Zoologie: Knochenfresser
Weder Augen, Beine, Mund oder Magen nennen die bizarren Würmer in den Tiefen des Meeres ihr Eigen. Doch dafür zieren bunte Federn und "Wurzeln" den röhrenförmigen Körper. Aus dem Rahmen fällt neben dem Äußeren auch die Lebensgrundlage dieser Organismen: Walknochen.
Gewöhnlich ist das Nahrungsangebot in der Tiefsee begrenzt: Wie Schneeflocken rieseln organische Partikel von der Wasseroberfläche herab und halten das Leben in den unteren Schichten aufrecht. Hat jedoch ein Wal seinen letzten Atemzug getan, trägt sein massiver Kadaver mitunter so viel organisches Material in die Umgebung ein, wie der "Meeresschnee" im Laufe tausender Jahre. Kein Wunder, dass sich an einem solch nahrhaften Leichnam ganze Ökosysteme mit Hunderten von verschiedenen Tieren herausbilden. Einige dieser Lebensgemeinschaften können über Jahrzehnte fortbestehen – dank der mit Ölen durchtränkten Knochen.
Wie DNA-Analysen enthüllten, handelt es sich bei O. rubiplumus und O. frankpressi um enge Verwandte der riesigen Röhrenwürmer, die in der Umgebung der hydrothermalen Schlote der Tiefsee heimisch sind. Vermutlich lebte der letzte gemeinsame Vorfahr der beiden neu entdeckten Lebewesen vor ungefähr 42 Millionen Jahren – etwa zu dieser Zeit haben sich auch die Wale selbst entwickelt. Und die genetische Vielfalt der Würmer deutet darauf hin, dass sie einer aktiv brütenden Population aus hunderttausenden Individuen angehören, die sich in der Weite des tiefen Ozeans bislang dem menschlichen Auge entzogen hat.
Obwohl die auf Walkadavern angesiedelten Organismen bereits an mehreren Stellen der kalifornischen Küste unter die Lupe genommen wurden, drangen Greg Rouse von der Universität Adelaide und seine Kollegen nun in der Monterey-Bucht in größere Tiefen von 2891 Meter vor – und stießen auf bislang unbekannte Lebensformen, verankert am Skelett eines jungen Grauwals: Zwei Arten von eigenwilligen Würmern, deren Körper und Ernährungsgewohnheiten sich von jeder anderen Kreatur unterscheiden. Sie gehören der neu geschaffenen Gattung Osedax an, der lateinischen Bezeichnung für "Knochenfresser".
Zu den auffälligsten Kennzeichen von O. rubiplumus und O. frankpressi, so lauten ihre wissenschaftlichen Namen, zählen ihre rötlichen oder rot-weiß gestreiften Federn, die ausgestreckt ins Wasser als Kiemen dienen. Dieser Federschmuck krönt einen muskulösen "Rumpf", den der Wurm bei Störung in einen transparenten Schlauch einfahren kann. Am entgegengesetzten Ende – im Inneren des Walknochens verborgen – weitet sich der Körper zu einem großen Eisack aus. Von diesem zweigen grünliche Wurzeln ab, die mit symbiontischen Bakterien gefüllt sind. Jene Untermieter knacken die Öle in den Walknochen auf und wandeln sie in wurmgerechte Nahrung um.
Überraschenderweise entpuppten sich alle gesammelten Exemplare der Tiefsee-Würmer als Weibchen, jeweils zwei bis sieben Zentimeter lang. Wo steckten bloß die Männchen? Im Inneren der meisten weiblichen Tiere, wo sie sich zu Dutzenden tummeln, offenbarte eine nähere Untersuchung unter dem Mikroskop. Ihr zwergenhafter Wuchs lässt mutmaßen, dass sie sich nie über das Larvenstadium hinaus entwickelt haben. Doch sie enthalten auch reichliche Mengen an Samenzellen. Ohne Mund und Darm ausgestattet, zehren sie von den Vorräten an fetthaltigem Dotter in ihrem winzigen Körper.
Neben den zahlreich einverleibten Miniatur-Männchen beherbergen die Weibchen jeder Größe massenhaft Eier. "Diese Würmer scheinen die ökologische Entsprechung zum Löwenzahn zu sein, einem schnell wachsenden Unkraut, das viele Eizellen hervorbringt und sich weit und breit verstreut", merkt Robert Vrijenhoek aus dem Forscherteam an. Eine sinnvolle Strategie, zumal die Würmer lediglich auf toten Walkörpern existieren können. Ist ein Skelett vollständig konsumiert, sterben all seine Bewohner ab. Doch zuvor setzen sie genügend Eier oder Larven frei, sodass einige durch die Ozeanströmungen zu einem anderen Walkadaver verfrachtet werden.
Wie DNA-Analysen enthüllten, handelt es sich bei O. rubiplumus und O. frankpressi um enge Verwandte der riesigen Röhrenwürmer, die in der Umgebung der hydrothermalen Schlote der Tiefsee heimisch sind. Vermutlich lebte der letzte gemeinsame Vorfahr der beiden neu entdeckten Lebewesen vor ungefähr 42 Millionen Jahren – etwa zu dieser Zeit haben sich auch die Wale selbst entwickelt. Und die genetische Vielfalt der Würmer deutet darauf hin, dass sie einer aktiv brütenden Population aus hunderttausenden Individuen angehören, die sich in der Weite des tiefen Ozeans bislang dem menschlichen Auge entzogen hat.
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