto widerstandsfähiger ist er. Kleine Seen werden also früher an ihre Belastungsgrenze kommen. Weil sie so gut überwacht und kontrollierbar sind, lassen sich die Rappbode-Talsperre und ihr Stausee dennoch sehr gut als Modell nutzen, um Anpassungsstrategien zu testen.
Rinke und sein Team sehen vor allem großes Potenzial darin, die Wasserabgabe flexibler zu gestalten: also gezielt zu steuern, welches Wasser zu welchem Zweck aus dem Stausee entnommen wird. Anders als bei natürlichen Seen können Menschen das in Talsperren steuern.
Unter normalen Umständen fließen pro Tag mehrere Kubikmeter Wasser pro Sekunde aus der Talsperre in darunter liegende Flüsse. In den meisten Talsperren wird dafür Wasser aus dem Tiefenwasser abgegeben. Auf diese Weise verliert der See jedoch kostbare Kälte. Die mögliche Lösung: »Im Sommer warmes Oberflächenwasser abzugeben, würde überflüssige Wärme ableiten und den ganzen See kühlen. Ein gesunder unbebauter Fluss kann das gut ausgleichen, denn das zulaufende Flusswasser aus den Oberläufen hat ohnehin eine vergleichbare Temperatur«, sagt Rinke.
Eine solche Umstellung in der Rappbode-Talsperre würde seinen Berechnungen zufolge verhindern, dass sich das Tiefenwasser bis zum Jahr 2100 aufheizt. Aber nicht jede Talsperre verfügt über eine solche Infrastruktur, um aus verschiedenen Höhen Wasser abzugeben. Vor allem Talsperren, die vor dem Ersten Weltkrieg gebaut wurden, haben meist nur einen Ausfluss.
Mit dem Klimawandel wird die Trinkwasseraufbereitung aufwändiger
Flexibler Wasser entnehmen zu können, wäre auch für die Trinkwasserversorgung wichtig. Diese ist zwar für die nächsten Jahrzehnte gesichert, jedoch sind die Wasserwerke mit ihren Aufbereitungsanlagen stark an die derzeitige Wasserqualität angepasst. Sich auf neue Bedingungen einzustellen, braucht eine gewisse Zeit. Deshalb sind Prognosen wie die von Karsten Rinke so wichtig.
Die Rappbode-Talsperre ist die größte Trinkwassertalsperre Deutschlands und versorgt mehr als eine Million Menschen in der Region Halle und im südlichen Sachsen-Anhalt mit Trinkwasser. Die Basis dafür ist Nass aus 50 bis 70 Meter Tiefe, auch Rohwasser genannt »Es ist unser Rohstoff, den wir so aufbereiten, dass er am Ende die hohen Qualitätskriterien für Trinkwasser erfüllt«, sagt Marco Matthes, der als Hydrobiologe das Wasserwerk der Fernwasser Elbaue-Ostharz in Wienrode leitet.
Theoretisch könne aus jedem Rohwasser trinkbares Wasser hergestellt werden, sagt Matthes: »Doch je belasteter es ist, desto teurer, aufwändiger und energieintensiver ist die Aufbereitung.« Mit mehr Partikeln im Wasser wird die Reinigung aufwändiger. Müssen beispielsweise mehr Algen aus dem Wasser gefiltert werden, muss der Filter häufiger gespült und damit gereinigt werden. Einige Partikel wie bestimmte Blaualgen müssen vor der Filterung zusätzlichen behandelt werden. Andere gelöste Stoffe – etwa im Wasser gelöster organischer Kohlenstoff – werden mit zusätzliche Hilfschemikalien entfernt. »Wenn die Rohwasserqualität gegen Ende des Jahrhunderts drastisch abnehmen sollte, müssten wir im Wasserwerk auf alternative Filtermethoden umstellen. In unserer Größenordnung würde das schnell 100 Millionen Euro kosten«, erklärt Marco Matthes.
Sollten die Seen sich immer weiter erwärmen, ist es letztlich allerdings keine Frage des Geldes mehr. »Unsere Prognosen zeigen, dass wir auch mit unseren Optimierungen an eine Grenze kommen«, sagt Rinke. »Unsere Priorität muss es sein, die Erderwärmung einzudämmen.«
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