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Kanada: Knochenbetten in den Badlands

In den kanadischen Badlands traut der Besucher seinen Augen kaum: Ganze Dinosaurierherden ragen hier aus dem Boden. Einfach so. Die Geschichte eines Dino-Paradieses.
Im Park kommt man den Fossilien nahe - in manchen Fällen zu nahe

So dicht ragen die Knochen der mächtigen Centrosaurier aus dem kargen Sandsteinboden, dass schon wieder jemand mit seinen Stiefeln draufgetreten ist. Es gibt einfach zu viele davon. »Mindestens 57 dieser Dinos sind hier gestorben«, sagt der Park Ranger, der die kleine Besuchergruppe durchs Gelände führt. Kaum zu glauben, dass jemand nachgezählt hat. Es müssen tausende Knochen sein.

Es reiche ja manchmal, nur nach bestimmten Knochen zu suchen, erklärt der Mann, der sich den breitkrempigen Hut tief in die Stirn gezogen hat. Genau 57 Stück jener Wirbel fanden Forscher hier, die das Rückgrat der Tiere mit dem Schädel verbinden. Von diesen hatte jedes Tier nur einen einzigen. Anders als Rippen, die sich nun immer wieder unter die Sohlen der Besucher mogeln.

Und schon geht es weiter zum nächsten Dino-Massengrab. Über 500 davon finden sich im Dinosaur Provincial Park der kanadischen Provinz Alberta. »Badlands« nannten die ersten Siedler das knochentrockene Land, hier gab es nichts für niemanden. Für Paläontologen ist es die reinste Schatztruhe.

Dino-Friedhof am Meeresarm

Vor ihrem vermutlich jähen Ende hatten die 57 Centrosaurier nahe der Westküste eines gewaltigen Meeresarms geweidet: 75 Millionen Jahre vor heute zog sich der stellenweise 1000 Kilometer breite »Western Interior Seaway« zwischen den heutigen Rocky Mountains und den Appalachen einmal quer durch den amerikanischen Kontinent bis zum Golf von Mexiko. Die Tiere, die von ihrer Größe her, vor allem aber wegen ihres spitzen Horns auf der Nase an Nashörner erinnern, fanden damals ausgedehnte Nadelwälder vor. Deren Zapfen sind neben den Dinos mit versteinert, sie stecken noch immer im Sandstein.

Immer mehr Knochen legt die Witterung frei | Ganze Herden kamen in Fluten ums Leben und wurden in Stein konserviert. Heute begegnet man den Fossilien auf Schritt und Tritt.

»Damals entstanden gerade die Rocky Mountains, die von Wind und Wetter rasch wieder abgeschmirgelt wurden«, sagt, zwei Fahrtstunden vom Dinograb entfernt, François Therrien. »Daher trugen die Flüsse riesige Mengen Schlamm zum Western Interior Seaway in das heutige Alberta.« Therrien arbeitet im Royal Tyrrell Museum in der Stadt Drumheller, wo er die Dinosaurier und ihre tropisch warme Welt erforscht.

Auch der Frage, warum es in dieser Welt anscheinend immer wieder zu Katastrophen kam, die ganze Gruppen von Dinos dahinrafften, geht Therrien nach. Es könnten zum Beispiel tropische Stürme aus dem nahen Meer die Küstenebenen geflutet haben. Weil dort das Wasser schlecht abfloss, stand es vermutlich tagelang meterhoch. Die Dinos ertranken. Manche Knochenbetten haben die Größe eines Fußballplatzes, teils stecken mehr als 100 Knochen in jedem Quadratmeter, vor allem vom Centrosaurus. 85 Prozent der Knochen im Dinosaur Provincial Park stammen von ihm.

Die frischen Kadaver lockten andere an. Verwandte des Tyrannosaurus rex scheinen sich am Aas satt gefressen zu haben. Die zweibeinigen Raubsaurier, Albertosaurus genannt, wogen bis zu zweieinhalb Tonnen und waren neun Meter lang. Immerhin sechs Prozent der in einem solchen Knochenbett gefunden Fossilien waren Zähne dieses gefährlichen Räubers.

»Solche Dino-Friedhöfe wurden damals rasch unter den großen Schlammmengen begraben, die aus den Rocky Mountains angeschwemmt wurden und sich im ruhigen Wasser ablagerten«, sagt Therrien. Im Untergrund wurde das weiche Material im Lauf der Jahrmillionen mitsamt den Knochenbetten zu Sandstein verbacken. Zusätzlich waren im Wasser oft auch reichlich Eisenverbindungen gelöst, die ebenfalls im Schlamm landeten. Heute färben diese Eisenoxide nicht nur einzelne Sandsteinschichten, sondern manchmal auch die längst versteinerten Knochen im Untergrund dunkel.

Ein umgekrempeltes Land

Bis diese Fossilien wieder ans Tageslicht gelangten, wurde das weite Land der heutigen Provinz Alberta noch einige Male komplett umgekrempelt. Das tropische Klima kühlte sich deutlich ab, über dem weichen Sandstein lagerten bald viel härtere Gesteine. »Als das Klima erheblich trockener wurde, ersetzten vor rund 15 Millionen Jahren ausgedehnte Grasländer die bisherigen Wälder, und die großen Prärien Nordamerikas entstanden«, sagt Therrien.

Bizarre Felsformationen prägen die Badlands | Wind und Regen tragen manche Gesteine schneller ab als andere. Das führt zu solchen »Hütchen« in der Landschaft.

Später kühlte das Klima noch weiter ab, schließlich so sehr, dass Eismassen aus dem hohen Norden nach Süden vorstießen. Das riesige Gewicht des kilometerdicken Eises hobelte über zweieinhalb Millionen Jahre das harte Gestein ab. Zog sich das Eis in wärmeren Epochen zurück, fraßen unvorstellbare Mengen von Schmelzwasser gigantische Urstromtäler in die alten Ablagerungen und legten den relativ weichen Sandstein frei. In einem davon fließt heute der Red Deer River von den Rocky Mountains 724 Kilometer weit durch die Badlands nach Osten. Auf seinem Weg durchquert er nicht nur Drumheller, sondern auch den Dinosaur Provincial Park.

So trocken die Landschaft auch sein mag, es ist vor allem Regen, der sie formt. Ab und zu gibt es hier kräftige Niederschläge. Das Regenwasser schießt dann von den Kuppen der Hügel rasch und oft fast senkrecht in die Tiefe und schneidet tiefe Rinnen in die Hänge. Wie ein Sandstrahler bläst der Wind zusätzlich von der Seite kuriose Formationen in die Landschaft: Hüte aus dunklem, eisenhaltigem Material, die auf hellen, weicheren Sandsteinsäulen balancieren. Sie entstehen, weil der Wind das dunkle Gestein länger unversehrt lässt.

Der Dino-Rush beginnt

Im Lauf der Jahrhunderte entstand so eine Kette von kahlen Hügeln mit kleinen Tälern dazwischen, in denen Unmengen von Salbeibüschen und sehr harten Gräsern wachsen. An den Flanken der Hügel staunen die Besucher über unterschiedliche Ablagerungen, die lange Bänder aus leicht unterschiedlichen Farben in diese Badlands zaubern.

»Jedes Jahr trägt die starke Erosion in den Badlands im Durchschnitt einen Zentimeter Sandstein ab«, sagt Therrien. So gibt der Untergrund allein im Dinosaur Provincial Park pro Jahr ungefähr sechs neue Skelette frei. Aber nicht nur im Parkareal ist das so. Fast überall auf den weiten Prärien, die längst von den Weiden, Feldern und Ölförderanlagen des modernen Kanada verdrängt wurden, findet man Dinosaurier.

Die toten Dinos weckten schon immer Interesse | François Therrien zeigt den Schädel eines Albertosaurus. Der riesenhafte Fleischfresser verschmähte offenbar die ertrunkenen Centrosaurier nicht.

Kein Wunder also, dass die Geschichte des Parks mit einem Zufallsfund beginnt. 1884 starrte ein zu Tode erschrockener Joseph Burr Tyrrell in die leere Augenhöhle eines Albertosaurus. Das Fossil ragte hinter einem Felsvorsprung aus dem Boden. Eigentlich war der Prospektor auf der Suche nach Steinkohlevorkommen gewesen, tatsächlich war sein Fund den Auftakt zur Erforschung einer der reichsten Lagerstätten von Dinosaurierfossilien der Welt. Von 1910 an machten Fossilienjäger mit ihren Funden vom Red Deer River Schlagzeilen. 1979 wurde das Areal in den Badlands von der UNESCO zum Welterbe der Menschheit erklärt.

Schwerstarbeit bei der Fossilienjagd

Damals wie heute ist es ein mühsames Geschäft, die Dinos frei zu legen. Mit Hammer und Meißel geht es in den zum Glück weichen Untergrund. Will man das Ganze beschleunigen und in die angenehmere Atmosphäre eines Labors verlegen, schneidet man das Fossil samt umliegendem Gestein als große Platte aus, packt es in einen Schutzverband aus Gips und Jute und wuchtet das Paket dann aus der Erde. Vor 100 Jahren lud man die hunderte bis über 1000 Kilogramm schweren Platten mit Hilfe von Pferden und einem Flaschenzug auf einen bereitstehenden Wagen. Den zog dann ein Pferdegespann ins 48 Kilometer südwestlich liegende Brooks, wo die Fossilien auf die Eisenbahn verladen und in ein Museum transportiert wurden.

Don Henderson hat heute deutlich mehr Pferdestärken zur Verfügung. Wenn plötzlich lautes Knattern die sonst fast absolute Ruhe im Dinosaur Provincial Park stört, holt der Kurator des Royal Tyrrell Museum vermutlich gerade wieder eins der Fossilienpakete mit seinem Hubschrauber ab. In der Werkstatt legen dann die Präparatoren los. Mit ihren Bohrern, die frappierend an eine Zahnarztpraxis erinnern, und Skalpellen haben sie mitunter jahrelang zu tun, bis der Stein vom Knochen gelöst ist. Da auch in kanadischen Museen die Kapazitäten begrenzt sind, während gleichzeitig die Witterung jedes Jahr etliche neue Fossilien frei legt, stapeln sich in den Archiven immer mehr Funde, die noch einer genaueren Untersuchung harren.

Bergung en bloc | Stellen, von denen sich die Forscher besonders viel erhoffen, werden im Block aus dem Gestein geschnitten und in die Präparatorenwerkstatt am Royal Tyrrell Museum gebracht.

Längst sind die Mitarbeiter des Royal Tyrrell Museum daher dazu übergegangen, nicht jeden Fund zu bergen, den ein Farmer Albertas ihnen von seinem Land meldet. »Entenschnabelsaurier waren damals anscheinend ähnlich häufig wie heute Hirsche und streiften vermutlich in großen Herden durch das Land«, sagt Therrien. Die Archive der Museen seien voll von ihnen, »wir lehnen die allermeisten Funde ab«. In diesem Fall dürfen die Farmer die auf ihrem Land aufgetauchten Fossilien erst einmal behalten. Erst einmal, denn anders als beispielsweise in den USA gehören Fossilien hier nicht dem Eigentümer des Landes, sondern der Provinz.

Eine Panzerechse fernab der Heimat

Manchmal aber sind die Forscher regelrecht elektrisiert. 2011 etwa trat in einem Ölsand-Bergwerk im Nordosten Albertas ein großes Fossil zu Tage. Henderson und der Präparator Darren Tanke tippten auf einen Plesiosaurier, einen 15 Meter langen Unterwasserjäger. Denn der Ort, von dem das Fossil gemeldet wurde, lag seinerzeit mitten im Western Interior Seaway. Als die beiden Experten dann den Fund in Augenschein nahmen, entpuppte er sich aber als echter Landbewohner, ein Ankylosaurier: Diese behäbigen, fünf oder sechs Meter langen Tiere fraßen sich vor mindestens 110 Millionen Jahren durch die Pflanzenwelt. Wie aber war das Tier von der 200 Kilometer entfernten Küste hierhergekommen?

Ankylosaurier | Sechs Jahre brauchte ein Präparator, um die Fossilien dieses Dinosauriers der Art Borealopelta markmitchelli frei zu legen. Heute ist der Fund im Royal Tyrell Museum ausgestellt.

Allein drei Tage mussten sich die Forscher mit den Sicherheitsvorschriften des Bergwerks auseinandersetzen. Schließlich bargen sie die Fossilien umgeben von 1000-Volt-Kabel und überdimensionalen Minenfahrzeugen aller Art aus einer zwölf Meter hohen Abbruchkante.

Im Royal Tyrrell Museum präparierte Mark Mitchell den Fund zwischen 2011 und 2016 in rund 7000 Arbeitsstunden pingelig genau aus dem Gestein heraus. Ihm zu Ehren tauften die Forscher die bislang unbekannte Art Borealopelta markmitchelli. Vermutlich war der Ankylosaurier von einem tropischen Wirbelsturm überrascht worden, in den Fluten ertrunken und ein paar Tage lang auf seinem Panzerrücken liegend auf den Wellen dahingetrieben. Weitab der Küste sank er schließlich auf den Grund und wurde gleich tief im Schlamm konserviert. Selbst die letzte Mahlzeit des Panzerdinos aus erbsen- bis murmelgroßen Samen konnten die Forscher versteinert bergen.

Neue Erkenntnisse aus alten Knochen

Auch das Gestein drum herum sei oft sehr aufschlussreich, sagt François Therrien. Beim gepanzerten Dino fanden die Forscher dort die Reste von Pigmenten, die den Rücken des Tieres rötlich braun gefärbt haben dürften, während der Bauch fast weiß war. Eine gute Tarnung für die tropischen Wälder des kreidezeitlichen Kanada.

Schon die Ureinwohner sprachen vermutlich vom »schlechten Land« | Doch für Besucher bietet sich eine eindrucksvolle Kulisse.

Zuletzt arbeiteten Therrien und Kollegen an einem uralten Rätsel der Dinosaurierforschung – nämlich, ob die Tiere wechselwarm wie heutige Krokodile oder gleichwarm wie Vögel waren. Im Februar 2020 publizierten sie dazu in der Zeitschrift »Science Advances« eine aufschlussreiche Entdeckung. Die Wissenschaftler hatten mit Hilfe von Isotopen ermittelt, bei welchen Temperaturen die Eierschalen von Entenschnabelsauriern und anderen Dinos entstanden waren. Diese glichen sie dann mit den jeweils vorherrschenden Durchschnittstemperaturen ab, wie man sie aus Muschel- und Schneckenschalen rekonstruiert.

Es zeigte sich: Im Körper der Dinos, wo sich die Eier bildeten, war es wärmer als draußen. Folglich scheinen sich die Dinos über die Temperatur ihrer Umwelt aufgeheizt haben. Einer der Dinos erreichte sogar mit rund 44 Grad Celsius die Körpertemperatur moderner Vögel. Weit mehr als 100 Jahre nach ihrer Entdeckung liefern die Dino-Fundstätten im Süden der kanadischen Provinz Alberta also immer noch Top-Forschungsergebnisse.

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