Mythos oder Fakten: König David erobert Jerusalem
"Und der König zog mit seinen Männern nach Jerusalem gegen die Jebusiter, die Bewohner des Landes. Und sie sagten zu David: Du wirst nicht hier hereinkommen (...). Aber David nahm die Bergfeste Zion ein, das ist die Stadt Davids. (...) Und David baute ringsum vom Millo an nach innen zu. Und David wurde immer mächtiger (..)" (2. Samuel 5, 6–10, nach der Elberfelder Übersetzung – revidierte Fassung, 2001).
Der Überlieferung zufolge war das Jahr 1004 v. Chr. ein Wendepunkt in der Geschichte des israelitischen Volkes: David, eine der charismatischen Führungspersönlichkeiten, eroberte das strategisch günstig gelegene Jerusalem, damals Festungsstadt der Jebusiter, einte von dort aus die Stämme Israels und befreite sie von der Herrschaft der Philister. Schon Saul, vorheriger König Israels und Stammesführer der Benjaminiter, hatte sich gegen dieses aus der Ägäis stammende Volk erhoben. David, sein Schwiegersohn, nahm den Kampf erst Jahre später wieder auf, denn er hatte zunächst andere Sorgen. Seine wachsende Popularität als erfolgreicher Hauptmann brachte ihm, so berichtet das Alte Testament, die Feindschaft Sauls ein. Als möglicher Kandidat für den Thron musste er etwa 1014 v. Chr. aus seiner Heimat Judäa fliehen. Mit einer 600 Mann starken Truppe von "Habiru" – Glücksrittern und anderen Menschen, die am Rand der Gesellschaft lebten – ließ er sich in der Küstenebene nieder und schwor dort dem König der Philister Treue.
Bald erfreute sich der geschickte Heerführer dessen Gunst und wurde im judäischen Hebron zum Vasallenfürst erkoren. Dieser Schachzug gab David den offenbar nötigen Spielraum. Nach sieben weiteren Jahren akzeptierten ihn die nördlichen Stämme Israels als den von Gott Jahwe erwählten Befreier. Von Jerusalem aus drängte er der Bibel zufolge die Philister bis in die Küstenebene Südpalästinas zurück. Der biblische Erzähler berichtet stolz: "Und David nahm die Zügel der Herrschaft aus der Hand der Philister (2. Samuel 8, 1)."
Sieg über die Könige Israels
So weit die Überlieferung. Doch hat dieser Held wirklich gelebt? Tatsächlich gab es dafür lange Zeit keinerlei Belege, bis Archäologen des Hebrew Union College in Jerusalem 1993/1994 auf dem Siedlungshügel Tel Dan im Norden Israels Fragmente eines beschrifteten Steins in einer antiken Mauer entdeckten. Sie gehörten ursprünglich zu einer Stele aus dem 9. Jahrhundert v. Chr. Darauf berichtete ein syrischer Monarch (vermutlich König Hasael von Aram-Damaskus), er habe während einer Schlacht die zwei verbündeten Könige Joram von Israel und Ahasja "vom Hause Davids" getötet. Auch die Bibel berichtet von diesem Kampf (2. Könige 8, 25–29) – offenbar bezieht sich der Hinweis auf das laut Überlieferung von David begründete Königreich Juda. Eine weitere Erwähnung entdeckte der Pariser Inschriftenspezialist André Lemaire von der Université Paris-Sorbonne 1994 im fragmentarischen Schlussteil einer Bauinschrift aus Dhiban in Jordanien.
Herkunftsbezeichnungen wie "das Haus Davids" waren in jener Zeit üblich und sind historisch auch außerhalb der Bibel belegt. Folgende Vermutung liegt deshalb nahe: Ein König dieses Namens hat tatsächlich die judäische Monarchie begründet. Die Chronologie dieser Könige Israels lässt sich durch Vergleich biblischer Berichte mit Texten aus Assyrien, Babylon und Ägypten zu Kriegen und Sonnenfinsternissen recht genau aufstellen. Daraus leitet sich auch das Datum 1004 v. Chr. für die Eroberung Jerusalems her.
Trotz vieler Ausgrabungen seit dem 19. Jahrhundert vor allem in der "Davidstadt", also auf dem Kamm und am Osthang des schmalen Hügels südlich des später laut Bibel von Salomo gestalteten Tempelbergs, bleibt das Wissen über Jerusalem am Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. doch eher dürftig. Nur wenige Mauerreste, Fußböden, Scherben und Gräberfunde zeugen von der Geschichte des Orts. Wiederholte Besiedlung, Verwüstungen und Wiederaufbau haben die meisten Spuren vernichtet.
Doch Archäologen des Palestine Exploration Fund (London) und der Hebrew University of Jerusalem entdeckten am steilen Abhang zum Kidrontal und oberhalb der legendären Gihonquelle Überreste eines gewaltigen Schutzwalls, dessen Ursprung anhand von Keramikfunden auf das 12. Jahrhundert v. Chr. datiert wurde. Die vermutlich mehr als 30 Meter hohe Anlage bestand aus einem terrassenförmigen Unterbau aus rechteckigen, mit Felsblöcken und Erde aufgefüllten Kammern. Diese Terrassen waren zumindest an einem Ort durch einen treppenförmigen Aufbau miteinander verbunden. Eine Mauer an der Südseite und natürliche Furchen im Felsboden an der Ostseite stabilisierten die Böschung gegen das Abrutschen der Steinmassen. Man kann sich gut vorstellen, dass der wahrscheinlich mit Putz oder Erde geglättete Wall an einem so steilen Abhang nahezu perfekten Schutz geboten hatte.
Das Alte Testament als Hinweisgeber?
Jane Cahill von der Hebrew University vermutet, dass diese Anlage zudem das Fundament einer künstlichen Plattform auf dem Hügel war, auf der einst eine Zitadelle stand – die Jebusiterburg. Die Archäologin Eilat Mazar vermutet sogar, dass hier der Palast Davids gestanden haben könnte. Ihre Grabungen von 2005 bis 2008 bestätigen zumindest ein imposantes Gebäude gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. Ob der König sein Bauherr war oder bereits die Jebusiter ihn errichteten, bleibt umstritten. Immerhin legen Keramiken und eine architektonische Verbindung zwischen Gebäude und Schutzwall nahe, dass sie zeitgleich entstanden.
Letzterer wäre dann wohl mit dem in der Bibel erwähnten Millo (hebräisch für "Auffüllung" oder "Aufschüttung") gleichzusetzen, einer Anlage, an der David, Salomo und ebenso auch spätere judäische Monarchen wie beispielsweise König Hiskia (etwa 700 v. Chr.) gebaut haben. Doch wie war es den israelitischen Söldnern gelungen, eine solche Burg zu erobern? Dem Alten Testament zufolge drangen sie über einen "tsinnor" ein, meist mit Wasserschacht übersetzt. Lange galt ein 1867 von dem britischen General Charles Warren entdeckter, vertikal verlaufender Schacht als Kandidat dafür. Ronny Reich und Eli Shukron von der Israelischen Antikenbehörde in Jerusalem fanden vor einigen Jahren jedoch Belege dafür, dass dieser Zugang erst zwei Jahrhunderte nach David von jüdischen Steinmetzen zufällig geöffnet worden war, als sie den Boden eines älteren Tunnels vertieften.
Zur Zeit Davids war er wahrscheinlich niemandem bekannt. Reich und Shukron entdeckten aber in der Nähe des Warren-Schachts Teile eines anderen Wassersystems mit einem in den Felsen gehauenen Teich, Tunneln und Kanälen; diese Anlage war im 18. bis 17. Jahrhundert v. Chr., also lange Zeit vor der Eroberung gebaut worden. Massive Türme am unteren Hang des Wasserreservoirs sollten damals die Gihonquelle schützen. Dort befand sich der Zugang zur Quelle und zum Teich, von wo aus Schächte in die auf dem Berg gelegene Stadt führten.
Später geriet dieses System möglicherweise in Vergessenheit. Nach Einschätzung Shukrons waren die unterirdischen Schächte für Davids Krieger aber zugänglich. Selbst wenn die Anlage nicht mehr in Betrieb war, dürften sie Überreste der Türme leicht gesehen haben. War den Jebusitern die Schwachstelle ihrer Verteidigungsanlage bewusst? Hatten ihre Soldaten die Türme besetzt, um den Zugang zu den unterirdischen Schachtsystemen zu schützen? All dies sind offene Fragen, doch es könnte durchaus sein, dass diese alte Anlage den Fall Jerusalems 1004 v. Chr. erst möglich gemacht hat.
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